Die Männer an Bord der Kriegsgaleone «San Sebastian» standen wie erstarrt. Im Einzelfeuer hatten sie die zehn Backbord-Culverinen eingesetzt, und zwar im genauen Zielbeschuß. Jedes Geschoß hatte ein Stück mehr aus der Felswand dort oben gehämmert. Und der dreiundzwanzigste Schuß hatte das ausgelöst, was beabsichtigt gewesen war: ein Zurückverlegen des Wasserfalls vor dem Eingang zu den Schatzhöhlen. Aber es war noch mehr passiert. Dieser letzte Schuß hatte den Eingang blockiert, denn ein mächtiger Felsbrocken hatte sich von oben gelöst und steckte jetzt in dem Zugang. Und aus den Höhlen über der Schatzbucht tönte das Gebrüll der Kerle, die sich dort verschanzt hatten. Aber die Falle hatten sie sich selbst gestellt…
An diesem Morgen reichte Dan O´Flynn seinem Kapitän wortlos das Spektiv und zeigte zur «Discoverer» hinüber. Dabei schüttelte er nur stumm den Kopf. Hasard warf einen Blick hindurch und traute seinen Augen nicht. Quer über der Kuhl der Auswanderer-Galeone war eine Leine gespannt, an der aufgereiht etwas hing. Etliche Leute hatten sich drum herum versammelt und nahmen ihm vorübergehend die Sicht. Er konnte nicht genau erkennen, was an der Leine dort baumelte, denn immer mehr Siedler scharten sich darum. Es sah so aus, als würde dort ein Markt abgehalten. «Ein Rattenmarkt», sagte Dan O´Flynn lakonisch. So war es dann auch. Kevin Bascott, der feiste, glatzköpfige Koch der «Discoverer» hatte sich in der Nacht mit Fallen und Speckköder an die drei Dutzend Ratten gefangen und verhökerte sie jetzt an die ausgehungerten Siedler – zu Höchstpreisen, versteht sich…
Big Old Shane schleuderte die Höllenflasche, die er bereits draußen vor dem Speicher angezündet hatte. Sie flog genau in einen Heuhaufen. Kaum war sie gelandet, explodierte sie. Sehr groß war die Pulverladung nicht, sonst hätte sie den ganzen Speicher zerrissen. Und die Seewölfe hätten riskiert, unter den Trümmern begraben zu werden. Trotzdem gab es ein gewaltiges Getöse. Die Rebellen schrien und fluchten, brachten sich in Sicherheit und vergaßen in der Aufregung, auf den Gegner zu feuern. Plötzlich klaffte ein Loch in der Mauer, und fetter Rauch wälzte sich in trägen Schwaden durch den Speicher. Finbar Murphy, der Rebellenführer, hustete, spuckte und fluchte. Dann griff er nach seiner Muskete…
Die Jolle entfernte sich von den vier Schiffen des Bundes der Korsaren und glitt auf die Hafeneinfahrt von Havanna zu, die von zwei Forts flankiert war. Unausgesetzt spähte der Seewolf zu den düsteren mächtigen Mauern der beiden Festungswerke hoch. Wenn von dort mit Drehbassen oder Kanonen das Feuer auf die Jolle eröffnet wurde, konnten seine drei Männer und er ihr letztes Gebet sprechen. Aber nichts passierte. Kein Posten zeigte sich. Unbehelligt gelangte die Jolle in den Hafen. Nach wie vor ertönten von der Residenz des Gouverneurs her vereinzelt Schüsse von Drehbassen und Musketen. Dazwischen war das Lachen und Gröhlen der Belagerer zu hören. Sie schienen sich bereits als Sieger zu fühlen…
Al Conroy, der Stückmeister der Arwenacks, feuerte das Buggeschütz ab, nachdem er den Gegner anvisiert hatte. Mit einem Sprung setzte er vom Vorschiff herunter, kauerte sich hinter dem Schanzkleid neben das vorderste Steuerbordgeschütz und hielt den Luntenstock ans Zündloch. Ohne sich um den Schuß zu kümmern, hastete er weiter und zündete die nächste Culverine. Stichflammen und Rauch, der unbarmherzige Donner, das Rumpeln der Lafetten und die aufgeregten Rufe der Männer nahm er nur am Rande wahr. Schließlich krachte die letzte Steuerbord-Culverine und entlud einen vernichtenden Hagel von Eisenschrot und gehacktem Blei über das Deck der spanischen Kriegs-Karavelle…
