Der Franzose hob den Blick und gewahrte plötzlich eine Gestalt, die an der Schmuckbalustrade des Achterdecks stand. Eine Frau ! Eine Schwarze, deren nackter Oberkörper wie Ebenholz im Mondlicht und dem Schein der Hecklaterne schimmerte. War sie der Kapitän? Der Franzose war verwirrt und abgelenkt, und er vertat seine Chance, den Backbordniedergang zum Achterdeck zu erreichen. Ein Bulle von Kerl war dort aufgetaucht und versperrte ihm den Weg – ein riesiger Schwarzer, ein säbelschwingender Hüne, der drohend und wüst mit den Augen rollte. Der Franzose riß das Entermessser hoch. Die Klinge flog gegen den Säbel, es klirrte, und der schwarze Riese stieß einen grollenden Laut aus…
Hart hinter dem Heck der spanischen Kriegskaravelle drehte die Schebecke höher an den Wind, so daß sich ihr Rumpf im rechten Winkel zum Kurs des Gegners befand. Don Juan de Alcazar gab den Feuerbefehl, Sekunden später explodierten die Pulverladungen in den Kartuschen. Es dröhnte und wummerte – fünf Stück rollten zurück und spuckten ihre Ladungen gegen das Heck der Karavelle aus. Wie Blitze zuckten die Mündungsfeuer durch die Nacht und erloschen wieder. Auf das Donnergrollen folgte drüben das Geschrei der Spanier. Die Schebecke segelte weiter und erreichte die Karavelle, die in Lee am Ende der anderen Kolonne segelte. Und wieder schlugen die Männer auf der Schebecke zu – mit den restlichen sechs Vierpfündern…
Der schlanke Dreimaster mit den Lateinersegeln war ein ungewöhnliches Schiff – zumindest in diesem Bereich der Bahama-Inseln. Im Schanzkleid dieses Seglers befanden sich auf jeder Seite elf Geschützpforten. Es war in grellem Rot gestrichen, im Gegensatz zu dem schwarzen Rumpf. Der weit vorragende Vorsteven endete in einem wild aufgerissenen Löwenmaul. Die Dreieckssegel an den langen Rahruten waren von oben nach unten abwechselnd rot und weiß gestreift. Und dieses sonderbare Schiff nahm genau Kurs auf die Jolle der Seewölfe. Dan O'Flynn betrachtete den Dreimaster durchs Spektiv, und als er es absetzte, war sein Gesicht verkniffen. Solche Schiffe waren ihnen im Mittelmeer begegnet – bemannt mit nordafrikanischen Piraten…
Von Land sahen sie aus wie Tauben. Sie waren am Schanzkleid innen hochgeklettert, ein ganzes Rudel, und jetzt turnten sie auf dem Handlauf entlang, suchten dort Halt, wo sich außen die Versteifungen der Wanten befanden, und hingen senkrecht an der Bordwand des gestrandeten Schiffes. Die Schiffbrüchigen an Land packte das Grauen. Die erste Ratte sprang, ihr folgten gleich darauf die anderen. Die erste, eine alte Ratte mit mit langen gelben Zähnen und einem räudigen Fell, schien die Anführerin der unheimlichen Schar zu sein. Sie schwamm los, die Schnauze spitz nach oben gereckt. Drei Dutzend andere folgten in Kiellinie…
Atemlose Stille hatte sich über den Platz in der Wüste gesenkt. Hasard hielt den Säbel in der Faust und beobachtete die fünf riesigen Eunuchen, die ihn umschlichen wie Tiger ihre Beute. Sie wollten ihn einkreisen, und dann würden sie ihn mit ihren fürchterlichen Nilpferdpeitschen von allen Seiten zusammenschlagen. Aber Hasard dachte nicht daran, den Kerlen das Gesetz des Handelns zu überlassen. Wenn er überleben wollte, mußte er angreifen. Er konzentrierte sich auf den Riesen, der ihm am nächsten war. Bis auf fünf, sechs Schritte ließ er ihn heran – und dann explodierte er…
