Ali Ben Chufru, der Pirat, ging dem einträglichen Gewerbe eines Perlenräubers nach. Es war ziemlich ungefährlich, denn die kleinen Boote der Perlentaucher waren nicht armiert und in der Regel nur von zwei Fischern besetzt. Auch bei diesem Boot war das so, daß der Ausguck gesichtet hatte. Einer hockte darin, der andere hatte gerade einen Korb voller Muscheln nach oben gebracht. Er zog sich schleunigst ins Boot, als sie die schwarze Sambuke entdeckten, das berüchtigte Schiff des Piraten Ali Ben Chufru, das auf ihr Boot zusegelte. Die beiden Perlenfischer nahmen sich nicht mehr die Zeit, den Steinanker aufzuholen. Sie kappten die Ankerleine, setzten das kleine Segel und griffen zusätzlich zu den Riemen. Und dann pullten sie wie verrückt…
Old Donegal starrte in die Schlangenaugen, merkte, daß mit ihm irgend etwas passierte, gegen das er sich nicht wehren konnte der Reptilienblick hielt ihn fest, und die Stimme des Spitzbartes sagte wie aus weiter Ferne: «Steh' auf, Engländer! Folge Mustafa und Yagil!» Old Donegal gehorchte, rappelte sich auf und schritt folgsam hinter den beiden Glatzköpfen her. In seinem Kopf hallten wie eherne Glockenschläge die vier Worte: «Folge Mustafa und Yagil – folge Mustafa und Yagil…» Daß der Spitzbart kicherte, hörte er nicht. Und er nahm auch nicht wahr, wohin er ging. Wichtig war einzig und allein, daß er bei Mustafa und Yagil blieb und sie nicht verlor. Old Donegal hatten keinen eigenen Willen mehr. Er war zu einem braven Hündchen geworden…
Die beiden berittenen Gardisten, die das Ende der Gefangenenkolonne bewachten, gloppierten nach vorn, wo es offenbar Ärger mit den Schaulustigen und Gaffern gab. Zurück blieben nur die vier anderen Soldaten, die ihre Köpfe reckten, um zu sehen was da vorn los war. Eine bessere Chance für Arne von Manteuffel, Don Juan und Jörgen Bruhn, die Crew der Schebecke zu befreien, ergab sich nicht. Arne stürmte geduckt los und war mit ein paar Sätzen auf der linken Seite der Kolonne. Bevor die beiden Soldaten reagieren konnten oder überhaupt etwas begriffen, krachten ihre Köpfe zusammen, und sie sackten bewußtlos aufs Pflaster. Auf der rechten Seite der Kolonne passierte das gleiche. Dort war Jörgen Bruhn in Aktion…
Zwar hatten Arne von Manteuffels Kolberger noch nie auf seiten der Spanier gekämpft, aber genau das taten sie jetzt, als sie die neun Schaluppen angriffen, deren Kerle gemeint hatten, mit der spanischen Handelsgaleone leichtes Spiel zu haben. Die erste Schaluppe wurde von der «Wappen von Kolberg» gleich auf die Hörner genommen. Ihr eisenharter Steven zerknackte die Backbordseite der Schaluppe wie eine dünne Eierschale, schob sich weiter, spaltete den Rumpf auf wie ein Axtkeil und vollendete das Zerstörungswerk auf der Steuerbordseite, deren Planken ebenfalls prasselnd und berstend durchbrochen wurden. Die Schaluppe klappte in zwei Teile auseinander…
Der Schamane – oder was das war – traute die beiden: Nuami, die Perle der Südsee, und Smoky, den bulligen Decksältesten der «Isabella». Smoky kriegte das nur nicht so richtig mit, weil er zu viel Rum und Kawa gebechert hatte und außerdem höflich sein wollte. Zu spät kapierte er, daß er nunmehr ein trautes Weib hatte, und als er es kapierte und die Flucht antreten wollte, hatte Nuami etwas dagegen und entführte Smoky. Die Crew war ratlos, weil Smoky wie vom Erdboden verschwunden war, nur die Rübenschweinchen Hasard und Philip wußten etwas, verschwiegen es aber, weil der Profos ihnen das Fell mit einem Tauende versohlt hatte…
