Tomoji. Lukas Kellner

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Название Tomoji
Автор произведения Lukas Kellner
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753150796



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Big Four. Eine Welt des Geldes, der Geschäfte, des Verhandelns, des Betrügens, Raubens und Erpressens. Er war ein Meister darin geworden und ihm reichte ein Satz, um Jakob das vor Augen zu führen.

      Was du das letzte Mal getan hast! Er spielte damit auf einen sehr dunklen Abschnitt in Jakobs Leben an.

      Die Kunst war mittlerweile zu seiner einzigen Liebe geworden, doch war das längst nicht immer so gewesen. Ihr Name war Camille und sie war wunderschön.

      Er hatte Camille auf einem Trip nach Frankreich kennen gelernt. Sie war Künstlerin. Er war damals im Begriff, einer zu werden. Sie verstanden sich auf Anhieb, denn alles war so einfach mit ihr. So einfach, wie nur Liebe sein kann. Es war eine der größten Lügen dieser Zeit, dass Liebe kompliziert sei. Wenn es kompliziert ist, dann ist es keine Liebe zu gleichen Teilen und damit nur eine Beziehung, die zuweilen kompliziert und schmerzhaft sein kann, aber um die es nicht allzu schade ist, wenn sie in die Brüche geht. Liebe hingegen ist wirklich, einfach und ergibt sich von allein.

      Sie waren zwei Jahre zusammen. Er hatte ihr mehr anvertraut als irgendeinem anderen Menschen auf der Welt. Sie war es, die ihn dazu ermutigt hatte, seinem Vater zu gestehen, dass er das Studium abbrechen und eine Karriere als Künstler beginnen würde. Sie war es, die ihn weinen gesehen hatte, ihm aufhalf und die Freude an der Existenz zurückgab. Sie war die Eine, der Diamant.

      Dann wurde sie erfolgreich. Dann immer bekannter. Dann verließ sie ihn. Ohne Vorwarnung. Es gab absolut keine Anzeichen, dass sie diesen Schritt gehen wollte, keinen Streit, kein Desinteresse, nichts. Er wusste bis heute nicht genau, was ihre Gründe dafür waren. Sie ließ nicht zu, dass er ihr Fragen stellen konnte. Das machte ihn wütend. Sehr wütend. Sein Hass gipfelte in einer Schlägerei auf einer Künstlerparty in Berlin. Der Typ hatte schlecht über Camille gesprochen. Heute würde Jakob ihm wahrscheinlich beipflichten, aber damals machte ihn das so unglaublich sauer, und das, obwohl sie für ihn die Quelle größter Qualen war. Er hatte dem Kerl zwei Rippen und den Arm gebrochen. Nur durch die teuren Anwälte seines Vaters wurde aus einer längeren Freiheitsstrafe zwei Jahre auf Bewährung und Sozialarbeit.

      „Du wirst jeden Einzelnen brauchen, der glaubt, dass du es nicht gewesen bist. Deswegen wirst du tun, was ich sage. Außerdem wirst du dafür gutes Geld bekommen. Versuch gar nicht erst, mich anzulügen, ich weiß, dass du schon wieder kurz vor dem Bankrott stehst!“

      Jakob hätte ihm die Frage stellen können, wie er zu dem Bild gekommen war und was er mit der ganzen Sache zu tun hatte, doch das tat er nicht. Er wollte es nicht. Sein einziger Wunsch war der, dass er endlich aus seinem Leben verschwand. Er hatte Camille erwähnt und damit etwas in seinem Inneren geweckt, was er so lange erfolgreich weggesperrt hatte. Blanker Hass strömte ihm jetzt wieder durch jede Ader seines Körpers, erfüllte ihn und bäumte sich auf wie Wellen an einer steilen Küste.

      „Wenn ich ja sage, verpisst du dich dann endlich aus der Leitung?“

      Jakob spürte seinen Blick. Obwohl er so weit von ihm entfernt war, konnte er ihn sehen, wie er ihm gegenüberstand, mit bebenden Nasenflügeln und weit aufgerissenen Pupillen. Dann hörte er ihn einmal ausatmen, abfällig, wertend, als würde er auf einen elenden Haufen Kot hinabschauen. Im nächsten Augenblick war er verschwunden. Die Leitung war tot.

      Erst als Jakob sich sicher war, dass sein Bruder ihn nicht mehr hören konnte, begann er zu schreien. Er vergrub das Gesicht in der Couch, begann wie wild auf ein Kissen einzuschlagen, wieder und wieder, bis er sich selber ekelhaft lächerlich fand, weil er gerade in ein Kissen schlug. Spucke klebte an seinem Mund, wie bei einer rüden Dogge. Er sprang auf, begann im Kreis zu gehen, doch es sollte noch einige Stunden dauern, bis er endlich wieder klaren Kopfes war.

       Kapitel 8 - Der Sanftmütige

      „Er war relativ gnädig…“, sagte Andersch und stülpte sich dabei einen hellgelben Latexhandschuh über die rechte Hand.

