Die Entleerung des Möglichen. Reinhold Zobel

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Название Die Entleerung des Möglichen
Автор произведения Reinhold Zobel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753181400



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am Rapzodie bestimmt hatten, es ging um etwas anderes. Es ging letztlich darum, wer im Revier der Platzhirsch war, er oder dieser bretonische Rotfuchs.

      “Wann sind Sie eigentlich zu Ferenczy gekommen?

      “Knapp ein Jahr, bevor Sie im Gouffre Bleu angetreten sind.

      “Und vorher?

      “War ich Caller... Sie wissen, was das ist?

      “Nicht wirklich.”

      “Es war meine Feuertaufe, bezogen auf die nachfolgende Tätigkeit als Vortänzer. Ein Caller ist ein Ansager, ein Tanzmeister für Square Dance. Das gibt es auch hierzulande. Die Wurzeln dieses angloamerikanischen Volkstanzes liegen sogar, sagt man, in Frankreich, gehen ursprünglich auf die Quadrille zurück und wurden später zum so genannten Contredance veredelt. Es gibt, was Sie vielleicht interessieren wird, darauf fußende Kompostionen im Bereich der klassischen Musik, so finden sich etwa bei Beethoven einige Tänze, die der Tradition dieser Tanzbewegung verpflichtet sind, einer davon in der Eroica.

      “Interessant. Und warum haben Sie nicht weiter gemacht?

      “Ich bin nicht der klassische Vereinstyp. Und das Amt übernahm ich des Geldes wegen, nicht aus Passion.. Eines Tages hat man mich hinaus geworfen, zu recht.

      Für das, was Oscar an Redefluss von seinem Gegenüber gewohnt war, grenzte der voran gegangene Wortbeitrag bereits an Geschwätzigkeit. Er hätte gern einiges mehr erfahren über das, was Garcia-Varga an Kenntnissen in Bezug auf Mohun in seinem geistigen Schließfach verwahrte, doch folgte ihr Gespräch anderen Bahnen, ehe es schließlich ausdünnte und zum Erliegen kam…

      Sie saßen sich gegenüber gleich Asteroiden in einer anonymen Punktwolke. Fixsterne schickten ihr Licht, dieselben, die schon die Zusammenkunft der beiden Männer an tunesischen Tischdecken begleitet hatten, nun erneut zu Gast bei ähnlichen wie bei anderen Themen.

      “Sie hatten wohl keine behütete Kindheit, Monsieur?

      “Wie kommen Sie darauf?

      “Sie erwähnten vorhin kurz ihr Elternhaus. Es klang bitter... Das meine war allerdings auch keine Idylle.

      “Hat man sie hart angefasst?

      “Mein Vater war Privatgelehrter, ein strenger eitler Mann. Wenn er mich demütigen wollte, sagte er: Ich bin Etwas und du bist Nichts. Du musst erst noch Etwas werden. Wenn ich dich nicht hätte, änderte sich nichts, denn nichts kann man nicht von etwas abziehen. Ich war also, soviel hatte ich begriffen, eine Null. Andere aber, dachte ich mir später, brauchen die Null, die für sich nichts ist, um selber Größeres zu sein. Das ist ein Anfang. Eines Tages tritt hoffentlich mehr hinzu. Aber man muss abwarten können, warten, bis die eigene Stunde gekommen ist.”

      Oscar schwieg dazu, fühlte sich aber, als er dieses vernahm, sonderbar ertappt. Ich habe, dachte er und noch zu Teilen nüchtern, den Mann doch unterschätzt.

      Während zwischen Garcia-Varga und ihm die Wortbeiträge seltener zu werden begannen, mehr Hohlraum lassend für Abschweifungen des eigenen Geistes, spürte Oscar diesem Gedanken noch einmal nach. Schließlich äußerte er dann, schon um seinem Gegenüber darin zuvorzukommen, den Wunsch, aufzubrechen.

      “Wird man einander noch einmal sehen?

      “Hm, ich gebe nur ungern Versprechen ab… auf die Zukunft.

      “Ich hoffe jedenfalls, dass diese Ihnen bringt, was Sie sich, ehm, von ihr erwarten.

