Wotans Schatten oder Herr Urban und Herr Blumentritt beschimpfen sich. Jo Hilmsen

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Название Wotans Schatten oder Herr Urban und Herr Blumentritt beschimpfen sich
Автор произведения Jo Hilmsen
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742782397



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der letzten Brandschutzinspektion waren sie als gefährlich eingestuft und kurz darauf aus dem gesamten Verlagsgebäude entfernt worden.

      Der Artikel über die Neuschwabenland-Treffen am Spittelmarkt hatte ihm einige Unannehmlichkeiten bereitet. Insgeheim hatte Winterstein sogar damit gerechnet. Schließlich sprach er in seinem Artikel den Akteuren ihre geistige Zurechnungsfähigkeit ab. Graf von Wiltberg fiel ihm ein. Dieser Typ war nicht koscher, soviel stand fest. Nur in welchem Zusammenhang von Wiltberg mit diesen Spinnern agierte, darüber war sich Winterstein noch nicht im Klaren. Aber in einem war er sich sicher: Freiherr Graf Götz von Wiltberg war gewiss nicht nur das, wofür er sich so gern feiern ließ. Der Mäzen und Förderer der Uckermark.

      Die Untersuchungen zum Tod des siebzehnjährigen Mädchens waren immer noch nicht abgeschlossen. Allerdings ließ die Polizei durchblicken, dass es sich wahrscheinlich bei der Tat um einen Suizid gehandelt hatte.

      All dies ging ihm durch den Kopf, während er an dem Plastikbecher schlechten Cappuccinos nippte, Karl Munkelt zuhörte und sich gleichzeitig fragte, was dieser Trödel-Mensch ihm für Material verkaufen wollte. Er wagte es zwar kaum zu hoffen, aber vielleicht öffnete sich ihm eine neue Tür. Obwohl er es sich nur ungern eingestand: Im Moment trat er ein bisschen auf der Stelle.

      „Um was für Material handelt es sich denn?“ Winterstein sah aus dem Fenster und wartete gespannt.

      „Nun ja… Es geht um eine Schweinerei.“ Karl Munkelt hielt kurz inne, als würde er sich für eine alberne Bemerkung schämen.

      „Eine Schweinerei? Ist für Schweinereien nicht die Polizei zuständig?“

      „Hören Sie, ich habe in den letzten Tagen einiges durchgemacht. Wie wär´s, wenn Sie einfach mal herkommen und sich das Zeugs selber anschauen? Ich will nämlich damit nichts mehr zu tun haben. Entweder Sie und Ihre Zeitung kaufen oder lassen es bleiben. Sie wissen ja, wo Sie mich finden.“ Karl Munkelt legte verärgert auf und Daniel Winterstein kratzte sich verlegen die Stirn. Was ist nur in mich gefahren? Dachte er. Warum war ich so schnippig und unprofessionell? Das Telefon klingelte abermals.

      „Winterstein.“

      „Hier ist Munkelt. Tut mir leid.“ Daniel atmete erleichtert auf.

      „Ich glaube, ich bin derjenige, der sich zu entschuldigen hat“, sagte er sofort, „offen gestanden habe ich auch einiges erlebt, seit dieser Artikel erschienen ist.“

      „Sie wurden bedroht, richtig?“

      „Kann man so sagen.“

      Munkelt machte ein Geräusch, als würde er mit der Zunge schnalzen.

      „Ich wusste es. Ich habe Ihren Artikel eigentlich nur zufällig gelesen. Normalerweise bin ich kein großer Zeitungsleser, wissen Sie. Sonntags kaufe ich mir ab und an den Tagesspiegel oder blättere in den ausgelegten Zeitschriften oder Zeitungen im Wartezimmer meines Zahnarztes herum, um meine Nervosität zu überspielen, wenn Sie verstehen… Die Berliner Zeitung steht bei mir nicht ganz oben. Nehmen Sie es nicht persönlich.“

      „Keineswegs“, antwortete Daniel Winterstein und unterdrückte ein kleines Lachen.

      „Jedenfalls lag die Berliner Zeitung bei meinem Zahnarzt aus. Und so kam ich zu Ihrem Artikel.“ Karl Munkelt sog tief Luft ein.

