Blut für Gold. Billy Remie

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Название Blut für Gold
Автор произведения Billy Remie
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752923964



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      Darcar wurde wieder wütend, wollte ihn beschimpfen, ihm an den Kopf werfen, dass er ihm versprochen hatte, dass alles gut werden würde. Aber er hatte einfach keine Kraft mehr, blieb mit leeren Augen liegen und fühlte sich der Situation plötzlich völlig fremd. Als wäre er nur einer der gaffenden Nachbarn, und nicht Teil davon.

      Da drehte Vic sich um und deutete auf den Mann, der Everett auf dem Arm hielt, als wäre er nur eine Puppe. »Was macht ihr da mit dem Kind der Haushälterin?«

      Alle wirkten überrascht, allen voran Magda.

      Der Mann, der Evi hielt, blinzelte verwirrt. »Sir? Wir… wir haben Anweisung…«

      »Die van Brick Kinder, ja, nicht den Balg der Haushälterin! Ja kann man euch denn gar nichts zutrauen?« Erbost nahm Vic Evi aus den Armen des verwirrten Mannes und wiegte ihn, während er ihn zu Magda brachte.

      »Sheriff!« Der Kommandant der Truppe trat ärgerlich zu Vic. »Wenn das Kind der Dame gehört, kann sie das sicher beweisen.«

      »Aber natürlich kann sie das! Wir können jetzt sofort alle zum Gericht gehen und die Geburtsurkunde anfordern. Ihr wisst ja, wie das in städtischen Krankenhäusern so ist, da wird einiges verschlampt, vermutlich werden wir den ganzen Tag dort verbringen, oder länger.«

      Die Lippen des Uniformierten wurden schmal, als er sie pikiert zusammenpresste. Es war deutlich, dass er nicht den Wunsch verspürte, wegen eines Balges den ganzen Tag in einem dunklen Flur zu sitzen und zu warten. Und dann darüber einen Bericht zu verfassen. Gewiss wollte er lieber dabei sein, wenn das Urteil vollstreckt wurde.

      Darcar wurde übel, dieses Mal krümmte er sich und würgte Galle ins Gras.

      »Uns wurde zugetragen, er habe drei Kinder…«, hielt der Mann trotzdem dagegen.

      Vic bot ihm einen Ausweg: »Van Bricks erste Frau starb mit einem Kind im Bauch, guter Mann, auch das können wir nachforschen. Dies hier ist der Sohn der Haushälterin.« Magda drückte Evi an sich und versuchte, ihn zu beruhigen. »Ich bin der Sheriff – und ich bürge dafür.« Vic beugte sich zu dem Mann, seine Augen bohrten sich in dessen. »Habt doch ein Herz, Bursche. Er ist nur ein Hosenscheißer. Wollt ihr gleich drei Kinderleben auf eurem Gewissen haben?«

      Die beiden Männer lieferten sich ein Blickduell, doch schließlich gab der Jüngere seinem Vorgesetztem nach. Offenbar gepackt von einem Anflug Menschlichkeit. Er nickte und schien sich auch ein wenig zu schämen, vor allem als sein Blick auf Darcar fiel, der gegen seine Übelkeit ankeuchte.

      »Darc!«, rief Veland. »Das dürfen sie doch nicht…«

      Doch sein Bruder verstummte, als Darcar zu ihm aufsah und kaum merklich mit ernstem Blick den Kopf schüttelte. Sei still, warnte er mit den Augen.

      Wenigstens hatte Vic Evi retten können. So jung wie er war, kannten ihn die Meisten gar nicht, es würde leicht sein, das Gerücht zu verbreiten, dass Evi Magdas Sohn war – und kein van Brick.

      Für V und Darc war es jedoch zu spät, jeder kannte sie als die Söhne des großen Bahnbarons. Und nun als die Söhne eines Verräters.

      Es war ihnen nicht gestattet, in der Stadt zu leben, deshalb konnten und durften Vic oder Magda sie nicht aufnehmen. Sie waren nun keine Menschen mehr, nur noch Verbannte.

      »Führt sie ins das Rattenloch«, sagte der Kommandant abschließend. Es war das letzte Mal, dass Darcar einen Blick auf die schwarze Steinfassade seines Hauses warf. Er würde es nicht wiedersehen.

      Kapitel 2

      Der dunkle Dampf war bereits zu erkennen, noch bevor der Zug in die Stadt hineinfuhr. Die schwarzen Schwaden zogen einen fast so langen Streifen wie die vielen aneinander gereihten Waggons selbst, als würde ein finsteres Feuer im Inneren der Öfen brennen, die die Räder antrieben. Sobald die Lock die Stadt erreichte, trennte der dichte Rauch ganze Stadtviertel durch eine regelrechte schwarze Wand.