      “Danke, Monsieur. Ich will lediglich das, was mir zusteht.

      Kapitel 7

      Die Idee mit Biarritz stammte ursprünglich von Timo Wüstenfeld. Aus irgendeinem Grunde, der sich später im Dickicht ideengeschichtlicher Ungenauigkeiten verlor, war ihm der Ort positiv aufgefallen, insbesondere im Zusammenhang mit vereinzelten, gequälten Seelen, die sich nach Ruhe und innerer Einkehr sehnten. Das mit der Ruhe stimmte, wie sich zeigen sollte.

      “Du hast mich damals ja quasi dorthin gelotst.

      “War es denn so schlimm, Oss?

      “Was hatte dich eigentlich bewogen, diesen locus vorzuschlagen?

      “Habe ich, ehrlich gesagt, vergessen.

      “Vergessen... so, ah ja.

      “Aber sagtest du nicht seinerzeit, der Aufenthalt hätte dir einiges an Einsicht gebracht?

      “Das war nicht dem Ort zuzuschreiben.

      “Sondern?

      “Erzähle ich dir ein anderes Mal.

      Oskar will darüber nicht reden. Es ist schließlich eine Art Geheim-Dossier. Eine Sache, die nur ihn etwas angeht, bis auf weiteres, bis die Zeit reif ist… Ulkig! Da macht man - die Umstände wollen es so - eine Entdeckung, findet mehr daran als nur interesseloses Wohlgefallen, weiß jedoch zunächst nicht, wozu sie gut ist, ergo hält man sie unter Verschluss, einstweilen.

      Er hat den Freund zu einem Spaziergang mit an den Strand genommen. Constanze ist mit der Nachbarin nach Bordeaux gefahren, zum Schuh-Einkauf. Timo will einen Tag länger bleiben als geplant. Sie können sich also in Ruhe austauschen. Was sie tun. So wie damals, als Oskar sich für eine Weile eine eigene Wohnung nahm, weil es mit seiner Frau unter einem gemeinsamen Dach für ihn nicht mehr auszuhalten war. Er traf sich ab und an mit Timo, um sein Herz auszuschütten, nicht sein ganzes, dazu war er zu vorsichtig und auch zu gut erzogen.

      Dann buchte er einen Flug, setzte sich gen Süden ab. Er floh. Die Situation in seiner Ehebeziehung war festgefahren. Im Grunde war es ihm egal, wohin die Reise ging. Er wollte auch nicht unbedingt weit weg. Er wollte nur anderswo sein. Das Ziel entsprang, angeregt durch den Freund, am Ende einer Zufallslaune. Zwischen Constanze und ihm lagen bald mehr als 1000 km Luftlinie. Aber die innere Distanz war größer.

      “Du bist eben kein systematischer Mensch."

       "Wer ist das schon.”

      Timos Antwort tönt an den Rändern trotzig. Seine Zehen löchern den Sand, der feucht ist. Möven kreisen hoch. Die Schuhe sind im Auto. Timo wollte es so, nämlich, dass sie mit dem Auto ans Wasser fahren. Fahrräder liegen ihm nicht. Und er fährt gern offen bzw. läßt sich fahren.

      Die Strecke vom Haus zum Strand ist kurz und blitzt im Morgenlicht, und so ist auch das Vergnügen daran. Timo hat keinen Führerschein. Am liebsten fliegt er. Auf Schiffen wird ihm oft übel. Oskar schaut auf die Füße des Freundes. Sie sind, wenngleich massiv, dennoch wohlgeformt.

      Wie sind sie jetzt nur darauf gekommen, darüber zu reden, dass sie einmal an einem gemeinsamen Projekt gearbeitet haben?

      “Lassen wir das Thema,Timo.

      “Es lag auch an deinem Partner, damals. Ich konnte nicht mit ihm und er nicht mit mir.

      “Ich habe zwei Partner… Du meinst sicher Berg?

      “Den meine ich. Ein Zementkopf, stur und pedantisch. Was schätzt du eigentlich an ihm?

      “Er hat einen sauberen Geradeauslauf.

      “Nun, egal. Es ist lange her... ? Was machen