Название | Schweizerspiegel |
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Автор произведения | Meinrad Inglin |
Жанр | Языкознание |
Серия | Meinrad Inglin: Gesammelte Werke in zehn Banden. Neuausgabe |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783857919954 |
Severin hielt von seinem Kollegen nicht viel mehr als ein Baumeister von einem geschickten, etwas flatterhaften Hand-langer. Schmid seinerseits hielt Severins Art für laienhaft, trocken und langweilig, er war überzeugt, daß kein Mensch das Blatt lesen würde ohne den interessanten und schmissigen Zug, den er ihm täglich zu verleihen bestrebt war.
Nach Neujahr begann Severin sich mit der Erziehung seines Bruders ernstlicher zu befassen. Eines Nachmittags kam er mit dem feuchten Abzug einer für die folgende Nummer bereits gesetzten Seite aus seinem Büro herüber. Er kam aus einer saubern, musterhaft geordneten Schreibstube, in der alles seinen genau bestimmten Platz hatte, und wich unter der Tür wie gewöhnlich vor dem Rauch, der Schmids Bude erfüllte, ein wenig zurück. «Puh!» machte er angewidert. «Es ist mir unbegreiflich, wie man hier atmen kann … Paul, deine Buchbesprechung da können wir in dieser Form nicht bringen. Der Roman mag ja schlecht sein, aber … der Verfasser ist ein sehr eifriges Parteimitglied. Wir müssen Rücksicht nehmen … Jaja, du kannst nun lachen», fuhr er im selben ruhigen und festen Tone fort, als Paul höhnisch mitleidig vor sich hin zu lachen begann, «aber du bist im Irrtum, mein Lieber! Die Arbeit dieses Mannes für unsere Sache ist wichtiger als seine Schriftstellerei. Ich verlange nicht, daß du dein Urteil änderst, aber ich muß eine andere Besprechung bringen. Ferner, weil wir bei diesem Thema sind … der Inseratenchef hat reklamiert, die Kinos geben keine Inserate mehr auf, wenn wir jeden Film herunterreißen …»
Jetzt fuhr Paul auf. «Bitte, sieh dir diesen Kitsch doch selber an!» rief er ärgerlich.
«Zugegeben, jedoch … wir sind leider auf die Einnahmen aus dem Inseratenteil angewiesen … sehr bedauerlich! Aber man kann etwas verurteilen, ohne in deinen Ton zu fallen. Herr Schmid, sorgen Sie doch bitte dafür, daß wir künftig …»
Schmid, die rauchende Zigarette in der erhobenen Linken, drehte sich auf seinem Stuhl halbwegs herum, ohne den Stift vom Blatt zu nehmen, das er korrigierte, nickte hastig, mit einem leisen Lächeln, und wandte sich sofort wieder seiner Arbeit zu.
«Und dann möchte ich wirklich, daß im lokalen Teil etwas mehr geschähe», fuhr Severin fort. «Wir haben ja schon darüber gesprochen, nicht wahr … Wir sollten unbedingt in jedem Stadtteil einen zuverlässigen Gewährsmann haben …»
Schmid legte den Stift weg, drehte sich auf dem Stuhl herum und nahm eine sehr nachlässige Haltung an, hörte aber ernsthaft zu; die Beine weit auseinandergestellt, die Ellbogen auf den Knien, saß er vornübergebeugt da, blickte bald seine Zigarette, bald von unten her Severin an und blies sich immer wieder nachdenklich den Rauch unter die Nase. Paul saß auf der Stuhlkante, den Rücken tief angelehnt, die Beine ausgestreckt, eine spielerisch bewegte Zigarette zwischen den Lippen, durch deren gekräuseltes Rauchsäulchen er den Bruder kühl anblinzelte.
Severin stand in dem grauen Leinenkittel, den er zur Arbeit trug, aufrecht zwischen ihnen und ließ sich durch ihren Mangel an Haltung, der ihm ebenso mißfiel wie der zunehmende Rauch und die herrschende Unordnung, in seinen klaren und bestimmten Ausführungen nicht beirren. «Wenn in der Stadt irgendwas passiert, soll sich Paul gelegentlich auch selber hinbemühen, das kann ihm gar nichts schaden», fuhr er fort, während er die strengblickenden, klugen, dunklen Augen abwechselnd auf Schmid und seinen Bruder richtete.
Schmid stimmte dann und wann zu, indem er schweigend nickte oder ein bereitwilliges «Jaja», ein «Kann man machen», ein «Warum nicht» hören ließ, als ob es sich um das denkbar Einfachste handelte.
