Weihnachten 1956: Zuletzt führt ihn der Weg leicht hinab; er rutscht im frisch gefallenen Schnee, fällt auf den Rücken, verliert seinen Hut. Kinder finden den Toten; die Polizei macht Fotos. Was seit dem Tod Robert Walsers am 25. Dezember 1956 geschah, ist staunenswert und fast beispiellos: Von Jahr zu Jahr wächst der Nachruhm – weltweit. Zu den ersten, die sich intensiv mit Walser befaßten, gehört Martin Jürgens. Dieses Buch versammelt elf seiner Walser-Studien aus 30 Jahren. In ihnen wird eine Haltung versucht, die begriffliche Kraftakte vermeidet, in enger Fühlung mit den Gegenständen ist und doch an Theorie, also an der Bewegung des Denkens, interessiert bleibt. Das entspricht dem Eigensinn der Texte Walsers: Sanft bewegte Leichtgewichte sind es, fern jeder Gattung. Behende führen Walsers «Helden» uns weg von kraftvollen Botschaften und hin zum Entzücken vor der flüchtigen Einzelheit. Sie wissen nicht, wo es langgeht, bauen kann man auf sie nicht; erst recht ist mit ihnen kein Staat zu machen. Das macht ihre Größe aus und unser Glück beim Lesen von Sätzen wie: «Sein Lächeln glich einer Blume, die nach dem Bedürfnis und der Kunst, zu zögern, duftete.»
Tagsüber ist er Müllmann, nachts «Sapeur» – ein Mann aus dem Kongo in Dandy-Klamotten. Von morgens bis zum Sonnenuntergang lenkt er seine stinkende Fracht durch das Strassengewirr des 10. Pariser Arrondisments, die Bistro-Tischchen streifend, an denen die Bobos hocken, die Bourgeois Bohèmiens, und fünf Euro teuren Milchkaffee schlürfen. Danach zieht er sich um, für die Parade im gemieteten Rolls Royce – «Sape», die heißeste Kluft zwischen Nordpol und Kapstadt: Blazer in «elektrisch-grünem Kroko», knallenge gelbe Hose, kurze Krawatte in Eidechsen-Muster, silbern. Das Altarbild eines flämischen Meisters in grellem Neon. Im Zentrum der Stenz, ihm zur Linken ein depressiver Gewerkschafter am Vorabend des 1. Mai, zu seiner Rechten eine asiatische Straßenverkäuferin auf Rollschuhen. Frédéric Ciriez macht in Paris das Licht an und zeigt bisher unveröffentlichte Bilder der anschwellenden Hauptstadt. Man trägt Kongo-Mode und spricht edles Gossenfranzösisch. Man ist Mitglied der «Gesellschaft für Unterhalter und elegante Personen». Die Poesie aus dem Müll ist so selbstverständlich wie die auf Hochglanz gewienerten, handgenähten Lederhalbschuhe.
"Auf den Straßen von Paris" wurde 2013 mit dem deutsch-französischen Franz-Hessel-Preis ausgezeichnet.
Honoré Gabriel Riquetti Mirabeau
Erotika Biblion ist eines der ersten pornografischen Werke der Weltliteratur – vergleichbar nur noch mit den Schriften des Marquis de Sade. Der Schriftsteller Henry Marchand nannte Erotika Biblion «eines der seltsamsten Bücher, das jemals geschrieben wurde». In der Einsamkeit und Trennung von seiner Geliebten Sophie hinter den Gefängnismauern von Vicennes schrieb Mirabeau, ein hitzköpfiger Lebemann, Erotika Biblion und veröffentlichte es 1783 anonym und mit dem fiktiven Erscheinungsort «A Rome de l' Imprimerie du Vatican». Auf den ersten Blick handelt es sich um ein rein erotisches und – für die damalige Zeit – schonungslos pornographisches Werk: Mirabeau geht auf unterschiedlichste Aspekte der menschlichen Sexualität ein. Er skizziert diese in einzelnen Kapiteln, die mit Kunstworten überschrieben sind. So werden Themen wie Homosexualität (überschrieben mit «Thalaba»), Tribadismus («Andrandine»), Beschneidungen («Akripodie») oder Nymphomanie («Kadhesch») abgehandelt. Genüsslich führt er dabei bis in jedes Detail aus, wie «verdorben» die Völker der Antike in Wahrheit gewesen seien, die immer wieder als die Vorbilder in Sachen Vernunft, Ethik und Religion dargestellt wurden. Verschont werden dabei weder die Philosophen des antiken Griechenlands, noch das biblische Volk Israel, dessen sexuelle Ausschweifungen anhand von Zitaten aus der Bibel beschrieben