... und nicht auf den Knien. E.R. Greulich

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Название ... und nicht auf den Knien
Автор произведения E.R. Greulich
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847613268



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in eine Ecke und tat, als lese er.

      Borbach fragte, ob Grundewski Bescheid wisse. Vater Becker winkte ab, an dem sei Hopfen und Malz verloren. Sie stritten eine Weile darüber, denn Borbach meinte, man müsse mit allen Arbeitern sprechen, Fäuste ballen im stillen Kämmerlein nütze wenig gegen den Krieg. Dann holte er eine Zeitung hervor, mit vielen rot angekreuzten Stellen. Vater las sie und wurde immer aufgeräumter. So lebendig hatte ihn Artur lange nicht gesehen. Ausdrücke fielen, deren Sinn er nicht verstand: Revisionisten, Sozialchauvinisten, Baseler Beschlüsse, Gummimann Haase und seine fünfzehn Lendenlahmen, die wieder einmal im Reichstag umgefallen seien. Eins wusste Artur, als er sich müde in seine Kammer stahl: Karl Liebknecht war der Einzige gewesen, der den Kriegsmachern und ihren Helfern im Reichstag die Wahrheit gegeigt hatte. Und in Borbachs Zeitung hatte etwas gestanden, was Liebknecht im Reichstag nicht hatte sagen dürfen: Die Großen mit ihren Generalen logen nur von Vaterlandsverteidigung, in Wirklichkeit wollten sie andere Länder erobern, damit sie noch mehr Menschen unter ihre Fuchtel kriegten, die für sie schuften sollten.

      Artur war stolz auf seinen Helden Karl. Als Einziger gegen ein paar Hundert auftreten, dazu gehörte Mut.

       Seifenblasen zerplatzen

      Jeden Morgen, wenn die Tür hinter Vater zuklappte, begann Arturs "Frühschicht". Rasch sprang er aus dem Bett, wusch sich schnell und goss eine Tasse heißen Malzkaffees hinunter, gesüßt mit Sacharin. Dann griff er nach Kohleeimer, Sack und Hacke. Um diese Zeit kippten die ersten Werkwagen ihre Schlackefuhren ab. Kinder, Halbwüchsige und Rentner stürzten sich auf den staubenden schwärzlichen Dreck. Mit Geschrei machten sie sich die Beute streitig. Manchmal auch mit den Hackenstielen. Im August vierzehn, dachte Artur, als sie mit der Musik marschiert waren, als sie gesungen, gejubelt und sich umarmt hatten, waren die Menschen netter gewesen. Aber jetzt, nach zweieinhalb Jahren, war dies längst verflogen.

      Heute kamen Artur und Kaspar um ein weniges zu spät. Die Bliedinghausener waren ihnen zuvorgekommen und ließen keinen anderen an den Haufen. "Gestern habt ihr's so mit uns gemacht!", schrien sie, obwohl es nicht stimmte. Unrecht zu bemänteln war man nicht faul, es gab genug große Vorbilder im Deutschen Reich.

      Beide spurteten hinüber zum Werk. Sein riesenlanger Bretterzaun hatte Lücken. Dahinter lockte das Gelobte Land, zwischen den Schienen lag kostbares Heizmaterial, beim Rangieren von den Waggons gefallen. Es zu bergen war gefährlich wie Arturs Besuch bei einem Freund von der Kolonne russischer Kriegsgefangener am Martinofen.

      Wladimir wartete schon immer auf Artur, dem er radebrechend erklärt hatte, sein Ältester zu Hause sei mit Artur gleichaltrig. Manchmal drückte Wladimir dem Jungen einen Brotkanten in die Hand. Artur wollte ihn nicht nehmen. Doch dann sah er so viel Enttäuschung in Wladimirs Augen, dass er rasch zugriff. Mindestens jede 'Woche einmal freute sich Artur auf das Wiedersehen mit dem hageren freundlichen Mann aus dem fernen Zarenreich.

      Nach seiner ersten Begegnung mit Wladimir hatte Artur den Vater über Russland befragt. Der sagte, die Zarenpolizei sei noch schlimmer als die deutschen Blauen. Aber von den russischen Arbeitern könnten sich die deutschen eine Scheibe abschneiden. Schon im November vierzehn hätten die Bolschewiki ein Manifest gegen den Krieg herausgegeben. In der "Leipziger Volkszeitung", die Borbach manchmal bringe, habe es gestanden. Von dem Brot erzählte Artur nichts, der Vater hätte bestimmt gescholten.

      Flink huschte Artur durch die Wirrnis des Werkgeländes. Kaspar hatte Mühe, ihm zu folgen. Als Wladimir sie kommen sah, lachte er. Seine weißen Zähne leuchteten im rußigen Gesicht. Hastig bedeutete er ihnen, in der Werkhalle hinter dem Torflügel zu warten, der Posten sei heute "niicht serr gutt." Geduckt, vorsichtig witternd, staunten die Jungen in die lärmdurchtoste Welt von Feuer und Rauch. Wladimir kam und entschuldigte sich, dass er heute keinen "Kahnten Brrott" habe, ihre letzte Zuteilung sei so klitschig gewesen, dass sie schon am nächsten Tag schimmelte. Artur war es peinlich, und er beteuerte, aus Freundschaft gekommen zu sein.