Nachdem Severin mit einem kräftigen, die Angelegenheit endgültig beschließenden «Schön!» sich ohne einen Schimmer von Freundlichkeit zurückgezogen hatte, verharrten die beiden regungslos in derselben Haltung und blickten sich mit nachdenklich heiterer Miene belustigt an.
In der Folge wurde im lokalen Teil etwas mehr geleistet, aber Paul versagte als Reporter. Eines Tages zum Beispiel brachte das Blatt eine ausführliche Polizeinachricht vom Einbruch in ein Kleidergeschäft.
«Darüber müssen wir morgen noch etwas bringen», sagte Schmid. «Bitte, gehen Sie doch rasch hin, und dann machen Sie ein hübsches kleines Artikelchen!»
Paul ging hin, kaufte sich anstandshalber eine Krawatte, stellte seine Fragen und sah sich um, dann kam er mit dem Bescheid zurück, daß die Polizeinachricht schon alles enthalten habe, was geschehen sei.
«Macht nichts, schreiben Sie etwas!» sagte Schmid.
Paul grinste lautlos, doch er war schon erfahren genug, um zu wissen, daß man mit der Feder aus nichts etwas machen kann, und so versuchte er es denn.
«Haben Sie’s?» fragte Schmid nach einer halben Stunde.
Aber Paul, der sein mühsam aus den Fingern gesogenes Aufsätzchen eben noch einmal durchlesen hatte, zerknitterte die Blätter entschlossen und warf sie in den Papierkorb. «Ach, es ist Mist!» sagte er ärgerlich.
«Nein, nein, halt, zeigen Sie her!» rief Schmid belustigt, nahm den Knäuel wieder heraus, glättete die Blätter und las sie. «Ja, das ist zu umständlich», sagte er lächelnd. «Die reinste Moralphilosophie! Hm … schadet nichts!» Er stellte noch ein paar Fragen und erklärte dann freundlich, während er bereits zu schreiben begann: «Schön, ich will’s machen.»
Abends las dann Paul im Abzug der ersten Seite erstaunt eine ausführliche Schilderung des Einbruchs, die neben nähern Angaben über die Örtlichkeit das schon Bekannte mit so gewandten neuen Wendungen wiederholte, daß man auch tatsächlich etwas Neues zu lesen glaubte.
So schritt seine journalistische Erziehung munter fort, und er unterzog sich ihr, schwankend zwischen der Hoffnung, schließlich doch seinen eigenen Plan durchsetzen zu können, und der Versuchung, die Feder hohnlächelnd hinzuwerfen.
12
Gertrud Hartmann stand mit ärgerlicher Miene am Telefon. «Aber Mama, ich hab’ dir doch gesagt …»
«Und wir machen es jetzt so!» erklärte Frau Barbara mit aller Entschiedenheit. «Severin und Gaston bringen zum Nachtessen ihre Frauen mit, und du kommst mit deinem Mann, nachher könnt ihr musizieren, und wer dann gehen will, kann wieder gehen … übermorgen!»
«Aber Mama, wenn du doch nicht die ganze Gesellschaft zusammenbringst, seh’ ich gar nicht ein …»
«Wir haben eine Woche lang darüber gestritten, nicht wahr, und jetzt finden wir halt, daß es so am besten geht. Wirf mir nicht wieder alles über den Haufen, sonst könnt ihr meinetwegen …»
«Hör’ Mama, ich komme rasch hinüber … auf Wiedersehen!» Gertrud hing den Hörer entschlossen an, sah nach den Kindern, die auf der Terrasse an der Sonne schliefen, gab dem Mädchen ihre Anweisungen und machte sich auf den Weg.
Es war Mitte März, vor zwei Tagen hatte es noch geschneit, in den Gärten ruhte unverändert die harte Wintererde, und die Bäume waren kahl wie im Januar; dennoch lag jetzt ein warmer, klarer Frühlingstag über der Stadt, der Schnee war geschmolzen, der leicht erregte See schimmerte bläulich grün, und dahinter in der südlichen Ferne erschien unter dem blauen Himmel die fleckenlos weiße Kette der tiefverschneiten Alpen. «Föhn!» dachte Gertrud, als sie über die Quaibrücke schritt, verzögerte den Gang ein wenig und schaute nach den Bergen; dabei stieß sie fast mit einem Bummler zusammen und schlug sofort wieder ihre gewohnte Gangart an.
Sie wanderte mit ihren ausgiebigen, freien, leicht federnden Schritten weiter dem See entlang. Dieses bloße Schreiten war ihr eine Lust, und der schöne Tag, der den trüben Winter zwar