Blut für Gold. Billy Remie

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Название Blut für Gold
Автор произведения Billy Remie
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752923964



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Mantel wagte er es schließlich, im trüben Winterschein hinaus zu gehen. Der Tau hatte die Ruinen weiß getüncht, die Straßen waren glatt vom Frost, und der Himmel hatte sich nach dem Sonnenaufgang beinahe augenblicklich mit hellgrauen Wolken zugezogen. Doch es war windstill geworden, wodurch die feuchte Kälte einigermaßen erträglich war.

      Dennoch spürte Darcar deutlich bei jedem Schritt, wie steif seine Gliedmaßen waren, als ob sich der Frost auf seine Gelenke gelegt hätte. Er wusste, dass er und sein Bruder dringend ins Warme und Trockene mussten, eine weitere Nacht würden sie nicht überstehen. Nicht, ohne Schäden zu nehmen. Und er ahnte, dass bereits eine Erkältung sie umbringen könnte, denn sie würden hier wohl kaum eine Apotheke oder einen Arzt finden.

      Nein, ihr Leben hatte sich von Grund auf verändert. Es war, als ob man sie in der Wildnis ausgesetzt hätte. Die Gebäudekulisse war nur ein Trugschluss, ebenso gut hätten sie im Wald gestrandet sein können. Bis auf, dass sie in der freien Natur vermutlich viel mehr Pflanzen und Tiere, aber vor allem saubere Wasserquellen gefunden hätten. Das Rattenloch war ein Todesloch.

      Seit dem Morgen knurrte Darcars Magen lautstark und unaufhörlich. Obwohl sich seine Glieder steif anfühlten, war er schwach auf den Beinen. Doch er verspürte noch immer keinen Appetit, wenn er an Essen dachte, wurde ihm übel. Nur der Durst war nagend.

      »Bleib dicht an meiner Seite«, sagte er zu Veland. Er hatte ihn nicht noch einmal allein lassen können, vermutlich hätte Veland ohnehin lautstark protestiert und wäre ihm einfach gefolgt. Nun liefen sie dicht an dicht durch die leergefegten Straßen. Darcar fühlte sich bei Tag wesentlich sicherer als bei Nacht. Er hoffte darauf, dass die Banden erst bei Einbruch der Dämmerung aus ihren Löchern krochen. Dann würden er und Veland längst wieder in ihrem Versteck sein. Er überlegte auch, die Bibliothek zu verlassen und jeden Tag ein neues Lager in einem anderen Unterschlupf zu suchen, immer wandernd, um das Risiko, entdeckt zu werden, zu minimieren.

      Darcar versuchte, sichere Wege zum Kanal zu finden, doch dadurch verlief er sich, da die Ruinen bei Tageslicht anders aussahen als bei Nacht. Wobei er gestehen musste, dass er nicht so clever gewesen war, gestern auf seinen Weg zu achten, er war schlicht vor jedem Geräusch davongelaufen, ohne sich etwas einzuprägen. Schließlich mussten sie doch einige Male über Sackgassenmauern oder durch eingeschlagene Fenster klettern und auf Zehenspitzen verlassene Gebäude durchqueren, um zum Rande des Viertels zu gelangen. Veland beklagte sich nicht darüber, dass Darcar ihn durch die Ruinen führte und ihn immer wieder hochhob, um über Hindernisse zu klettern. Er war dick eingepackt in seinen dunklen Wollpullover und seinen langen Schal, den Darcar so oft um seinen kleinen Hals gewickelt hatte, dass der bauschige Stoff Vs kleinen Kopf regelrecht verschluckte. Rosig, lieblich leuchteten seine zarten Wangen und die Stupsnase, Atemwolken traten aus seinen rissigen Lippen. Darcar wünschte, er hätte Melkfett auftreiben können, um Vs blutige, rissige Lippen damit einzucremen. Hin und wieder blieb er trotzdem stehen, um im warmen Schutz eines verlassenen Hauses Velands kleine Hände in seine zu nehmen, sie sacht zu reiben und solange anzuhauchen, bis sie sich nicht mehr wie Eiszapfen anfühlten. Es war beängstigend, wie schnell sie eiskalt wurden, doch Veland behauptete, es gar nicht zu bemerken, wehrte sich jedoch auch nicht gegen Darcars Führsorge.

      Als sie endlich am Kanal ankamen, stahl sich ein Sonnenstrahl durch die Wolkendecke und glitzerte auf dem Wasser. Die Nacht war wärmer gewesen als die Nächte zuvor, denn die Eisdecke war aufgebrochen und auf der Wasseropferfläche schwammen nur noch vereinzelte Platten dünnes Eis.

      »Bleib hier«, sagte Darcar zu Veland und deutete auf die verrostete Eisenstühlen in romantischer Optik, die noch vor einem verlassenen Kaffeehaus standen. V ging zögerlich dorthin, aber blickte immer wieder zurück zu Darcar, als befürchtete er jeder Zeit, dieser könnte davonlaufen.

      »Ich bin direkt hier«, versicherte Darcar und deutete zum Bordstein, der neben dem Wasserkanal entlangführte. »Ich bleib in deinem Blickfeld.« Er wollte nur nicht, dass Veland in das eiskalte Wasser fiel.