      Ein Zug wurde immer mit einem ohrenbetäubenden Pfeifen angekündigt, doch noch bevor man ihn sah und hörte, konnte man ihn spüren. Durch die vibrierenden Gleise, noch lange bevor der Dampf in Sicht kam. Dies war das Zeichen für die Ratten, von den Schienen zu verschwinden.

      Die Ratten. Das waren keine verseuchten Nagetiere, sondern nur verseuchte Straßenkinder, die sich ein paar halbe Noten verdienten, indem sie für die Stadt den Müll und den Unrat zwischen den Schienen einsammelten.

      Ein Schicksal, von dem sie hoffen konnten, dass sie es auch einmal antreten würden, dachte Darcar wie benommen. Denn selbst diese Ratten waren angesehener als sie es noch waren, immerhin hatten diese Kinder das Recht, sich in der Stadt aufzuhalten, auch wenn man sie nachts zurück in das Elendsviertel treiben würde. Darcar und Veland wurden jedoch auf direktem Wege in »Das Rattenloch« gebracht. Das war ein noch mal mit einer Mauer abgetrennter Bereich im Elendsviertel, mit streng bewachten Gittern, wo nur straffällig gewordene Kinder eingepfercht waren.

      Oder Kinder von Verrätern.

      Er wusste nicht, was ihn dort drinnen erwartete. Niemand wusste das. Es gab Gerüchte, gewiss, von Jungen, die freigekauft oder angeblich daraus entkommen waren, doch Darcar hatte sie alle für Lügner gehalten. Nun würde er es selbst erfahren.

      Sie standen am Bahnhof, der Zug fuhr mit ratternden Rädern über die Schienen und hielt mit einem lauten Pfeifen und Kreischen an. Veland hasste dieses Geräusch, er zuckte dann immer zusammen und hielt sich die Ohren zu.

      Dampf hüllte sie ein, als der Zug zum Stehen kam. Weiter vorne auf dem Gleis stiegen Passagiere aus und neue ein. Darcar und Veland standen ganz hinten, den letzten Wagon vor Augen, seine Fenster waren mit massiven Gittern versehen. Er würde sie in ihr neues Zuhause bringen.

      Veland sah zu ihm auf. »Warum müssen wir dorthin?«, fragte er.

      Darcar starrte wütende Löcher in die Waggonwand. Weil sie fürchten, dass wir eines Tages unseren Vater rächen, dachte er bitter. »Weil sie grausam sind«, antwortete er jedoch nur.

      Zwei Deputies und Vic waren bei ihnen. Er spürte ihre Augen im Nacken, doch sie sagten nichts. Vic wollte ihm aufmunternd die Schulter drücken, aber Darcar wehrte sich mit einem energischen Schulterzucken.

      Es war bitterkalt, der Winter kroch durch jede Ritze und legte sich mit seinem frostigen Atem auf die Haut, klebte sich fest, drang in jede Pore und sorgte für steife Glieder. Darcar fühlte seine Zehen und Finger kaum noch, er zitterte und versuchte, es zu unterdrücken. Er trug nur seine Unterwäsche und den langen Mantel darüber, immerhin war Veland einigermaßen gut eingepackt, doch auch seine Hand fühlte sich eiskalt an, als er Darcars ergriff und nicht mehr losließ.

      Darcar rieb mit dem Daumen über die kalten Knöchel seines Bruders, um sie zu wärmen. Veland drückte sich ängstlich an ihn. Immerhin riss Vic sie nicht auseinander, er war sichtlich traurig über ihr Schicksal. Das machte Darcar beinahe noch wütender. Mitleid brachte ihnen rein gar nichts, von Vics entschuldigendem Lächeln konnten sie sich auch nicht freikaufen.

      Oder ihren Vater retten.

      Aber an diesen durfte Darcar jetzt nicht denken. Er hatte bereits auf dem Weg hierher mehrfach versucht, sich loszureißen, war aber immer wieder eingefangen worden. Selbst Passanten, die Freunde oder zumindest Bekannte seines Vaters gewesen waren, hatten ihn aufgehalten und der Obrigkeit übergeben, ihn wie einen Verbrecher behandelt, als würden sie ihn gar nicht kennen. Elende Verräter. Erst als Vic zu ihm sagte: »Ich weiß, dass du deinem Vater helfen willst, aber das geht nicht mehr. Du kannst ihn nicht befreien, sie würden dich fassen und auch hängen. Denk nach, Junge. Deinen Bruder kannst du noch beschützen, tu es für ihn, lass ihn nicht allein«, hatte er sich seinem Schicksal ergeben. Obwohl ihm speiübel wurde und er sich fühlte, als würde er seinen Vater im Stich lassen – ihn sogar verraten.

      Er konnte dieses nagende Gefühl kaum ertragen, wollte brüllen, bis er daran erstickte.

      Für Veland tat er nichts dergleichen. Veland brauchte ihn.

       Pass auf deine Brüder