Lisa-Martha.. Jaroslawa Sommerfeldt

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Название Lisa-Martha.
Автор произведения Jaroslawa Sommerfeldt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783746763255



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sie wirklich den verloren geglaubten Gegenstand, die verschwundene Puppe gefunden?

      Lisa konnte ihren Blick nicht von den alten Fotos abwenden.

      Um sich zu vergewissern, eilte sie zurück zum Antiquitätengeschäft.

      An diesem Nachmittag waren dort nicht allzu viele Käufer. Eine ältere Frau sah eine Holzkiste mit alten Büchern durch.

      Ein junger Mann interessierte sich für die Platten weltberühmter Rockmusiker. Drei von ihnen – „Boney M“, „Bon Jovi“, „Modern Talking“ – hatte er schon beiseitegelegt. Es bestand kein Zweifel, dass diese Schallplatten in wenigen Minuten in sein persönliches Eigentum übergehen würden.

      Zögerlich ging Lisa näher an das Fenster heran. Genau dort, in der Ecke auf dem unteren Regal, lag etwas, das früher vielleicht ihr gehört hatte. Könnte sein.

      Sie zog das vergilbte Foto aus dem Fotoalbum aus ihrer Handtasche und versuchte erneut, alle Fakten zu vergleichen. Je mehr sie diese Puppe ansah, desto mehr war sie davon überzeugt, dass ihre Ahnung sie nicht betrog, dass sie sich nicht irrte.

      „Kann ich Ihnen helfen?“, hörte sie hinter ihrem Rücken die angenehme Stimme des älteren Verkäufers.

      „Vielleicht, ja, nur Sie können mir helfen. Es scheint, dass ich mich für diese Puppe interessiere“, antwortete Lisa, drückte das Foto an ihre Brust und zeigte auf die Puppe im Schaufensterregal.

      „Aber ich kann Ihnen auch eine andere Puppe anbieten, die übrigens viel schöner und in einem besseren Zustand ist als diese. Sehen Sie hier, bitte.“ Er führte die Kundin zu einem Holzregal, auf dem ein Dutzend verschiedener alter Puppen lagen.

      „Oh, nein, nein, vielen Dank! Das ist nett von Ihnen! Doch wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich mir gern diese Plastikpuppe etwas genauer ansehen“, entgegnete Lisa und lehnte das Angebot des liebenswürdigen Verkäufers ab.

      „Natürlich, keine Frage, ich nehme sie sofort aus dem Schaufenster. Eine Minute, bitte.“ Der nicht mehr ganz junge Verkäufer entschuldigte sich irgendwie unbeholfen und ging zur Vitrine, in der Absicht, von dort eine ziemlich verstaubte Puppe herauszuholen.

      „Ja, ja, natürlich, ich habe es nicht eilig“, antwortete Lisa und ließ ihren ungewöhnlichen Fund nicht aus den Augen.

      Der Verkäufer nahm die Puppe in die Hand, blies leicht den Staub ab und reichte sie vorsichtig Lisa.

      Er selbst kehrte sofort an den Ladentisch zurück. Die ältere Frau hielt mehrere Bücher in den Händen und wollte sie bezahlen.

      Währenddessen schaute Lisa ununterbrochen abwechselnd auf das Foto und die Puppe.

      Mein Gott!

      Natürlich war das die gleiche Puppe!

      Sie hatte sie gefunden! Daran gab es keinen Zweifel. Es war einfach erstaunlich, unglaublich!

      An solch ein Wunder war wirklich schwer zu glauben! Aber wie war die Puppe hierhergekommen?

      „Nun, wie ich sehe, gefällt Ihnen diese Plastikpuppe wirklich sehr. Nicht wahr?“, unterbrach der Besitzer des Antiquitätenladens ihre Überlegungen.

      „Ja, das stimmt, sie fasziniert mich, ich interessiere mich für sie“, antwortete Lisa und hielt ihren ungewöhnlichen Fund fest in den Händen.

      „Darf ich Ihnen eine Frage stellen?“, fragte der Verkäufer und blickte Lisa, die ein wenig verlegen war, vorsichtig in die Augen.

