Ländlicher Schmerz. S. Corinna Bille

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Название Ländlicher Schmerz
Автор произведения S. Corinna Bille
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783038550129



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so lange anhält, empfindet man ein Bedürfnis nach Blumen: Man trägt sie auf Stoffen, stickt sie in die Schürzen und zieht richtige Blumen auf dem Fenstergesimse. Aber für Germain gab es keine schönere und keine echtere Blume als Flavie.

      Entweder verändert sie die Liebe gründlich und macht aus ihr eine gute Ehefrau, oder dann ist er im Begriff, sich mit einem Bild zu verloben, meinten die Besonnenen. Diese Äusserungen enthielten einen Schuss Eifersucht von Seiten der Männer, aber auch von Seiten der jungen Mädchen. Justine, die Übergangene, weinte in die roten Rosen ihres Kopftuchs und machte Umwege, um Germain nicht zu begegnen.

      Flavie entschloss sich noch immer nicht. Man könnte meinen, sie habe Angst, dachte Germain, was für eine merkwürdige Frau … Er fand sich gar nicht mehr zurecht. Eines Abends suchte er seinen Onkel, den Dorfgeistlichen, auf. Dieser hatte sich dem jungen Mann immer besonders wohlwollend gezeigt. Der wird mir recht geben, hoffte er.

      – Kommst du, um die Hochzeit verkünden zu lassen?, fragte ihn der Pfarrer mit einem breiten Lächeln.

      – Ja … Nein …

      Der Bräutigam wusste nicht, wie er sein Anliegen vorbringen sollte.

      – Was ist denn nicht in Ordnung?

      – Nun … es ist wegen Flavie.

      – Du hast eine gute Wahl getroffen.

      – Ja schon, aber ihre Mutter ist krank gewesen.

      – Aber jetzt ist sie doch wieder gesund.

      – Ja eben …

      Der Pfarrer begriff nicht.

      – Ach was, lachte Germain gehemmt, das sind vielleicht nur so Ideen von Flavie, die nichts zu bedeuten haben; aber sie ist starrköpfig.

      – Das sind alle Frauen.

      – Es ist eben so: Damit ihre Mutter wieder gesund werde, hat sie ein Gelübde getan.

      – Was hat sie denn versprochen?

      Der junge Mann nahm einen mächtigen Schluck Luft und gestand:

      – Sie hat gelobt, Jungfrau zu bleiben.

      Der Onkel lachte laut heraus.

      – Aha, deshalb schaust du so kläglich drein! Mach dir keine Sorgen, mein Junge, sie hat dieses Versprechen leichthin gegeben und es sich nicht weiter überlegt. Wir können ihr einen Dispens erteilen und sie stattdessen auf eine Pilgerfahrt schicken.

      – Gut, nickte Germain, aber er traute der Sache noch nicht recht. Der Haken ist nur, dass ihr an diesem Gelübde so viel liegt.

      – Hat sie die Absicht, mit dir zu brechen?, fragte der Pfarrer, plötzlich beunruhigt.

      – Nein …

      – Dann ist es vielleicht, um dich zu reizen.

      Und die staubige Soutane wurde abermals vom Lachen geschüttelt.

      *

      Die Hochzeit wurde auf den letzten Tag im Juli festgesetzt. Am Morgen des zehnten war vor der Predigt das Eheversprechen erstmals bekannt gegeben worden.

      Nach dem Gottesdienst hatten sich die beiden Verlobten unter die Lärchen gesetzt. «Wie gut der Wald riecht!», murmelte Flavie. Germain antwortete: «Gewiss, aber dein Geruch ist mir noch lieber.» Er beugte sich schnuppernd über sie und biss sie ein klein wenig in die Wange, nur um ihr Angst zu machen. Dann erfasste er ihre Lippen. Sie machte sich frei, einen winzigen Tropfen Blut im Mundwinkel. Da schob er den Haarknoten zurück und biss sie in den Nacken. Sie liess ihn gewähren, aber er konnte nicht sehen, wie sich der Blick des Mädchens verdunkelte.

      Plötzlich überkam ihn wieder die Freude:

      – Flavie, rief er, Flavie, du bist meine Frau!

      – Noch nicht.

      – Wir sind jetzt zusammen verkündet, du kannst nicht mehr zurück.

      Und vor Begeisterung drückte er sie auf den braunen Teppich der Lärchennadeln nieder. Wütend schnellte sie auf. Sie ist kräftiger, als ich gemeint habe, dachte er und war stolz auf sie.