      Dieser Ort wirkte bei Tag viel größer, die andere Seite, wo sich die Mauer auftat und einen langen Schatten ins Viertel warf, wäre nur mittels eines Bootes oder einer Brücke zu erreichen gewesen. Darcar stand bei diesem Wetter wenig der Sinn, zu schwimmen. Doch selbst, wenn er wagemutig genug gewesen wäre, hinüber zu gelangen, hätte ihn die hohe Mauer vor ein buchstäblich unüberwindbares Hindernis gestellt.

      Es gab keinen Ausweg.

      Und dennoch konnte Darcar nicht aufhören, die Mauer immer wieder kritisch zu betrachten, wie einen Feind, den er studierte. Er ging zum Wasser und hockte sich an den Rand des Kanals. Er musste sich nicht weit hinunter bücken, er war randvoll. Allerdings war der Topf so stark geschwärzt, dass er ihn erst einmal auswaschen musste. Das dauerte länger als vermutet und Darcar verzweifelte bereits, weil er den Ruß trotz aller Mühe nicht weggewaschen bekam. Und das Wasser war so eiskalt, dass es ihm die Finger abzufressen drohte. Immer wieder musste er innehalten und seine Hände unter seinen Achseln aufwärmen. Dass es mal solch eine Tortur sein würde, nur um etwas zu Trinken zu bekommen, hätte er in seinem Leben niemals gedacht. Ein Glas Wasser. Es war für ihn selbstverständlich gewesen, ein Glas Wasser zu bekommen und es auszutrinken, wann immer er Durst hatte. Nun würde er beinahe töten dafür, um seinen und Velands Durst zu stillen.

      Eine Bewegung im Augenwinkel ließ ihn erschrocken das Gesicht herumwerfen, sodass ihm seine schwarzen Haarspitzen in die Stirn fielen. Er blinzelte, da er das Gesehene für eine Illusion hielt. Doch er irrte sich. Was er sah, war vollkommen real.

      Ein Junge, etwa siebzehn, aschblondes Haar, das dringend an den Seiten und im Nacken gestutzt werden müsste, balancierte mitten auf dem Kanal auf einem Floß und stach mit einer selbst gebauten Harpune aus alten Eisenresten und einem Fahnenmast nach Ratten, die im Wasser schwammen.

      Als Darcar die Tiere bemerkte, die fast so groß wie Katzen waren und von dem anderen Jungen unabsichtlich in seine Richtung getrieben wurden, schnellte er vor dem Kanal zurück, als hätte das Wasser nach ihm geschnappt. Er verlor das Gleichgewicht und fiel auf den Hintern, den Topf hatte er in der Luft losgelassen, sodass er lautscheppernd neben ihm auf den Boden schlug.

      Mit wildpochendem Herzen starrte Darcar erst den Topf an, bis er still liegen blieb, und hob dann nervös den Blick. Der Junge auf dem Floß hatte ihn bemerkt und starrte mit leicht gerunzelter Stirn zu ihm rüber. Er trug abgefressene, braunweiße Lumpen, doch sie wirkten genauso erstaunlich sauber wie sein beinahe milchweißes Gesicht. Sein Blick war nicht sonderlich überrascht, nur neugierig, ein wenig kritisch, aber interessiert.

      Darcar kam es so vor, als hätte er ihn schon einmal gesehen und da bemerkte er auch die Mühle am Ende des Kanals. Ihr großes Rad stand still, sah morsch und angefressen aus. Vielleicht war er der Junge, der ihn in der Nacht zuvor angesprochen hatte, und vor dem er geflüchtet war. Bei Tag wirkte er wenig bedrohlich, eher wie ein typischer Straßenjunge, ein Bettler, den man leicht ignorieren konnte. Nicht wie ein schattenhaftes Monster, das ihn sofort angreifen und zum Spaß quälen wollte, wie es ihm sein aufgewühlter Verstand in der Dunkelheit zuerst vorgegaukelt hatte. Nein, kein Mörder, nur ein Junge auf Rattenjagd.

      Hatte er etwa vor, die Biester zu verspeisen?

      Darcar durchzog ein solch großer Ekel, dass er sich innerlich schüttelte. Er wusste über Ratten nur, dass sie allerlei Krankheiten übertrugen. Für ihn kam es einem Selbstmord gleich, eines dieser Biester zu verzehren.

      So verzweifelt war er nicht.

      Nun ja… noch nicht.

      »Das solltest du nicht trinken«, rief ihm der Junge mit honigwarmer Stimme. »Koch es vorher gut ab, sonst wirst du einer von denen.«

      Von denen? Darcar hatte keine Ahnung, was er damit meinen könnte, aber er hatte bestimmt nicht vor, das Wasser einfach so zu trinken!

      Böse darüber, dass der andere ihn für einen naiven Dorftrottel hielt, rappelte er sich auf und hob den Topf vom Boden.

      »Darc?« Veland stand plötzlich auf der Straße hinter ihm, verloren, winzig, er hatte den Fremden bemerkt und blickte unsicher zwischen ihnen hin und her.

      »Bleib, wo du bist!«, befahl Darcar ihm streng, wütend vor Sorge.

      Der