Pionier und Gentleman der Alpen. Natascha Knecht

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Название Pionier und Gentleman der Alpen
Автор произведения Natascha Knecht
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783038550044



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sind nicht nur Hugis Komplikationen am Berg, sondern auch jene im Tal. Im Lötschental begegnen die Einheimischen Hugi und seinen Begleitern höchst misstrauisch. Sie können sich nicht vorstellen, dass die Männer den weiten Weg unter die Füsse genommen haben, nur um Gletscher zu erforschen. So etwas hat man hier noch nie gehört. Man glaubt, sie seien Viehdiebe, Schmuggler oder anderes Gesindel. Keiner will ihnen Unterkunft geben. «Die Walliser staunten mächtig über unsere Ankunft von jenen weissen Himmelshöhen herab», schreibt Hugi in «Naturhistorische Alpenreise». «Zwischen den Dörfern Zneisten und Platten hielt ich mit meinen acht Trägern am Bache, in hohes Gras gelagert, noch einen Abendtrunk. Wie die Einwohner unser aufgepflanztes Fass, die Hutten und Reisegeräthschaften sahen, und Peter einige Worte von Krieg fallen liess, wurde es ihnen unheimlich. Ein altes Mütterchen kreuzte sich und eilte so schnell als möglich vorbei. Überhaupt sah ich wohl, dass man wenig Gutes uns zutraute. In Kippel, wo der Pfarrer zugleich Wirth ist, wurden wir erst nach langer Deliberation mit den Nachbarn ins Haus gelassen. Wohl eine halbe Stunde sassen wir so ungewiss auf der Mauer des Kirchhofes. Meine Gefährten waren aber alle von ungewöhnlicher Grösse, Baumann tüchtig benarbt, und die meisten so bebartet, dass ihre Kraftgesichter und der ganze muskulöse Gliederbau wohl geeignet war, Besorgnisse zu erregen.»

      EINE BERNER JUNGFRAUFAHRT

      Im Sommer 1828 macht sich auch der Zürcher Caspar Rohrdorf, Präparator am naturhistorischen Museum in Bern und Aufseher des Bärengrabens, zur Jungfrau auf. Er meint, er erweise dem Kanton einen Bärendienst, wenn er als erster Mensch von der Berner Seite auf den Gipfel steigt und Kartenmaterial zeichnet. Aber er bleibt ebenfalls auf der Strecke. Wie unwissend und amateurhaft Rohrdorf unterwegs ist, vernimmt man aus seinen Beschreibungen in «Reise über die Grindelwald-Viescher-Gletscher auf den Jungfrau-Gletscher». Mit vier Führern, acht Trägern und zwei Hirten startet er von der Stieregg oberhalb von Grindelwald. Sie biwakieren eine Nacht in der Eigerhöhle und erreichen am nächsten Nachmittag das Mönchsjoch. Rohrdorf als letzter. Er schreibt: «Wir staunten eine Weile; wo ist jetzt die Jungfrau? fragte ich den Führer Christian Roth; das weiss ich nicht, antwortete er; und ich eben so wenig, sagte ich.» Auf dem Hosenboden rutschen sie den Hang hinab und folgen dem Pfad ihrer Begleiter, die vorausgegangen sind. «Als wir sie erreicht hatten, rufte ich, ob nicht dort unten die Jungfrau sey? Ob ich denn das nicht wisse? versetzten sie; ich gab ihnen zur Antwort, wie ich das wissen könnte, ich sey ja so wenig je hier gewesen als sie; jetzt kamen die beyden anderen zurück und Hildebrand Burgener sagte ein wenig hitzig: das da drüben sey die Jungfrau und nicht die untere; die Vernünftigeren suchten ihn zu besänftigen; ich sagte, ich wollte dahin gehen, wo er gewesen sey, dann werde ich wohl so gut als er sehen, ob das die Jungfrau sey oder nicht.» Auf dem Grat zwischen Jungfrau und dem Mönch erkennt Rohrdorf «ganz deutlich» die beiden Silberhörner und in der Tiefe die Wengernalp und den Thunersee. «Ihr habt ganz recht, sagte ich nun Burgener; er aber fieng wieder an zu jammern: jetzt müssen wir alle sterben wie die Mücken, wer will hier eine Nacht auf dem Gletscher aushalten! sterben müssen wir alle, wir kommen heute nicht mehr in die Höhle zurück! Ich sagte, warum habt ihr mir nicht gefolgt, als ich euch befohlen, wenigstens die Decken mitzunehmen, es geschieht euch recht, ich will auch mit euch erfrieren, dann hat Einer was der Andere, und lachte ob diesem Geschwätze; die Hälfte meiner Leute aber glaubte an seine Reden. Ich sagte: wisset ihr was, wer mit mir will, der komme, und wer nicht will, der gehe in die Höhle zurück, bey 12 Grad Wärme wird keiner erfrieren.»

