Das Geheimnis eines guten Lebens. Carl Achleitner

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Название Das Geheimnis eines guten Lebens
Автор произведения Carl Achleitner
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783990014387



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Friedfertigkeit, Hoffnung, Gelassenheit, Güte, Mitgefühl, Heiterkeit, Großzügigkeit, Dankbarkeit, Vertrauen und Wahrheit.

      Da fragt die jüngste Enkelin: »Welcher der beiden Wölfe gewinnt den Kampf?« Der Großvater schweigt eine Weile, dann antwortet er: »Der, den du fütterst.«

      Dass diese Geschichte auf meinen Vater passt, ist selbsterklärend. Ich glaube auch, dass der gute Wolf in ihm am Ende wesentlich besser genährt war. Und doch …. Ich muss wieder heulen.

      Ein paar Tage später hat sie mich dann soweit. Ich bin voller Euphorie und will das weitergeben, was ich seit dem Begräbnis erlebt und empfunden habe. Also schicke ich die Bewerbung ab.

      Wieder ein paar Tage später finde ich mich in den Räumen der Agentur Stockmeier wieder. Ich habe keine Ahnung, was mich erwartet. Ich weiß nur, dass ich schwanke. Trauerredner? Will ich das wirklich? Wahrscheinlich habe ich nach der Gefühlsachterbahn der letzten Tage einen emotionalen Kater. Außerdem kann ich mich des Gefühls nicht erwehren, dass ich diesen Vorstellungstermin vor allem wegen Ann-Birgit wahrnehme. Jedenfalls steht die Entscheidung zwischen Pro und Contra auf des Messers Schneide.

      Ein freundlich lächelnder Mann nimmt mich in Empfang, stellt sich als Hannes Benedetto Pircher vor und führt mich in das Besprechungszimmer der Agentur, das wie ein gemütliches Wohnzimmer anmutet. Es werden Kaffee und Topfengolatschen serviert. Topfengolatschen! Dass ich süchtig nach dieser Wiener Spezialität bin, konnte die Agentur Stockmeier nicht wissen. Schöner Zufall, der meine Laune hebt, erst recht nach dem ersten Bissen. Nach der Adresse des Bäckers werde ich später fragen.

      Dann kommt sie. Elfi Stockmeier, die Chefin. Ohne viel darüber nachzudenken, habe ich wohl eine würdige ältere Dame erwartet, die mir salbungsvoll irgendwas über den Beruf des Trauerredners erzählen würde. Von einer solchen hätte ich mich alsbald freundlich aber bestimmt und auf alle Zeiten wieder verabschieden können. Ann-Birgit hätte ich zu Hause erzählen können, dass die Chemie einfach nicht gepasst hat und dass Trauerredner ohnehin kein Beruf für mich sei.

      Stattdessen betritt eine quirlige, strahlende, vor Energie sprühende Frau den Raum, begrüßt mich mit einem herzlichen Lächeln und fragt, ob die Golatschen schmecken. Das kann ich nur bejahen.

      »Habe ich selbst gemacht«, freut sich Frau Stockmeier.

      Eins zu null für dich, denke ich.

      Was dann folgt, ist ein Gespräch von ungefähr neunzig Minuten, in dem die beiden vor allem Fragen stellen und ich ihnen meinen Lebensweg schildere. Als alle Topfengolatschen verspeist sind, fragt mich Frau Stockmeier, ob ich bereit sei, hier und jetzt eine erste Proberede zu halten. Hannes reicht mir die Unterlagen seiner letzten Rede, die er erst am Vormittag gehalten hat. Ein im achtzigsten Lebensjahr unerwartet verstorbener Diplomingenieur. Hannes gibt mir noch ein paar Details zur Familienkonstellation, dann lassen er und Frau Stockmeier mich für zwanzig Minuten alleine.

      Als Schauspieler bin ich schon auf unzähligen Castings gewesen. Das hier sollte ein Kinderspiel werden.

      Nach meiner Proberede schaut Frau Stockmeier ihren Kollegen an und gibt nur einen Kommentar ab: »Sie sprechen ein bisschen schnell, geht das auch langsamer?«

      Das trifft mich wie ein Schlag in die Magengrube. Holt mich da ein Geist der Vergangenheit ein? Nach so vielen Jahren ist das zu schnelle und damit unverständliche Sprechen immer noch mein wunder Punkt? Mit einem schlechten Gefühl ziehe ich von dannen und tröste mich damit, dass ich den Job ja ohnehin nicht haben will.

      Ein paar Tage später klingelt mein Handy. Frau Stockmeier ist am Telefon. Beschwingt gratuliert sie mir. »Wir freuen uns, Sie an Bord zu haben.«

      »Aha«, bringe ich nur heraus.

      »Bitte kommen Sie in den nächsten Tagen mal vorbei, damit wir den Vertrag unterzeichnen. Die ersten zwei Monate sind Ihre Probezeit, das wissen Sie.«

      Ich bin sprachlos. Mein Casting als Trauerredner kommt mir rückblickend wie ein Desaster vor. Mit diesem Anruf habe ich gar nicht mehr gerechnet. »Herr Achleitner, sind Sie noch dran?«, höre ich Frau Stockmeier fragen.

      »Ja, ich bin noch dran«, sage ich schnell.