      „Sie beschreiben in Ihrem Artikel ein Symbol, was bei dem Treffen auslag. So etwas wie ihr Erkennungszeichen, vermutlich. Und genauso ein Symbol habe ich neulich gesehen. Bei der Schweinerei… Außerdem habe ich ein bisschen auf eigene Faust recherchiert und habe da so einiges entdeckt, nun ja. Aber das ist noch nicht alles. Sie nannten Namen… Und einer von denen ist jetzt tot. Oder zumindest glaube ich, dass er jetzt tot ist.“

      Daniel Winterstein schwieg eine Weile, bevor er antwortete. „Sie machen mich sehr neugierig.“

      „Das ist gut. Wollen wir uns treffen?“

      „Gern. Wenn Sie damit einverstanden sind, komme ich zu Ihnen in den Laden ist.“

      „Bin ich. Wann?“

      „Heute?“

      „Okay. 20 Uhr.“

      „Gut. Bis dahin.“

      Winterstein legte auf und schlürfte einen letzten Schluck Cappuccino. Mit angewidertem Gesicht und einem gezielten Wurf beförderte er den Plastikbecher in den Papierkorb unter seinem Schreibtisch. Die Tür wurde geöffnet und Nina Rossius schob ihren Kopf herein. Nina war eine Kollegin und Freundin von Winterstein. Sie leitete die Sportredaktion. Seit sich Hertha von einem Sieg zum nächsten spielte, waren diese Seiten fast zum wichtigsten Teil der Berliner Zeitung avanciert. Es war, als wäre die ganze Stadt plötzlich Hertha-BSC-Fan geworden. Die Leute aus der Sportredaktion kamen gar nicht mehr hinterher mit all den Interviews, Hintergrundinformationen und Spielerporträts, die man nun von ihnen erwartete. Sogar zwischen den Spieltagen gierten die Berliner nach Informationen über ihre neuen Lieblinge. Ein absolutes Novum. Und es kam noch besser. Auch bei den Eisernen, Union Berlin, in Köpenick lief es derzeit geradezu fantastisch. Nina lief seit Wochen mit glänzenden Augen herum. So einfach konnte das Leben sein. Blöd nur, dass der Fußballgott so launisch war.

      „Grüß dich“, sagte sie und trat ein. „Darf ich?“

      „Klar.“

      „Union steigt in die zweite Liga auf, wollen wir wetten?“

      Winterstein interessierte sich nicht besonders für Fußball, aber die derzeitige Euphorie ließ auch ihn nicht kalt. „Und Hertha wird deutscher Meister, ich weiß.“ Daniel grinste.

      „Du solltest dich einfach mal überreden lassen, mit mir ins Stadion zu gehen, mein Lieber, dann würdest du die Dinge ernster nehmen.“ Winterstein schüttelte den Kopf.

      „Keine Chance, Nina. Menschenansammlungen verursachen bei mir Hautjucken und Brüllaffen Schweißausbrüche.“

      „Brüllaffen, ha. Die Hertha-Fans sind Barden.“

      „Und die Gegner?“

      „Die sind die Brüllaffen.“

      So hätte es stundenlang weiter gehen können, aber Daniel hatte es eilig. Er wollte vor seinem Treffen mit Munkelt unbedingt noch einmal seinen Artikel lesen, um sich die gesamte Szenerie noch einmal zu vergegenwärtigen. Er war sehr gespannt, was für Material ihm der Trödelhändler verkaufen wollte, und er war gespannt, wer dieser vermutlich tote Mann sein könnte.

      Daniel sah zu seiner besten Freundin. „Ich hatte vorhin ein Telefonat, bei dem mir jemand ein sehr brisantes Material verkaufen will. Neuschwabenland.“ Das Stichwort genügte, dass über Ninas Gesicht ein Schatten huschte. „Glaubst du, der Alte ist zurzeit bereit, ein bisschen Kohle für einen Informanten lockerzumachen? Scheint irgendeine Schweinerei zu sein, wie der Typ sich ausdrückte.“

      Nina Rossius erinnerte sich noch sehr genau, wie Daniel Winterstein erbleicht war, als der erste Drohanruf in der Redaktion eingegangen war.

      „Willst du nicht lieber die Finger davon lassen. Ich fürchte, mit diesen Typen ist nicht zu spaßen.“ Winterstein blickte kurz zu Boden und dann aus dem Fenster. Der Himmel über Berlin war strahlend blau, durchzogen von zwei, drei Kondensstreifen von Flugzeugen, die wahrscheinlich in Tegel gestartet waren. Er erinnerte sich an das Neuschwabenland-Treffen. Einer der Teilnehmer, ein Mann Mitte Sechzig mit einem starken Berliner Akzent, war plötzlich aufgestanden und hatte lauthals verkündet: Die Leute sind janz einfach blind, die Boten von Neuschwabenland patrouillieren längst über Berlin. Immer von Nord nach Süd oder von Süd nach Nord. Ick brauch bloß de Jondensstreifen am Himmel anzukieken. Bei dem allgemeinen zustimmenden Nicken im Podium, hatte sich Winterstein verwundert die Augen gerieben. Dieser haarsträubende Blödsinn war durch nichts zu überbieten, dachte er. Jetzt machte er ein ernstes Gesicht.

      „Nein“, sagte er fast trotzig. „Ich werde sogar weiter recherchieren. Die krieg ich dran. Das schwöre ich dir. Und als Ersten diesen aufgeblasenen Freiherr Graf von Wiltberg.“

      „Nun