Der afrikanische Janus. Duri Rungger

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Название Der afrikanische Janus
Автор произведения Duri Rungger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783858301901



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dem Störenfried zu. Robert Schnyder, gepflegt, in tadellosem anthrazitfarbenem Anzug hätte ebenso gut Banker sein können, führte jedoch die exklusive Galerie Flair an der Talstrasse und kam öfters allein oder mit wichtigen Kunden auf einen Drink im «Onyx» vorbei. Jack kannte ihn flüchtig von solchen Gelegenheiten. Umso mehr interessierte ihn, was der Kunsthändler von ihm wollte.

      Dieser kam auch gleich zur Sache. «Entschuldigung, wenn ich Sie so unverblümt frage. Sie sind doch HK, der bekannte Experte für afrikanische Kunst? Ich hätte eine grosse Bitte an Sie.»

      Jack antwortete vorsichtig: «Sie irren sich, ich bin nicht der, den sie meinen.»

      Schnyder runzelte die Stirn. «Seltsam. Ich war kürzlich in London und habe zufällig bei einer Auktion afrikanischer Kunst hineingeschaut und gesehen, wie Sie gegen harte Konkurrenz eine Skulptur ersteigert haben. Ein Bekannter hat mir zugeflüstert, Sie seien der Kunsthistoriker, der Artikel in den einschlägigen Journalen schreibe und oft mit Beispielen aus der eigenen, grossartigen Sammlung illustriere, wünschten jedoch anonym zu bleiben und unterzeichneten deshalb bloss mit dem Kürzel HK. War diese Information falsch? »

      «Teilweise. Ich war an dieser Auktion, aber leider bin ich nicht HK. Ich kenne seine Sammlung sehr gut und hätte nichts dagegen, wenn sie mir gehörte! HK ist menschenscheu und will nicht in der Öffentlichkeit in Erscheinung treten. Deshalb schickt er mich manchmal an seiner Stelle auf Auktionen mit Angaben, bei welchem Angebot ich bis zu welchem Preis mitbieten soll.»

      Damit schien die Sache abgetan, und Jack sah sich wieder nach der Rothaarigen um. Zu seinem Erstaunen lächelte sie ihn – oder vielleicht seinen Gesprächspartner – strahlend an. Bevor er reagieren konnte, hob Schnyder die Hand und winkte ihr zu. «Meine Frau ist bereits hier, früher als abgemacht. Ich werde Sie nachher bekannt machen. Zuvor möchte ich doch noch mein Anliegen vorbringen.»

      Für Jack hatte der Galerist dank seiner Gemahlin gewaltig an Interesse gewonnen, und er schenkte ihm volle Aufmerksamkeit.

      «Eine Erbengemeinschaft hat mich angefragt, ob ich den Verkauf der bedeutenden Sammlung Gerster in Kommission nehmen würde. Sie haben diesen kürzlich verstorbenen Industriellen sicher auch gekannt. Seine Gemäldesammlung ist weltbekannt: Braque, Picasso, Jawlensky, alles, was in dieser Zeit Rang und Namen hat – das Ganze ist x Millionen wert. So eine Chance bekommt man nur einmal im Leben. Ein solcher Auftrag würde unserer Galerie gewaltigen Auftrieb verleihen. Ich kenne mich da aus und habe einige Kunden, die sich um die Werke reissen würden. Der Haken ist bloss, dass auch eine Sammlung afrikanischer Kunst zum Nachlass gehört und die Erben der Einfachheit halber alles an denselben Agenten übergeben wollen. Von primitiver Kunst verstehe ich leider nichts. Ich weiss nicht einmal, ob der Ausdruck primitive Kunst politisch korrekt ist – sollte ich besser Stammeskunst sagen?»

      Jack zuckte bloss die Schultern. Er hielt nichts von politischer Korrektheit. Nach seiner Erfahrung bemühten sich vor allem Leute um political correctness, die rassistische oder anderswie voreingenommene Ansichten vertuschen wollten.

      Schnyder zögerte kurz, dann kam er auf sein Anliegen zurück: «Ich hoffe, Sie können mir helfen. Verraten Sie mir, wie dieser HK mit vollem Namen heisst und wie ich ihn erreichen kann. Ich würde mich sehr erkenntlich zeigen». Das «sehr» war vielversprechend in die Länge gezogen.

      Jack zuckte bedauernd die Schultern. «Bedaure, ich habe dem Herrn geschworen, seine Identität zu wahren.» Als er das enttäuschte Gesicht seines Gegenübers sah, fügte er bei: «Vielleicht kann ich Ihnen trotzdem helfen. Ich kenne mich in der Branche selbst gut aus. HK und ich haben zusammen studiert und wir sind befreundet, soweit dieser Eigenbrötler überhaupt Freundschaft schliesst. Alles, was ich über Stammeskunst weiss, habe ich von ihm gelernt. Als sein gelegentlicher Agent kenne ich seine Sammlung und die Kriterien für seine Ankäufe sehr gut. Ich habe ein ausgezeichnetes Gedächtnis und bin dank meinem Kontakt mit ihm selbst zum Kenner geworden. Seit Jahren beschäftige ich mich als Experte für afrikanische Kunst bei Auktionshäusern, berate Kunsthändler und vertrete Kunden an Auktionen – manchmal auch HK.»