Drei chinesische Kampfdschunken waren es, die sich in Dwarsline in das Kielwasser der «Estrella de Málaga» und der «San Lorenzo» gesetzt hatten. Hasard betrachtete durch das Spektiv die mittlere Dschunke. Sie war etwas größer als die beiden anderen, ihren Bug verzierte ein vergoldeter Drachenkopf. Das Gold war noch sehr gut erhalten. Auch die beiden anderen Dschunken führten den Drachenkopf im Bug, aber nicht vergoldet, sondern rot angestrichen. Die Farbe wirkte fade und vom Salzwasser zerfressen. Der Teufel mochte wissen, wie diese drei Dschunken über den Pazifik gelangt waren. Dafür stand fest, was sie wollten – sie waren auf Beute scharf…
Old Donegal O'Flynn war stur wie ein Bock. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, die Arche Noah zu finden, die am Berg Ararat gestrandet sein sollte. Als die Arwenacks in der Nähe des Bergmassivs vorbeizogen, stieg Old Donegal in die Höhen auf und begann, im Schnee zu buddeln. Die Arwenacks beobachteten ihn durchs Spektiv – und es kam, wie es kommen mußte. Eine Schneewehe brach los und glitt erst behäbig, dann immer schneller zu Tal. Old O'Flynn wurde mitgerissen und verschwand als wirbelnder Punkt in der weißen Masse. Er überschlug sich ein paar Male, tauchte wieder auf und sauste auf dem Achtersteven in rasender Fahrt den Hang hinunter, umhüllt von stiebenden weißen Schleiern…
In der Kneipe, in der auch Liebe verkauft wurde, war plötzlich der Teufel los. Schritte polterten die Treppe hoch, während im Schankraum der Lärm tobte. Türen wurden aufgerrissen, die Freier fluchten, die Schlampen kreischten und schimpften. Albert schlüpfte auf den Flur hinaus und wollte sich zur Hintertreppe verdrücken, doch plötzlich waren drei Gestalten neben ihm: der Seewolf, Le Testu und Montbars. Hasard packte Albert, der begriff die Gefahr und duckte sich. Er entzog sich dem Griff, verlor seinen falschen Buckel, wollte die Flucht ergreifen, wurde jedoch von dem Korsen gestoppt, der sehr viel schneller war als er. Unten im Schankraum war der Wirt wieder bei Bewußtsein, und aus den Zimmern stürmten jetzt die aufgestörten Freier. Da hatten Ben Brighton, sein Bruder Roger, Carberry, Ferris Tucker, Smoky und die anderen Männer allerlei zu tun, aber das waren sie ja von der «Bloody Mary» her gewohnt…
Hasard zündete die Flaschenbombe, brüllte: «Deckung, Arwenacks!» und warf die tödliche Granate mitten unter die Soldaten auf der Kuhl. Jawohl, das hier war bitterer Ernst. Es waren zu viele Angreifer. Dann schon lieber ein Loch in den Planken der «Hornet», als von den französischen Soldaten überrannt und niedergemacht zu werden. Die Seewölfe auf der Back und auf dem Achterdeck warfen sich platt auf die Planken. In einer grellen Explosion flog die Flasche auseinander und verstreute ihre furchtbare Ladung nach allen Seiten. Einer jedoch raste den Backbordniedergang hoch, der jetzt unbewacht war – Easton Terry. Er hatte einen Degen in der Faust, den er an Deck aufgelesen hatte, und stürmte auf Hasard los, der sich gerade erst aufrichtete…
Entsetzt und mit einem lähmenden Gefühl der Hilflosigkeit beobachteten Don Estebán, der Geleitzugführer, und seine Offiziere, was sich abspielte. An den Besanruten der fünf angreifenden Schiffe, die vor dem Wind in breiter Formation auf den Geleitzug zusegelten, waren Flaggen gehißt worden -schwarzes Tuch, auf dem zwei goldene gekreuzte Säbel leuchteten. Es war die «Flagge der Freiheit», die Will Thorne für den Bund der Korsaren entworfen und genäht hatte. Für die Männer an Bord der «Gaviota» und der übrigen Schiffe des Geleitzugs stand fest, daß es sich bei den gekreuzten Säbeln um ein Freibeuter-Symbol handeln mußte. Aber diese Erkenntnis nutzte ihnen nichts mehr – das Verhängnis nahm seinen Lauf…