werden. Der Leser erfährt so von Inzucht, Sodomie und Masturbation in der Heiligen Schrift. Erotika Biblion ist eines der ersten pornografischen Werke der Weltliteratur – vergleichbar nur noch mit den Schriften des Marquis de Sade. Der Schriftsteller Henry Marchand nannte Erotika Biblion «eines der seltsamsten Bücher, das jemals geschrieben wurde». In der Einsamkeit und Trennung von seiner Geliebten Sophie hinter den Gefängnismauern von Vicennes schrieb Mirabeau, ein hitzköpfiger Lebemann, Erotika Biblion und veröffentlichte es 1783 anonym und mit dem fiktiven Erscheinungsort «A Rome de l' Imprimerie du Vatican». Auf den ersten Blick handelt es sich um ein rein erotisches und – für die damalige Zeit – schonungslos pornographisches Werk: Mirabeau geht auf unterschiedlichste Aspekte der menschlichen Sexualität ein. Er skizziert diese in einzelnen Kapiteln, die mit Kunstworten überschrieben sind. So werden Themen wie Homosexualität (überschrieben mit «Thalaba»), Tribadismus («Andrandine»), Beschneidungen («Akripodie») oder Nymphomanie («Kadhesch») abgehandelt. Genüsslich führt er dabei bis in jedes Detail aus, wie «verdorben» die Völker der Antike in Wahrheit gewesen seien, die immer wieder als die Vorbilder in Sachen Vernunft, Ethik und Religion dargestellt wurden. Verschont werden dabei weder die Philosophen des antiken Griechenlands, noch das biblische Volk Israel, dessen sexuelle Ausschweifungen anhand von Zitaten aus der Bibel beschrieben werden. Der Leser erfährt so von Inzucht, Sodomie und Masturbation in der Heiligen Schrift.
Gottfried lebt Anfang der 1980er Jahre in Paris. Nach der Trennung von seiner großen Liebe versucht er, dem Liebeskummer zu entfliehen, indem er sich in seinem 2CV, einer Dyane, auf den Weg macht, ohne Ziel durch Frankreich. Doch der Schmerz des Verlustes begleitet ihn und wird nur momentweise durch die Musik aus dem Kassettenrekorder getröstet. Gottfried begegnet unterwegs den verschiedensten, oft bizarren Menschen, und da er offen und neugierig ist, erzählen sie ihm ihre Geschichte. Er reist von der Normandie nach Biarritz und trifft im Waschsalon eines Campingplatzes auf seine neue, große Liebe, Madeleine. Aber Gottfried ist schon einmal geflohen, aus Deutschland, vor seinem gewalttätigen, betrunkenen Vater. Die Erinnerung daran, dass er niemandem Vertrauen schenken darf, quält ihn. Er reist weiter zum Mittelmeer und wieder nach Norden. Die Menschen, denen er begegnet, zeigen ihm, wie sie mit ihrem Unglück umgehen und wie sie sich auf das Glück einer großen Liebe einlassen.
Andreas Bahlmanns Reise-Roman durch Frankreich ist witzig, schrill, traurig und anrührend, und wird mit multiplen Rock- und Pop-Klängen untermalt.
Bill Cardoso war der Mann, der das Markenzeichen «Gonzo» für Hunter S. Thompson erfand. «Das ist reiner Gonzo», schrieb er an Thompson, als er dessen berühmten Artikel über das Kentucky-Derby gelesen hatte. Bill Cardoso wusste, wovon er redete, denn er schrieb selbst Gonzo. «Er war ein hell leuchtender Komet», sagte Warren Hinckle. Im September/Oktober 1974 reiste Cardoso nach Kinshasa, um über den Boxkampf Muhammad Ali gegen George Foreman zu berichten.
Cardoso schrieb dabei weniger über den Boxkampf selbst, sondern vielmehr über die Hitze und den Durst, die absurden Umstände und den Presserummel, über Budd Schulberg und Norman Mailer, über das Land und den Diktator Mobutu mit seiner Leopardenfellmütze und die authenticité, das Zauberwort für das neue Selbstbewusstsein der Schwarzen, über den großen Gesang «Ali Boma Ye» (Ali, töte ihn), der überall in Zaire zu hören war.
Glück zu finden, ist Thema dieses Klassikers der Philosophie. Senecas Gedanken zum glückseligen Leben haben von ihrer Aktualität nichts eingebüsst. 100% Sachbuchklassiker: vollständig, kommentiert, relevant. Mit einem einleitenden Essay zu Werk und Kontext.