      Schnyder nickte anerkennend, und Jack machte ihm einen Vorschlag: «Wenn Sie möchten, kann ich den Nachlass sichten und einschätzen. Um die Erben zu beruhigen, kann ich danach HK bitten, meine Bewertung zu überprüfen. Die wertvollsten oder eventuelle zweifelhafte Stücke müsste ich ihm allerdings mitbringen. Eine genaue Beurteilung auf Grund von Bildern ist nicht möglich. Er wird mir diesen Gefallen bestimmt tun, nur braucht das Vorgehen etwas mehr Zeit.»

      Der Kunsthändler machte Anstalten, ihn zu umarmen, beschränkte sich jedoch darauf, ihn an den Schultern zu packen und kräftig zu schütteln. «Zeit spielt keine grosse Rolle! Ihr Vorschlag ist genial. Das müssen wir begiessen, natürlich zusammen mit Lucie – gehen wir zu ihr.»

      Jack verzichtete darauf nachzufragen, ob Frau Schnyder manchmal in der Galerie anzutreffen sei. Er hatte sich soeben die Gelegenheit verschafft, dies in Ruhe selbst herauszufinden.

      Keller sass vor seinem Computer und seufzte. Er hatte den Eindruck, er sei seit Tagen mit seiner Arbeit nicht vorangekommen, wagte es aber nicht, das Datum der letzten Bearbeitung nachzusehen. Der Schock vom letzten Mal sass noch zu tief.

      Er fuhr hoch, als er hörte, wie jemand die Wohnungstüre aufschloss. Dann beruhigte er sich. Das musste die Putzfrau sein. Nur sie besass einen Schlüssel. War heute wirklich schon wieder Donnerstag?

      «Gutes Morrgen, Herr Keller!» Die rassige, schwarzhaarige Frau legte die Post vor ihm auf den Tisch.

      «Guten Morgen, Frau Petrovic!» Keller begann den beachtlichen Stapel von Briefen durchzusehen. Wann hatte er das letzte Mal den Briefkasten geleert? Dann sah er fragend auf. Marjana war vor ihm stehen geblieben, anstatt sich wie gewöhnlich diskret zurückzuziehen und mit der Arbeit zu beginnen. «Ist noch was?»

      «Waren schöne Ferien? Letztes Mal Sie nicht zuhause, Bett nicht gebraucht, darum ich Wäsche nicht gewechselt. Recht so?»

      «Äh … bestens! Ja, ich war ein paar Tage im äh … in den Bergen. Es war sehr schön.»

      «Gut! Sind auch braun geworden. Ferien gut!» Damit entschwand die besorgte Fee im Korridor und nach kurzem Rumpeln im Besenschrank begann der Staubsauger zu summen.

      Keller nahm den nächsten Brief in die Hand. Absender: Rektorat Kantonsschule Rämibühl. Er schoss hoch. Hatte er die verdammten Übersetzungen überhaupt abgeliefert? Er konnte sich nicht mehr daran erinnern. Hastig riss er den Umschlag auf und las den Brief quer durch:

      Sehr geehrterdie korrigierten Arbeiten mit einiger Verspätung und ohne Kommentar (!) beim Hauswart hinterlegt habender Klassenlehrer endlich der Klasse die Noten mittteilen konnteFalls ihr Versäumnis auf eine Erkrankung zurückzuführen warohne jegliche Entschuldigung inakzeptabel!sehen wir uns gezwungen, auf eine weitere Zusammenarbeit mit Ihnen zu verzichten und Sie nicht mehr als Stellvertreter zu beschäftigenMit vorzügl…

      Keller war ziemlich sicher, dass er die Arbeiten nicht selbst zur Schule gebracht hatte. Nachdem ihm im «Metropol» in den Sinn gekommen war, dass er seine letzte Unterrichtsstunde versäumt hatte, wollte er sie unverzüglich abliefern, doch das Letzte, an das er sich erinnern konnte, war die platinblonde Bombe mit Schosshündchen. Er versuchte, logisch zu denken. Wenn er selbst in der Schule vorbeigegangen wäre, hätte er die Korrekturen dem Klassenlehrer persönlich gebracht und sich gehörig entschuldigt. Nein, jemand anders musste das während seiner Abwesenheit für ihn besorgt haben – aber wer?

      Wie immer, wenn er eine Krise zu bewältigen hatte, setzte er sich zu seiner Trösterin, um wieder zu sich zu finden. Plötzlich schlug er sich vor die Stirn. Natürlich, Frau Petrovic! Sie hatte wahrscheinlich am Donnerstag die vergessenen Arbeiten auf dem Tisch vorgefunden und zur Schule gebracht. Auf dem Blatt, auf dem er die Noten eingeschrieben hatte, stand ja die Adresse der Schule.

      Heute würde er die pfiffige Marjana mit einem grosszügigen Zuschuss für ihre Initiative belohnen. Langsam beruhigte sich Keller. Die von der Schule ausgesprochene Kündigung