      Stolz zeigte Wladimir einen Brief, den sein Ältester geschrieben hatte. "Gutter Junge", Wladimirs Augen glänzten, "wie du. Err uhnd du, uhnd du", er legte Artur und Kaspar die schweren Hände auf die Schultern, "wenn irr groß, ni- icht brauchen merr in Krigg. Krigg aus. Alle Krigg fürr immerr."

      Wladimir füllte Artur und Kaspar die Säcke mit einigen gewichtigen Brocken, die er versteckt hatte. Dankbar verabschiedeten sie sich und flitzten zur Zaunlücke, in deren Nähe sie Eimer und Hacken versteckt hatten. Wladimir beobachtete, ob sie sicher davonkamen.

      "'ne Uhr müsste man haben", japste Kaspar und fuhr sich mit dem Jackenärmel über das verschwitzte Gesicht.

      "Ja", seufzte Artur. Er hatte das ungute Gefühl, dass sie heute sehr spät dran wären.

      "Wenn mein Onkel Richard fällt, soll ich seine kriegen, hat er gesagt." "Besser, er fällt nicht."

      "Aber so 'ne schöne Stahluhr ist nützlich."

      "Was quatscht du herum. Ein Onkel ist mehr wert als tausend Uhren."

      "Stimmt", gab Kaspar zu, "überhaupt Onkel Richard. Von dem hätte ich nie so viel Senge gekriegt wie von Vater."

      "Aber wenn er dein Vater wär', müsstest du dauernd Angst haben, dass er nicht mehr aus dem Krieg kommt."

      "Hm", bestätigte Kaspar in kindlicher Brutalität, "um solchen Vater müsste man Angst haben."

      Artur schwieg.

      "Der Wladimir, der hat Schwein", sagte Kaspar, "der kann nicht mehr totgeschossen werden."

      "Hat er verdient. Hast ja gehört, er ist auch gegen den Krieg."

      In der Nähe von Leutners Häuschen trennten sie sich.

      "Mach hin", mahnte Artur, "dass du nicht zu spät kommst."

      Mit einem gehetzten Blick auf den verbeulten Wecker in der Küche warf Artur ächzend den Kohlensack ab. Rasch nahm er sein Schulbündel und rannte los. Wenn er das Tempo durchhielt, könnte er noch kurz vor Neblich in die Klasse huschen.

      Noch ehe er sich in seine Bank gedrückt hatte, lachte die ganze Klasse über ihn. "Hast wohl mit der Nase Koks geklopft?", spottete einer.

      Erika Borbach machte aufgeregt Zeichen und zischelte: "Rasch, Taschentuch - Gesicht abwischen!" Flink wollte er den Rat befolgen, doch er suchte umsonst in seinen Hosentaschen. Geschickt warf sie ihm ihr gefaltetes Taschentuch zu. Unter den spöttischen Bemerkungen der andern Mädchen lief ihr feines blasses Gesicht rosa an. Artur fuhrwerkte in seinem Antlitz herum und erschrak, wie schwarz sich das weiße Leinen färbte. Verstohlen beendete er die Prozedur, als Neblich in die Klasse trat. Nach dem Gebet sprach der Lehrer über die Lage an den Fronten. Wie tapfer die deutschen Soldaten die Westfront hielten, wie tief sie im Osten in Feindesland ständen. Und wenn es auch nicht gelungen sei, im ersten Ansturm den Feind niederzuwerfen, der Sieg wäre Deutschland gewiss. Wahrer Patriotismus zeige sich gerade in Zeiten, in denen nicht jeden Tag ein Sieg gemeldet werde. Jetzt könne jeder seine Vaterlandsliebe beweisen: die Eltern, indem sie Kriegsanleihen zeichneten; die Kinder, indem sie mit den andern Klassen wetteiferten, als Erste das Hindenburgbild vollzunageln. Neblich holte hinter dem Katheder ein massives Brett von halber Tischplattengröße hervor, auf dessen Vorderseite der Sieger von Tannenberg in Lack glänzte. Dieses Bild müsse von drei Sorten Nägeln in den vorgezeichneten Farben bedeckt sein, bis der große Feldherr hier so vollständig ehern sei wie in der Wirklichkeit, erklärte Neblich. Ein goldener Nagel koste fünfzehn, ein silberner zehn und ein kupferner fünf Pfennig. In einem Kästchen mit vier Fächern lagen die drei Sorten Nägel, im Vierten, größeren, sollten sich die Groschen und Fünfer sammeln. Neblich machte den Anfang und schlug dem Feldherrn drei goldene Nägel in die hölzerne Stirn. Stolz wandte er sich zur Klasse: "Nun, wer möchte es nachtun?"

      Die meisten kramten eifrig in ihren Taschen.

      "Hier!" Der Klassenerste Reggi meldete sich und durfte vorkommen. Einen Fünfer und vier einzelne Pfennige hatte er zusammengekramt. Auf die Frage Neblichs wünschte er einen goldenen Nagel, er werde die sechs Pfennige morgen nachliefern. Gnädig gestattete es Neblich.

      Vor vaterländischer Aufregung schlug Reggi