      Jetzt fand sie die Sprache wieder:

      – Du kennst ja mein Gelübde … Du wirst schon sehen! … Wenn ich etwas gelobt habe, so halte ich es.

      – Aber du bist ja davon entbunden.

      – Was verstehst denn du davon? Ein Gelübde ist etwas Heiliges.

      Und als er lachend und selbstsicher in seinem Glück zu ihr sagte: Du wirst schon noch auf andere Gedanken kommen. Ach was, es geht dir wie allen Übrigen …, entgegnete sie:

      – Ihr werdet schon sehen. Vergiss meine Worte nicht.

      Germain wurde sonderbar zumute, ganz traurig. Er blieb sitzen, stumm, blind, die Hände auf den Boden gestützt, und die dürren Nadeln gruben sich in seine Handballen. Aber als er wieder ins Dorf zurückkam und am Gemeindehaus ihr Eheversprechen angeschlagen sah, dachte er nicht mehr an ihre Worte. Er war wieder ein starker Mann, ein Mann, der alle Berge ringsum in seiner Hand hielt.

      Dann kam der Hochzeitstag. Flavie hatte sich ein Kleid aus schönem schwarzem Tuch schneidern lassen mit vielen Fältchen an den Ärmeln und über den Hüften. Dazu trug sie den Falbelhut, mit einem goldbestickten schwarzen Samtband umwunden, auf dem dunkle Perlen und Metallplättchen glitzerten. Sie hatte kein Halstuch umgelegt. Ihr roter Haarknoten, der sich wie ein Fächer über die schwarzen Schultern ausbreitete, war festlicher als ein Seidentuch.

      Als Germain sie so sah, entfuhr es ihm:

      – Du siehst aus wie eine Himmelserscheinung.

      Er dachte an die Statuen in der Kirche im Glanz ihrer schweren Gewänder, an ihre vom Heiligenschein erleuchteten Gesichter.

      Der Pfarrer strahlte: Flavie, ein so musterhaftes Mädchen, würde seine Kinder in der Furcht des Herrn aufziehen und sie Gott lieben lehren. Er stellte sie sich schon als Chorknaben vor, Flavies Kinder, in ihren runden Käppchen und den weissen Spitzenhemden … Und es würden ihrer viele sein: jedes Jahr eines. Auch als fruchtbare Mutter wäre sie ein Vorbild und könnte es den allzu geizigen Eltern zeigen! Ein wahrer Segen für die Gemeinde. Sie hatte gut daran getan, nicht ins Kloster zu gehen wie ihre Schwestern. Hier war ihr gottgewollter Platz. Und Germain, ja Germain schien ein wenig lau, was die Religion betraf. Aber seine Frau würde ihn schon dazu bringen, fleissiger die Messe zu besuchen. Alles stand zum Besten.

      Als das Paar aus der Kirche trat, glänzte das frisch gemähte Gras ringsum auf den Wiesen, und die Roggenfelder wellten im Wind. Germain legte den Arm um seine Gattin und sagte ihr ins Ohr:

      – Heut Abend mähe ich dich ab.

      Und sein Arm schnitt scharf ein wie eine Sense.

      An diesem Abend trug die verschmähte Justine so schwer an ihrem Kummer, dass sie das Haus verliess und in den Gassen umherirrte. Am liebsten wäre sie über die Wiesen gelaufen oder den Waldrand entlang, aber so allein in der Dunkelheit wagte sie es nicht trotz ihrer Not.

      Der Wind hatte sich erhoben und lief fast lautlos durch die Strassen, unruhig wie ein Dieb. Am Himmel waren dunkle Herden im Aufbruch. Das Dorf hatte die Anker eingeholt, die es auf der Erde festhielten, und liess sich treiben. Und Justine ging, als hätte sie keinen Körper mehr, als wäre sie nur noch eine Seele, so weh tat sie ihr. «Wozu tot sein?», sagte sie sich, «wenn man das Gewicht seines Schmerzes doch mittragen muss? … Es würde sich ja nichts ändern, nichts.»

      Alle Fenster schienen erloschen, nur zwei oder drei Glühlampen liessen da und dort ein Gebäude erkennen. Auf einmal merkte Justine, dass sie vor Germains Haus ­angelangt war. Warum konnte sie nicht weiter? Warum blieben ihr die Füsse am Boden kleben? Mit dem Wind hätte sie fliehen wollen, nur noch eine Seele sein im Wind, aber plötzlich war ihr Körper wieder da, schwer, ach so schwer …

      Da oben wohnten die Neuvermählten, im zweiten Stock, dessen Umrisse über den untern herausragten, eine schwarze, durch die Nacht dahintreibende Barke. Eine