      Alle bleiben und sie errichten mit Steinen eine Lagerstätte, laben sich mit Wasser und Kirschwasser, Brot, Fleisch und Käse. Zum Schlafen legen sich die älteren wie Löffel ineinander. Die Jungen hingegen, vor Angst zu erfrieren, tanzen und lärmen bis nach Mitternacht. Das Thermometer sinkt «auf vier volle Grad über Eis.» Am nächsten Morgen um 4 Uhr befiehlt Rohrdorf seinen Leuten, aufzubrechen «und eine Probe zu machen, wie weit man auf die Jungfrau Vordringen könne». Er selber macht keine Anstalten mitzugehen, bleibt mit Roth zurück, trinkt Wasser mit Wermuth-Extrakt auf deren Gesundheit und zeichnet dilettantisch die Jungfrau ab. Bald darauf kehren die anderen zurück und erzählen, dass sie auf dem Rottalsattel umgekehrt wären, weil sie «von dem Winde so ergriffen worden, dass es unmöglich gewesen sey, weiter fortzukommen.» Noch ein anderer Umstand habe sie zurückgetrieben, meint Rohrdorf: «Nämlich die Besorgnis, dass sie nicht mehr in die Höhle zurückkehren möchten und noch einmal auf dem Gletscher übernachten müssten.»

      Zurück im Flachland gibt er Christian Roth einen Geldvorschuss und den Auftrag, noch andere Männer von Lauterbrunnen zu engagieren. Rohrdorf will die Jungfrautour wiederholen. Aber Roth hat Eigenes im Sinn: Mit Rohrdorfs Geld engagiert er sechs Grindelwaldner und führt die Besteigung eigenmächtig durch – ohne Rohrdorf zu benachrichtigen. Selber erreicht Roth den Gipfel nicht, aber die anderen. Sie pflanzen Rohrdorfs 36 Pfund schwere Fahne und behaupten, keine Anzeichen eines früheren Besuchs aufgefunden zu haben. Für diese Besteigung erhalten sie von der Kantonsregierung, welche damals noch Pioniere mit Vorbildcharakter belohnt, je einen Doppeldukaten Prämie.

      DIE ERSTE HOCHALPINE KATASTROPHE

      Einzig am Mont Blanc, dem höchsten Alpengipfel, bleibt in diesen Jahren das Interesse konstant. Von 1787 bis 1850 wird dieser vergletscherte Riese rund fünfzigmal bestiegen. 1820 ereignet sich hier auch der erste hochalpine Unfall überhaupt. Der russische Wissenschaftler Dr. Joseph Hamel lässt einen Käfig voller Brieftauben hochschleppen, um zu testen, ob diese in der verdünnten Luft fliegen können. Bei diesem weltbewegenden Experiment begleiten ihn ein Genfer Ingenieur und zwei Engländer der Universität Oxford. Unterhalb des Gipfels geraten sie in eine Lawine. Drei der zwölf Führer sterben. Die Tragödie wirkt einerseits abschreckend, andererseits bewirkt sie, dass die Besteigung noch prestigeträchtiger wird. «Sind Sie auf dem Berg gewesen?», sei in Chamonix eine notorische Frage geworden, berichtet ein Engländer. Die Antwort habe über das generelle Ansehen des Gefragten entschieden. Besonders bei den ausländischen Damen.

      1838 steigt die französische Comtesse Henriette d’Angeville auf den höchsten Alpengipfel. Nachdem das erste «Frauenzimmer» auf dem Mont Blanc, Marie Paradies, 1808 ab dem Grand Plateau getragen und am Seil gezogen worden ist, will sie die Anstrengungen bis zuoberst aus eigener Körperkraft bewältigen und lässt sich dafür «Mannskleider» anfertigen – weite Hosen, die sie unter einem langen Mantel trägt und erst am Berg anzieht, damit sie Chamonix noch in betont femininer Kleidung verlassen kann. Im Gepäck hat sie Kölnischwasser, einen Fächer, einen Schuhlöffel, Thermometer und Fernglas, sowie einen Spiegel, um die Gesichtshaut auf Sonnenbrand hin zu kontrollieren, damit rechtzeitig Gurkencreme zur Kühlung aufgetragen werden kann. Beim Aufstieg kommt sie an die Grenzen ihrer Kräfte. Eine «unwiderstehliche Müdigkeit» zwingt sie zu einer kurzen Schlafpause. Den Gipfel schafft sie dennoch. Dort soll sie sich auf die Schultern ihrer Führer gesetzt haben, damit sie eineinhalb Meter höher gewesen sei als alle vor ihr.

      Der grosse Mont Blanc bleibt ein Magnet. Rundum und im restlichen Hochalpenraum bleibt es dagegen noch immer relativ still. In dieser Zeit beginnen die ersten Schweizer Bergsteiger ihre Freizeit regelmässig in der Höhe zu verbringen. Unter ihnen etwa der Berner Gottlieb Studer, der Zürcher Theologe Melchior Ulrich, der Sankt Galler Textilhändler Jakob Weilenmann oder der Churer Forstingenieur und Gebirgstopograf Johan Coaz, der zwischen 1845 und 1850 im Bündnerland achtzehn Gipfel besteigt, darunter den 4049 Meter hohen Piz Bernina. Ihre Bergfahrten haben jedoch noch keinen Wettkampfcharakter und dienen nach wie vor dazu, für die Nachwelt nützliche Kenntnisse heimzubringen.

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