Название | Reader. Was soll Politische Bildung? |
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Автор произведения | Группа авторов |
Жанр | Учебная литература |
Серия | |
Издательство | Учебная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783035505023 |
Bourdieu, Pierre (1998): Vom Gebrauch der Wissenschaft. Für eine klinische Soziologie des wissenschaftlichen Feldes. Konstanz: UVK, Universitätsverlag.
Gruntz-Stoll, Johannes (1999): Erziehung, Unterricht, Widerspruch: Pädagogische Antinomien und Paradoxe Anthropologie. Bern: Peter Lang.
Linder, Wolf; Zürcher, Regula; Bolliger, Christian (2008): Gespaltene Schweiz – geeinte Schweiz. Gesellschaftliche Spaltungen und Konkordanz bei den Volksabstimmungen seit 1874. Baden: hier + jetzt.
Lipset, Seymour M.; Rokkan, Stein (1967): Party systems and voter alignments: crossnational perspectives. London: Collier-Macmilllan.
Parker, Walter C.; Hess, Diana (2001): Teaching with and for discussion. In: Teaching and Teacher Education, Nr. 17, S. 273–289.
Schweizerische Konferenz der Rektorinnen und Rektoren (COHEP) (2014): Hochschulraum. Online: www.swissuniversities.ch/de/hochschulraum/ [21.10.2015].
Ziegler, Béatrice (2016): Politische Bildung in der Primarstufe – zum Stand der Entwicklungen in der Schweiz im 21. Jahrhundert. In: Mittnik, Philipp (Hrsg.): Politische Bildung in der Primarstufe. Eine internationale Perspektive. Innsbruck: Studienverlag.
Johann Heinrich Zschokke: Volksbildung – Aufklärung und Tugend
1.Kontext Französische Revolution und Helvetische Revolution | 3.Lektüre Volksbildung – Aufklärung und Tugend |
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2.Position Kirche vs. Staat | 4.Kontroverse Auf welche Werte stützt sich Politische Bildung? |
1.Kontext
Französische Revolution (1789–1799)
Ein Meilenstein der Französischen Revolution war die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789. In den folgenden Jahren wurde die alte Ständeordnung abgeschafft und es entstanden verschiedene Verfassungen, welche die demokratischen Prinzipien auf unterschiedliche Weise verankern wollten. Unter den Girondisten galt die wesentlich von Condorcet geprägte Verfassung mit strikter Gewaltenteilung in einem repräsentativen System. 1793 wurden die Girondisten durch die noch radikaleren Jakobiner abgelöst. Deren von Rousseau inspirierte Verfassung mit direktdemokratischen Elementen wurde jedoch nie in Kraft gesetzt. Nach weiteren Regierungswechseln gelang Napoleon 1799 an der Spitze des französischen Staates.
Helvetische Revolution (1798)
Die Helvetische Revolution begann Anfang 1798 mit Aufständen in den Untertanengebieten und den gemeinen Herrschaften. Unter dem Druck der vorrückenden französischen Truppen wurden diese Gebiete von den herrschenden Orten in die Unabhängigkeit entlassen. Frankreich besetzte in der Folge die Eidgenossenschaft, plünderte die Staatskasse mehrerer Kantone, diktierte die Verfassung der Helvetischen Republik gemäss dem zentralistischen Vorbild Frankreichs und führte ein einheitliches Strafgesetzbuch ein. Die helvetische Verfassung beruhte auf den Prinzipien der Rechtsgleichheit, Volkssouveränität und Gewaltenteilung. Die Volksschule sollte dabei das Fundament für die Demokratie legen. Die fünf Jahre der Helvetischen Republik (1798–1803) reichten jedoch nicht aus, um das Schulwesen grundlegend zu reformieren (Böning 1998: 227).