      „Er hat sie nicht vergewaltigt. Als er ihr das angetan hat, war sie aber noch kurz am Leben“ Er deutete auf die leeren Höhlen, an deren Stelle einst zwei hellblaue Augen eingebettet waren. Marvin und Eliah standen vor ihm. Keiner von beiden war gern in der Pathologie. Der weiß gekachelte Raum mit den drei Edelstahltischen strahlte eine Kälte und Ruhe aus, die sich geradezu gespenstisch auf die Glieder derjenigen legte, die ihn betraten. Da half auch der Gummibären-Kalender nichts, den der Gerichtsmediziner Andersch neben einer Tischzeile mit Laborgeräten an die Wand genagelt hatte. Es war ein Raum des Todes, und trotzdem gegenwärtig eine willkommene Abwechslung zu Eliahs Büro im Präsidium ein paar Straßen weiter.

      Sie hatten die letzten Stunden damit zugebracht, alle Kontakte und Fälle auszuwerten, in die Bolgur involviert war. Nebenher lief stets ein flackernder Bildschirm, der ihnen das Videomaterial der Überwachungskamera zeigte, die in der Eingangshalle zu ihrem Büro installiert war. Marvin hatte sie als ‚sehr berückende Persönlichkeit‘ bezeichnet.

      Sie war Single gewesen, ihren letzten festen Freund hatte sie vor anderthalb Jahren den Laufpass gegeben. Ebenfalls ein Anwalt, der aber in Michigan praktizierte, was ihm ein recht gutes Alibi einbrachte. Ihre Eltern waren bereits informiert worden, die Mutter war seitdem nicht mehr ansprechbar. Es musste sogar ein Arzt hinzugezogen werden, der prognostizierte, dass man frühestens morgen mit ihr reden konnte und auch nur mit äußerster Vorsicht und viel Einfühlungsvermögen. Der Vater hielt sich zurzeit in Peking auf und befand sich momentan in einem Flieger auf den Weg zurück nach Deutschland. Er war immer ein gern gesehener Gast und Berater bei Treffen der Chef-Etage des VW-Konzerns, sprach fließend Chinesisch und kannte sich mit der Kultur im Land der aufgehenden Sonne sehr gut aus, was ihn sogar noch im Halbruhestand unentbehrlich machte. Auf den ersten Blick hatte die Familie keine Feinde, die so weit gehen würden, einen Mord zu begehen.

      „Die hier sind auch definitiv von ihr...“ Andersch hielt einen Augapfel in die Höhe, der neben der Leiche auf dem silbernen Tisch lag. Am Ende war noch ein Ansatz des abgerissenen Sehnervs zu erkennen. Eliah schluckte und klammerte sich am Rand des Tisches fest. Marvin atmete tief durch. Mit den Augen einer Leiche war es immer seltsam. Sie schienen stets ihren Zweck zu erfüllen und hörten nie auf zu sehen, obwohl sie zu einem toten Körper gehörten. Sogar diese Augen, herausgerissen und von ihrem Schutz beraubt, starrten Marvin fortwährend an und verurteilten ihn.

      „Wart ihr heute früh wieder im Eck?“, erwähnte Andersch beiläufig, als hätte er gerade keine augenlose Leiche vor sich. Marvin und Eliah sahen ihn beide fragend an, ohne ihm eine Antwort zu geben.

      „Du hattest bestimmt wieder dein komisches Sonderding-Sandwich, oder?“, grinste Andersch verschmitzt. „Weißt du, was daran witzig ist? Es könnte sein, dass den Speck, den du da immer drauf tust und der dich übrigens eines Tages umbringen wird, dass der vom gleichen Tier kommt, dem eines von denen mal gehört hat.“ Er war einen Tisch weitergewandert und hob eines der Herzen nach oben, die beim Opfer bis vor kurzem noch die Augen ersetzt hatten.

      „Schweineherzen!“, sagte Andersch und gluckste. Marvin und Eliah sagten wieder nichts und der Pathologe bemerkte erst nach geschlagenen Sekunden des Schweigens, dass der Vergleich mit dem essbaren Speck bei seinen Zuhörern nicht durchweg positiv angekommen war. Er räusperte sich und fügte kleinlaut hinzu: „Also haben wir auch wirklich nur ein Opfer. Diese Herzen kriegt man in vielen Metzgereien und meistens ohne Rechnung oder so was. Es wird schwierig werden, die Quelle zu finden.“

      „Okay…“, sagte Eliah und rieb sich dabei die Augen. „Hast du sonst noch was?“

      Als der Pathologe gerade antworten wollte, klingelte ein Telefon. Andersch zog sich die Latexhandschuhe von den Fingern und griff nach dem Hörer, der auf einer Tischzeile zwei Meter von ihnen entfernt stand. Nachdem er sich mit seinem Namen gemeldet hatte, sagte er zuerst lange Zeit nichts und gab dann nur noch ein kleinlautes „Mach ich“ von sich.

      „Palfrader will euch sehen. Sie klingt nicht so happy, ich würde schnell rübergehen.“, meinte Andersch und klang dabei ein bisschen wie ein Kind, mit dem man gerade heftig geschimpft hatte. „Im Moment kann ich euch leider nicht mehr sagen. Ach ja, doch, eins noch. Er hat sie ein paar Mal auf die Wange geschlagen und Chloroform benutzt. Aber das war’s dann auch.“

      Sie verabschiedeten sich halbherzig von Andersch und verließen dann schweigend das Labor. Erst,