      „Oh ja, so viele Sie wollen! Ich habe mehr als genug Zeit!“

      „Warum interessieren Sie sich ausgerechnet für diese Puppe? Es gibt doch in meinem Geschäft noch viele andere Puppen, die viel schöner und in besserem Zustand sind als diese.“

      „Ich habe eine Gegenfrage an Sie. Wie kam diese Puppe zu Ihnen?“

      „Also, liebes Mädchen, ich antworte gern auf Ihre Frage. Wie Sie sich selbst überzeugen konnten, ist an dieser Puppe nichts Besonderes. Ich habe wirklich seltene, einzigartige Exemplare. Diese Plastikpuppe war in einer alten Couch versteckt, die ich verkaufen musste. Das ist schon die ganze Geschichte. Schon einige Jahre verstaubt sie hier, im Schaufenster meines Ladens. Sie sind übrigens bis heute die einzige Person, die sich je für dieses Spielzeug interessiert hat.“

      „Ich möchte sie kaufen. Obwohl sie nicht so elegant gekleidet ist wie Ihre anderen Puppen, aber sie gefällt mir, ich mag sie“, sagte Lisa voller Überzeugung und strich mit ihren Fingern sanft über das Band am Hals der Puppe.

      „Wissen Sie was?“, sagte der alte Verkäufer und rückte seine Brille auf der Nase zurecht. „Ich schenke Ihnen diese Puppe einfach!“

      „Wie? Warum?“

      „Oh, nehmen Sie, nehmen Sie sie! Sie gehört Ihnen! Ich habe heute gute Laune!“ Er blinzelte fröhlich und schüttelte ihr, sanft lächelnd, zum Abschied kräftig die Hand.

      „Vielen Dank für dieses Geschenk!“

      „Ich bin sehr froh, dass es Ihnen gefällt! Auf Wiedersehen, meine Liebe! Vielleicht sehen wir uns eines Tages wieder!“ Er winkte zum Abschied, ging an den Ladentisch zurück, wo ihn schon der nächste Käufer, entweder eines verlorenen oder aber eines gefundenen Gegenstandes, erwartete.

      Lisa dankte ihm mit einem süßen Lächeln und rannte aus dem Laden, die Puppe fest an ihre Brust gedrückt.

      ***

      Sie kehrte nach Hause zurück, hängte ihr Schlüsselbund an den Haken neben der Tür und betrat das Zimmer. Sie wollte sich gerade auf die Couch setzen, um sich ihren Fund genauer anzusehen, als plötzlich das Handy klingelte.

      In Gedanken legte sie die Puppe auf die Tischkante und ging in den Korridor hinaus, wo ihre Handtasche lag. Von dort war ein Klingelton zu hören, der sie nervte. Und überhaupt hatte sie heute ihren freien Tag. Sie besaß also jedes Recht, sich auszuruhen. Leider verstanden das nicht alle.

      „Ja, ich höre“, sprach sie hastig in den Hörer, ohne die Augen von der Puppe auf dem Tisch abzuwenden.

      „Hallo, Lisa. Wir haben ein kleines Problem. Das Kind einer der Krankenschwestern ist plötzlich krank geworden, deshalb musste sie sofort nach Hause gehen. Leider wurde ein schwerkranker Patient eingeliefert. Könntest du sofort kommen?“

      Oh mein Gott! Das kam gerade total unpassend! Aber da konnte man nichts machen, denn Arbeit war nun mal Arbeit.

      „Ja, natürlich, ich bin gleich da“, antwortete Lisa ohne zu zögern.

      Sie warf sich eine leichte Jeansjacke über und ging zu dem Parkplatz in der Nähe des Hauses, wo ihr Auto geparkt war.

      Erst spät in der Nacht kehrte Lisa nach Hause zurück. Sie betrat die Wohnung, zog ihre Schuhe aus und warf sie in die Ecke.

      Heute war sie so müde!

      Warum kam es immer so: Man hatte einen freien Tag, und konnte ihn nicht so verbringen, wie man wollte?

      Nun gut. Die Hauptsache war, dass sie wieder mal ein Menschenleben gerettet hatte. Alles andere war unwichtig.

      Müde betrat sie das Zimmer, machte das Licht an und blieb regungslos stehen. Die Puppe, die sie heute im Antiquitätengeschäft geschenkt bekommen hatte, lag aus irgendeinem Grund neben dem Tisch auf dem Boden. Aber sie erinnerte sich genau daran, dass sie sie auf dem Tisch liegen gelassen hatte.

      Vorsichtig nahm Lisa die Puppe in die Hand und setzte sich auf das Ledersofa. Endlich hatte sie Zeit, sie in Ruhe zu betrachten.

      Könnte es ein Zufall sein, dass sie genau die Puppe gefunden hatte, die auf dem Foto ihrer Mutter zu sehen war? Ja, manchmal passierten im Leben wirklich unglaubliche Dinge.

      Meine Mutter wird sich freuen, wenn ich ihr diese Puppe ins Gedächtnis rufe! Sicherlich wird sie sich wieder an ihre Kindheit erinnern. Dabei soll sie sich nicht aufregen. Sie hat auch so schon Probleme mit der Gesundheit, dachte Lisa