2.Position
Kirche vs. Staat
Die Aufklärung im 18. Jahrhundert setzte an die Stelle des Glaubens die Vernunft und die Tugend als handlungsleitende Motive. Dadurch begann der Streit um die Kontrolle der Bildung zwischen Kirche und Staat. Vor 1800 war die Schule konfessionell organisiert. Späni (1999: 300) hat den Idealtypus der konfessionellen Volksschule beschrieben, bei der das Glaubensbekenntnis der jeweiligen staatlichen Religionsgemeinschaft im Vordergrund steht. In der konfessionellen Schule vor der Helvetik beaufsichtigten die Pfarrer die Lehrer, welche den Unterricht der konfessionell homogenen Klassen an den Glaubensdogmen ausrichteten. Die Werte im konfessionellen Bildungssystem wurden vom christlichen Glauben vorgegeben. Einzelne Kantone konnten dieses konfessionelle System bis ins 20. Jahrhundert weiterführen, obwohl während der Helvetik eindringlich – aber weitgehend erfolglos – versucht wurde, den Einfluss der Kirche auf die Schule einzudämmen (Späni 1999: 301). Die Volksbildung stand in der Helvetischen Republik zuoberst auf der Agenda; «Revolution ist Bildung» war das zentrale Schlagwort (Böning 1998: 223).
Es gab während der Helvetik Stimmen, die das Unterrichtswesen zum Staatswesen erklären wollten und den Besuch der Volksschule als Grundlage für das Bürgerrecht formulierten (Bütikofer 2006: 136). Die Ebene der Konzeptionen und diejenige des realen Schulwesens müssen jedoch auseinandergehalten werden. Religion gehörte während der Helvetik unbestrittenermassen in den schulischen Wissenskanon, wenn auch inhaltlich begrenzt (Bütikofer 2006: 247). Auf der politischen Ebene wurde schlussendlich ein Kompromiss gefunden, um die Gegensätze zwischen den Geistlichen und den liberal-republikanischen Kreisen zu überwinden. Philipp Albert Stapfer – Bildungsminister in der Helvetischen Republik – verwendete für seinen Gesetzesentwurf zur Reform der Volksschulen das Konzept der öffentlichen Erziehung nach Condorcet (vgl. Kapitel 1840: Snell). Die Geistlichen sollten sich in den neu geschaffenen Erziehungsräten einbringen, dadurch in einen öffentlichen Wettstreit treten und ohne institutionellen, staatlichen Zwang für eine religiös-sittliche Erziehung wirken (Osterwalder 2014: 241). Das Gesetz wurde vom Vollziehungsdirektorium (Regierung) der Helvetik im November 1798 dem Grossen Rat überwiesen (Fuchs 2014: 81). Das in Kraft getretene Gesetz hatte allerdings nur provisorischen Charakter. Deshalb nahm im Auftrag des Direktoriums eine Schulgesetzgebungskommission die Arbeit auf, die in der Folge auf Basis einer öffentlichen Vernehmlassung einen Erziehungsplan mit wegweisendem Charakter ausarbeitete. Die in diesem Kapitel abgedruckte Quelle ist Johann Heinrich Zschokkes Beitrag zu ebendieser Vernehmlassung.
Abb. 1 — Pfarrer als Bettler ; Karikatur von Balthasar Anton Dunker um 1800. Der Pfarrer muss betteln, weil der helvetische Staat mit der Abschaffung der Feudallasten der Kirche die materiellen Grundlagen entzogen hatte. Diese Regelung galt jedoch nur vorübergehend.
Die Position von Zschokke
«Sapere aude! Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!» Dies war gemäss Immanuel Kant (1784: 481) der Wahlspruch der Aufklärung. Kant, Condorcet (1966, Original 1792), Zschokke und weitere liberale Vordenker waren überzeugt, dass Aufklärung und Demokratie von der Bildung des Volkes abhängig sind. Neben der Förderung von Verstand und Vernunft (vgl. Kapitel 1840: Snell) beinhaltete die Volksbildung auch eine Werteerziehung, die mit den Begriffen Tugend (vgl. Multiple Choice), Sitten (vgl. Kapitel 1815: Pestalozzi) oder Gesinnung (vgl. Kapitel 1886: Droz) verknüpft wurde. Die Idee, dass das eigene Handeln auf Vernunft und allgemein geteilten Werten basieren sollte, ist auch heute noch für viele Lehrpersonen und Fachdidaktikerinnen und Fachdidaktiker der Politischen Bildung zentral.