Rücken an Rücken nahmen die beiden Duellanten Aufstellung – Philip Hasard Killigrew und Sir Andrew Clifford. Jeder hatte eine Pistole in der Faust. Auf Old Shanes Befehl entfernten sie sich voneinander. Clifford schien Blei an den Füßen zu haben, Hasard marschierte aufrecht und ruhig. Dann geschah es, für alle völlig unerwartet. Clifford warf sich herum, nach vier Schritten, riß die Pistole hoch und drückte ab. Der Feuerblitz zuckte über den Strand, die Kugel erreichte im Aufschreien seiner Kameraden den Seewolf und traf ihn in den Rücken. Clifford stieß einen triumphierenden Schrei aus. Hasard bäumte sich auf, die Pistole entglitt seinen Fingern…
Niemand hatte etwas gesehen oder gehört. Völlig unbemerkt waren die zwanzig spanischen Kriegs-Galeonen in die Hafenbucht von El Triunfo gesegelt – klar zum Gefecht. Und dann brach die Hölle los, als sich die ersten Breitseiten entluden und ein Eisenhagel auf die Siedlung niederging. Wer von den Siedlern nicht mehr rechtzeitig genug ins Freie gelangte, der wurde unter den Trümmern der Hütten begraben, die krachend und berstend in sich zusammenfielen. Keiner dachte an Gegenwehr. Jeder wußte, daß sein Heil nur noch in der Flucht lag. Der Turm der Missionskirche zerbröckelte unter dem Einschlag der Kugeln. Es dauerte nicht lange, und dann krachte eine ganze Kirche in sich zusammen. Von den herumfliegenden Steinbrocken wurden die Männer reihenweise umgemäht. Ihre Schreie gingen unter im Donner der Schiffsgeschütze…
Hasard hatte keine Veranlassung, als Richter über drei Mörder aufzutreten, und die Crew der «Isabella» war ganz seiner Meinung. Es war Sache der Spanier, die drei Schuldigen abzuurteilen – und das taten sie, als sie am Strand von Great Abaco zusammentarten, um Recht zu sprechen. Eins stand fest: Don Ignatio Churruca, der Kapitän der «Golondrina», Carlos Antibes, sein Zweiter Offizier, und der Decksmann Gomez Segura hatten heimtückisch und um des eigenen Vorteils willen gemordet. Dafür gab es Zeugen. So lautete denn der Urteilsspruch der Geschworenen, daß die drei Männer schuldig seien und für ihre Untaten hängen sollten…
Es war ein prachtvolles Weib, das dort am Tresen der «Schildkröte» stand, rothaarig, robust und energisch. Old O'Flynn war ganz hingerissen, und bevor Carberry ihn bremsen konnte, stelzte Old Donegal bereits zum Tresen, um die Lady zum Trunke aufzufordern, wobei er über sein granithartes Gesicht grinste, während er der Lady von hinten auf die Schulter tippte – was er nicht hätte tun sollen. Die faßte das wohl als unsittliche Annäherung auf, griff nach einem Humpen, fuhr herum und donnerte ihm den verzückten Old Donegal aufs Haupt, mit Macht, versteht sich. Der Profos war erschüttert. Old O'Flynn auch. Obwohl die O'Flynns für ihre Eisenschädel bekannt waren, suchte der Alte die Dielen auf, nachdem ihm die Tonscherben um die Ohren geflogen waren…
Jetzt war der Profos in seinem Element und von einer wilden Wut erfüllt. Die Absicht dieser russischen Halunken war klar: Sie wollten den Arwenacks die Dubas klauen und ihnen die Hälse durchschneiden. Aber nicht mit Edwin Carberry! Mit einem urigen Gebrüll stürzte er sich mitten in das Gewühl. Der erste, der ihm zwischen die Pranken geriet, war Wassilij Iwanowitsch. So dürr der Bursche war, so giftig war er auch. Er hatte sich Ben Brighton genähert und schwang einen Säbel, dessen Spitze abgebrochen war. Ben hatte keine Waffe, er parierte nur die wilden Hiebe und wich aus. Er wartete, bis der dürre Russe einen Fehler beging, und wollte dann zupacken. Der Profos kriegte den Dünnmann von der Seite zu fassen. Er schnappte dessen Handgelenk und drehte es mit einem harten Ruck um…