Der Kapitalismus wird immer seltsamer. Während das «Zeitalter der Arbeit» zu Ende geht, wird die Arbeit immer präsenter – wir leben in einer «Arbeitsgesellschaft», der sich niemand entziehen kann. Der Arbeiter heute fühlt sich leer und tot. Dieses Buch erzählt die Geschichte des toten Menschen, von den erniedrigenden «Teambildungsübungen» und den peinlichen Begegnungen mit dem hippen Boss, der vorgibt, den Kapitalismus zu hassen, und seine Untergebenen auffordert, «authentisch» zu sein. In dieser Gesellschaft wird Arbeit als lebendiger Tod erfahren. Wenn die Unternehmen das Leben bis in unsere Träume hinein kolonisiert haben, dann wird die Frage nach dem Entkommen umso drängender.
In Deutschland spielt man Karten gemäß dem Uhrzeigersinn, in der Schweiz jedoch in der entgegengesetzten Richtung. Das heißt dann aber nicht «gegen den Uhrzeigersinn», sondern «der Ohrfeige nach». «Der Ohrfeige nach» gefiel mir abermals, wie auch «gegen die Ohrfeige»; ich verabscheue Feigheit, also das Feige, das die Ohrfeige gegen Schwächere austeilt oder sie, wo sie mutig und notwendig und nützlich ist, verweigert. In entsprechenden Situationen habe ich gegen die Verabreichung einer Ohrfeige absolut nichts einzuwenden, und außerdem ist Ohrfeige ein schönes Wort. Denn die Feige ist darin, die köstliche Frucht, die so erotisch aussieht und duftet, auf italienisch heißt sie fica, und fica heißt nicht nur Feige, sondern ist auch ein Adäquat für das, was auf deutsch «das böse Wort mit F» genannt wird, und während mir all das zu meinem Wohlgefallen durch die Rübe ramenterte, spielten wir eine Runde Scopa, immer schön der Ohrfeige nach.
Wiglaf Droste ist wieder und weiter unterwegs und begegnet den Zumutungen der Welt so kundig wie neugierig und auf elegante, charmante und sprachschöpferische Weise. Er weiß, wie man sich verhält, wenn eine Frau aus besserem Hause völlig betrunken unbedingt mit einem ihr ganz fremden Mann tanzen will und zum Beweise dessen auf den Auserwählten einprügelt. Droste trifft nachts am Spätkauf eine Frau, die ihre letzten zwei Euro für Bier ausgegeben hat und die Welt nicht mehr versteht: «Dabei bin ich doch Suhrkamp-Autorin.» Lustige Geschichten und sezierende Sprachglossen über Designervokabeln wie «greife», «mauve» und «taupe», über Phrasen von «Baustellen» und «Hausnummern» und Abwimmelungssätze wie «Wir kommen auf Sie zu» oder Talkshowjargon à la «dankbar und demütig» wechseln einander ab. Was passiert, wenn aus Leipzig «Hypezig» wird, das "n" aus der Sprache verschwindet und die Bahn plötzlich die «Bonusfahrtzeit» entdeckt bis zum Ende aller «gebrauchten Tage»? Wiglaf Droste weiß das, und er macht kein Geheimnis daraus.
Wer war Wilhelm Conrad Röntgen? Und welche Botschaft hat sein Leben für uns heute? Ältere Biografien über den 1845 in Remscheid- Lennep im Bergischen Land geborenen Physiker waren sich einig: Röntgen muss ein Genie gewesen sein, eine Ausnahmeerscheinung, weit abgehoben von uns allen. Hagiografien nennt man das, Heldengeschichten, die einem überkommenen Pathos und einem fragwürdigen Verständnis von Geschichte huldigen. Geschichte wird von großen Männern gemacht, so der Ansatz. Diese Heldengeschichten sind jedoch maßlos übertrieben und letztlich zu einfach gestrickt. Mythen und Illusionen werden da kaum hinterfragt. Röntgen ist ein solcher Mythos. Er war es bereits zu seinen Lebzeiten. Der Superstar der Wissenschaft zu sein, war dem vornehmzurückhaltenden Professor geradezu unangenehm. Diese Kurzbiografie will den Mythos Röntgen erklären und gleichzeitig zu den wichtigsten Stationen seines Lebens und seiner Karriere mitnehmen. Ergänzt wird der Band durch historische Quellen und Bildmaterial aus den Beständen des Deutschen Röntgen-Museums, das teilweise zum ersten Mal veröffentlicht wird.
Die richtige Lebenskunst zu lernen, damit das Leben gelingen kann und als gut empfunden wird, ist Thema dieses Klassikers der Philosophie. Senecas Gedanken zum Glück haben von ihrer Aktualität nichts eingebüsst. 100% Sachbuchklassiker: vollständig, kommentiert, relevant. Mit einem einleitenden Essay zu Werk und Kontext.