Blut für Gold. Billy Remie

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Название Blut für Gold
Автор произведения Billy Remie
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752923964



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froh, diesem Ort für immer den Rücken kehren zu können. Vor allem als er sah, dass Veland über die Schulter blickte und den schwarzhaarigen Jungen erneut anstarrte, der aufgestanden war und ihnen verwundert nachsah.

      Wenn Darcar Veland vor dem Schicksal bewahren konnte, dass diesem Burschen dort drohte, dann hatte er bereits alles richtig gemacht.

      Zumindest hoffte er das.

      Doch was ihn im Rattenloch erwartete, wusste er natürlich nicht. Und er hätte es sich in seinen schlimmsten Alpträumen auch nicht ausmalen können.

      Kapitel 3

      Die Mauer überragte die Dächer aller Gebäude und war so breit wie drei eng stehende Ackergäule. Die Tore aus engen Gittern, von denen die schwarze Friedhofsfarbe abplatzte. Bewacht wurden sie von zahnlosen, verwahrlosten Wächtern, die ein gefährliches Glitzern in ihren Augen trugen, wie man es nur von ausgekochten Schlitzohren kannte. Und tatsächlich luchsten sie Vic noch einen Batzen Noten aus dem Sekel, damit Darcar und Veland ihr letztes Hab und Gut behalten konnten. Dabei handelte es sich lediglich um die Kleidung, die sie trugen. Die Wächter hatten ihnen sie abnehmen und sie in Lumpen stecken wollen. Das Letzte, was Vic für die tun konnte, war, ihnen ihre Kleidung zu ermöglichen – wobei das bei Darcar nicht sehr viel Stoff war. Er fror noch immer bitterlich, biss aber die Zähne zusammen. Irgendwo in seinem Kopf keimte die kindliche Hoffnung, dass es wärmer werden würde, sobald sie ihre neue Unterkunft erreichten. Dann würde er ein Feuer im Kamin machen und sich solange mit Veland davorsetzen, bis sie auftauten. Um Essen würde er sich am nächsten Tag kümmern, ihm war ohnehin noch immer übel.

      »Damit tut Ihr ihnen keinen Gefallen«, warnte der nach Verwesung stinkende Wächter, als er die Scheine in seine zerfressene Lumpenjacke steckte. Von Mitleid konnte bei ihm keine Rede sein, er grinste dreckig und leckte sich über die spröden Lippen, die von der trockenen Winterkälte rissig und blutig waren. »Man wird sie ausrauben, da haben sie noch keine drei Schritte gemacht.«

      Velands Kopf schoss zu Darcar hoch.

      »Der will dir nur Angst machen«, flüsterte Darcar zu seinem Bruder und drückte ihm beruhigend die Schulter. »Außerdem bin ich bei dir, ich passe auf dich auf, in Ordnung? Ich schwöre es!«

      Veland nickte zögerlich. Es war nicht so, dass er Darcar nicht vertraute, er hatte einfach nur furchtbare Angst und fragte ständig, wann Vater sie holen käme.

      Vic wandte sich ein letztes Mal zu ihnen um, als der Wächter einen großen Schlüssel ins schmale Gitter steckte und das Tor – das wie eine Friedhofspforte aussah – quietschend aufzog.

      Darcars Herz raste, äußerlich blickte er kühl drein.

      »Nimm das«, flüsterte Vic ihm zu und steckte Darcar etwas in den Hosenbund, zog dann den Mantel streng darüber. Darcar musste nicht nachsehen, der spürte an seinem Bauch die kalte Klinge, er nickte überrascht – und benommen, weil ihm der Ernst seiner Lage immer deutlicher bewusstwurde. Er fühlte sich, als ob er gleich in eine Kampfarena gestoßen wurde. Ein Kampf auf Leben und Tod. »Passt auf euch auf.« Vic hatte Tränen in den Augen.

      Hilf uns doch, wenn dir so viel an uns liegt, dachte Darcar wütend. Auch wenn er wusste, dass selbst dem Sheriff die Hände gebunden waren. Immerhin war auch er nur ein Handlanger des Schwarzen Rates. Und der Rat hatte gesprochen.

      »Es tut mir so leid, mein Junge«, beteuerte er und drückte zum Abschied Darcars Schulter, wuschelte durch Velands Haar. »Ich werde versuchen, euch Essen reinbringen zu lassen.«

      »Mach dir keine Umstände«, entgegnete Darcar gleichgültig. »Vergiss uns einfach, wir sind nur Verbannte.«

      Bevor Vic noch etwas sagen konnte, packte Darcars Velands kleine Hand und zog ihn durch das Tor. Er blickte nicht zurück, nur nach vorne.

      »Was soll das heißen?« Velands Stimme zitterte verwirrt. »Warum sagst du, dass wir Verbannte sind?«

      Darcar blieb nach drei Schritten stehen, sie befanden sich auf einem ehemaligen Friedhof und vor ihnen erhoben sich die Trümmer eines uralten Stadtteils. Er betrachtete seine neue Heimat.