      »Sehr gut. Sie starten nächste Woche. Sie werden erst einmal einige unserer Trauerredner begleiten, ihnen zuhören und zuschauen. Ich schicke Ihnen gleich die Termine.«

      Bald darauf bin ich bei den ersten Begräbnissen dabei. Es ist weniger bedrückend, als ich befürchtet habe. Die Emotionen der Hinterbliebenen berühren mich, zumal ich Erzählungen von Lebensgeschichten lausche und dadurch die Verstorbenen posthum gleichsam ein wenig kennenlerne. Das alles zieht mich allerdings nicht in die Tiefe der Trauer; und Trauer heucheln will ich auf keinen Fall. Ich stehe bei den Vorgesprächen im Hintergrund, beobachte, wie die verschiedenen Redner mit den Trauernden umgehen. Bei manchen fallen mir ihre angenehme Art und ihre Einfühlsamkeit besonders auf. Klarerweise konzentriere ich mich bald auf die Beobachtung jener Kollegen, die mir selbst ein gutes Gefühl vermitteln. Insbesondere der Mann, der mich bei der Agentur Stockmeier empfangen hat, Hannes Benedetto Pircher, wird so etwas wie ein Mentor für mich. Er hat ein philosophisches Buch über den Tod geschrieben – Sorella Morte – das meine Sicht auf die Endlichkeit unseres Daseins ganz grundlegend verändert hat und das ich allen Menschen empfehlen möchte, die mit dem Tod hadern oder gar an ihm verzweifeln.

      Es ist unser Wissen, dass wir sterblich sind, das uns zu Menschen macht und uns in unserer knappen Lebenszeit nach etwas streben lässt. Carpe diem wäre ohne den Tod sinnlos. Wir würden gleichsam bewusstlos in den Tag hineinleben wie die Tiere. Unser Wissen um den Tod lässt uns Kultur erschaffen, Dinge, die den Tod überdauern, auf denen die nächste Generation aufbauen kann, insbesondere Bauwerke, Schrift, Werkzeuge, Kunst und Kultur.

      Gleichzeitig erschaffen wir Menschen aber auch Dinge, die anderen den Tod bringen sollen, bis hin zu Atom- und anderen Massenvernichtungswaffen. Die Waffenindustrie ist immer noch eine Branche, deren Bedeutung für die Weltwirtschaft und für die Wissenschaft kaum hoch genug eingeschätzt werden kann. Der potenzielle Tod ist ein riesiges Geschäft und schafft Arbeitsplätze. Nicht nur in militärischen Projekten im engeren Sinne. So vieles dreht sich um den Tod. Von allgegenwärtigen Krimiserien im Fernsehen über Computerspiele bis zur Kriegsberichterstattung in den Nachrichten. Wir konfrontieren uns ständig und freiwillig mit dem Drama und dem Nervenkitzel. Seltener tun wir das allerdings mit unserem ganz persönlichen, einzigartigen Tod.

      Deshalb ist der Friedhof ein ganz besonderer Ort. Hier wird der potenzielle Tod zum eigenen Tod. Hier stirbt in Form unserer Verstorbenen etwas von uns. Hier sind wir wie sonst nirgends mit unserer eigenen Endlichkeit konfrontiert. Vor allem das ist mir in den ersten Wochen bewusst geworden. Begräbnisse sind viel mehr als der letzte Akt im Drama eines menschlichen Lebens. Begräbnisse sind der Moment, wo unser Abstand zum Tod im Leben am geringsten ist. Wir erinnern uns, denken an den toten Menschen. Wir dürfen uns erinnern, woran wir wollen. Allerdings drängt uns das Unbewusste auch viele Erinnerungen auf. Das für uns Wichtige kommt hoch. Wir trauern um Lebenszeit, die noch hätte sein können, um schöne Momente mit einem Menschen ebenso wie um weitere Gelegenheiten zur Aussprache und Versöhnung, die wir aufgrund seines Todes versäumen.

      Der Tod kommt meistens zu früh. Bei schwerer Krankheit kann der Tod eine Erlösung sein. Allerdings erlöst er meist nur die Verstorbenen selbst. Die Hinterbliebenen hingegen leiden auch in solchen Fällen genauso an dem, was sie versäumen, was sie verlieren und loslassen müssen. Umso mehr, je schöner es mit einem Verstorbenen war, je größer seine Bedeutung für die Lebenden. Je größer unsere Liebe zu einem Menschen ist, umso größer auch der Schmerz, wenn es heißt, Abschied zu nehmen.

      Ich höre mir in diesen Tagen viele Trauerreden an, nicht nur jene von Rednern der Agentur Stockmeier. Da gibt es einen alten Hasen, sehr erfahren, der sich als abgestumpfter Abzocker entpuppt. Eine einzige Standardrede hat er parat, die er in zwei Variationen hält: männlich oder weiblich. Er spult immer dieselbe Leier ab. Furchtbar. Seine Rede dauert exakt zehn Minuten. Dafür lieben ihn manche Arrangeure, weil sie dann länger Pause bis zum nächsten Begräbnis haben.

      Noch weniger als dieser alte Hase gefallen mir jene Redner, die ein Mittrauern vortäuschen. Ekelhaft. Falsche