Die «San Donato» mit den Timucuas an Bord befand sich in arger Bedrängnis. Sieben Einmaster, besetzt mit Duvaliers Schnapphähnen, hatten sie umstellt und schickten sich an, die Galeone zu entern. Aber da war die «Isabella» herangesegelt, buchstäblich in letzter Minute, und schon raste eine volle Breitseite mit einem infernalischen Donnern und Fauchen auf drei der Einmaster zu und hieb zwei regelrecht in Stücke. Ein häßliches Splittern und Bersten ertönte und vermischte sich mit den Todesschreien der Piraten. Trümmerteile, zerfetzte Segel und menschliche Leiber wirbelten durch die Luft und klatschten ins Wasser. Gleich darauf begannen die beiden wrackreif geschossenen Einmaster mit geradezu unheimlicher Schnelligkeit zu sinken. Der in der Nähe der Sinkstelle befindliche dritte Einmaster versuchte sein Heil in der Flucht. Aber die Seewölfe waren nicht gewillt, ihn entwischen zu lassen – und da waren ja auch noch die vier anderen Piratensegler…
Auf der kleinen Lichtung, war die Hölle los. Dabei mußten sich Sam Roscill, Luke Morgan, Gary Andrews, Matt Davies und der Kutscher erst einmal darauf einstellen, daß sie nicht gegen Männer, sondern Frauen kämpften. Und noch bevor sie diese Ungeheuerlichkeit richtig begriffen, fielen die Kriegerinnen bereits über sie her. Ein wildes Handgemenge entstand – ein Handgemenge, bei dem sich die Seewölfe nicht nur ihrer Haut wehren, sondern auch noch gegen das Gefühl ankämpfen mußten, daß dies ja wohl nur ein verrückter Alptraum sein könne. Leider war es die rauhe Wirklichkeit…
Die «Isabella IX.» wurde schon jetzt ziemlich stark belastet, als sie bei ruppiger See und steifem Wind aus Nord mit Backbordhalsen und über Steuerbordbug segelte. Auch die ersten Spritzer ergossen sich an Deck, und über die Galion stäubte es, als der Bug die Wellen zerhackte und wie rießige Schleier aufriß. Einige hatten jetzt das Ruder schon mal für ein paar Minuten in der Hand gehabt, denn jeder wollte wissen, wie die neue Lady sich so benahm. Ob sie ruppig oder bockig war, ob sie zornig oder fuchsteufelswild dahinjagte oder ob sie fromm und friedlich durch die See glitt. Sie lief wie geschmiert – wie «in Butter», wie Pete Ballie sagte…
Zwei Feluken hatten Hasards Tartane gestellt, und auf der einen hantierten die Schnapphähne Uluch Alis bereits an den Drehbassen, um es den Christenhunden zu geben. In diesem Augenblick holte Big Old Shane aus. Das obere Ende der in die Flasche gepreßten Lunte begann hellrot zu glühen. Das Ding flog, mit gewaltiger Kraft sicher geschleudert, glimmend durch die Luft. Ganz genau ließ sich die Flugbahn verfolgen. Dann hatte die Pulverflasche ihren höchsten Punkt erreicht und senkte sich nieder. Auf der Feluke starrten die Kerle in die Luft. Sie wunderten sich ganz offensichtlich über das Ding, das da vom Himmel fiel, aber sie wunderten sich nicht sehr lange…
Wie eine schwimmende Festung lag die «Caribian Queen» in der Einfahrt der Bucht und riegelte sie ab. Aus den Mündungen der Kanonen des oberen Batteriedecks flammten blutrote Lohen hervor, die gelb umrandet waren. Niemand an Bord der englischen Kriegsgaleone «Dragon» hatte mit diesem überraschenden Angriff gerechnet, am allerwenigsten Sir Henry, der in panischem Entsetzen zu kreischen und zu quicken begann, als die ersten Kugeln in die «Dragon» krachten. Um ihn herum schrien und jammerten die anderen Gentlemen blauen Geblüts, die sich bisher immer vornehm zurückgehalten hatten, wenn irgendwo gekämpft wurde. Sie hatten Wind gesät, und jetzt ernteten sie Sturm und standen selbst im Kugelhagel…