      »Weil wir es sind«, antwortete er seinem Bruder.

      Dieser brauchte einen Moment, um es sich einzugestehen, klappte den Mund zum Protest auf, erkannte aber an Darcars harter Miene, dass er keinen bösen Schabernack mit ihm trieb. Tränen schwammen in seinen großen whiskyfarbenen Augen, als er endlich zu verstehen begann. Er folgte Darcars Blick und wirkte verloren, als er ihn über die Gebäude schweifen ließ, die wie abgebrochene Drachenzähne aus dem Boden emporragten.

      »Ich habe Angst, Darc«, flüsterte er dann.

      Darcar spürte einen Kloß im Hals, er drückte fest die kalte Hand seines Bruders. »Ich auch, V.«

      *~*~*

      Als sie vorsichtig und schreckhaft durch die leeren Straßen gingen, kam ihnen dieses Viertel immer geisterhafter vor. Nicht einmal Ratten liefen ihnen über die Füße, und mehr als das Rauschen des Windes war nicht zu vernehmen. Niemand wies sie einer Unterkunft zu, der Wächter hatte ihnen nur geraten, sich schnell in einer unbewohnten Ecke zu verstecken und sich ruhig zu verhalten.

      Sie waren nun vollkommen auf sich gestellt. So allein hatte Darcar sich noch nie gefühlt, und allmählich wurde ihm die Verantwortung für Veland zu viel. Er wollte seinen Bruder beschützen, gleichzeitig wusste er nicht einmal, wie er sich selbst schützen sollte. Das Messer in seinem Hosenbund schenkte ihm vermeintliche Sicherheit. Aber das letzte Messer hatte ihm auch nicht dabei geholfen, die Uniformierten von seinen Brüdern fern zu halten. Und nun waren sie auseinandergerissen. Es gab nur noch ihn und Veland, Darcar wünschte, er hätte auch ihn bei Evi lassen können. Evi ging es bestimmt besser als ihnen, da war er sich sicher, und allein das schenkte ihm Mut.

      Es war kalt und gespenstig, als ob die Toten hier hausten und sie aus den dunklen Ecken der Ruinen mit Blicken verfolgten. Darauf wartend, sie von hinten anfallen zu können. Darcar zog V an der Hand mit sich, er hatte durchgehend eine Gänsehaut und schreckte bei jeder Bewegung im Augenwinkel herum. Meist war es nur ein verirrter Vogel oder eine Schneeflocke, die ihm auffiel, aber auch mal ein zerrissenes Tuch, das vom Wind über den vom Tau glitschigen Bordstein geweht wurde.

      Es war seltsam hell an diesem Ort, heller als in der restlichen Stadt. Doch das vermehrte Licht rührte bloß daher, dass die aneinandergereihten Häuser oft bis auf das Erdgeschoss eingestürzt waren und keine Schatten mehr warfen. Das Viertel wirkte wie befreit von der Gewaltigkeit und der Dichte der Stadt.

      Darcar konnte aber tatsächlich noch die Geschäfte von den Wohnhäusern unterscheiden, ein paar Schilde lagen auf dem Boden, verwitterte Lettern kündeten noch von Schneidern, Schmieden, Büchsenmachern und Gemischtwarenhändlern. Es gab ein Theater, das stand noch beinahe vollkommen intakt zwischen zwei ausgebrannten Saloons. Eine Kutsche stand in einer Sackgasse, die Knochen des Pferdes lagen fein säuberlich abgenagt davor und trugen noch das Gespann. Veland drückte sich ängstlich an Darcar, der schnell weiter ging.

      Es gab auch einen Uhrenturm, der aus dem zerstörten Viertel emporragte und auf der Südseite eingestürzt war, ansonsten aber intakt schien. Nur die Uhr war stehen geblieben. Darcar kannte diesen Turm, man konnte ihn, so wie alle anderen Uhrentürme, in der ganzen Stadt sehen. Jedes Viertel hatte seine eigene Uhr – aber niemand würde herkommen, um die im Rattenloch zu restaurieren oder abzureißen. So ragte der Turm über alle Zeitalter hinweg wie ein Mahnmal aus den Ruinen empor und warnte alle Kinder, sich zu benehmen, oder dort zu landen, wo das löchrige Ding gen Himmel ragte. Er schien nicht vom Feuer erfasst worden zu sein, seine Fassade war aus grauem Backstein gemauert, die Zeit hatte ihm ein Loch in die Spitze gerissen, sodass er aussah wie das Gesicht eines Soldaten, das von einer Kugel gestreift worden war.

      Eines wusste Darcar plötzlich mit niederschmetternder Sicherheit, kein warmes Zimmer würde auf sie warten, kein Kamin, den er beheizen konnte, kein Bett und keine Decken, nicht einmal das schäbigste Zimmer, das er sich vorstellen konnte. Sie hatten… nichts.

      Sie waren von nun an … nichts.

      »Schau