Das Geheimnis eines guten Lebens. Carl Achleitner

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Название Das Geheimnis eines guten Lebens
Автор произведения Carl Achleitner
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783990014387



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wird. Das geht nicht immer. Heute schon. »67 Jahre verheiratet, 71 Jahre zusammen, und, Sie wissen doch, Edi: niemand kann Ihnen einen einzigen Augenblick aus diesen 71 Jahren wegnehmen. Denken Sie nur daran, wie sie sich kennengelernt haben …« sage ich und erzähle die Geschichte, die Gabi im Vorfeld erwähnt hat. Im eisigen Jänner 1947, Wien lag in Trümmern, es herrschten Mangel und auch Hunger. Da ist Edi wie viele andere aufs Land zum Hamstern, also um irgendwo Lebensmittel aufzutreiben. Dabei hat er einmal bei einem Bauern nahe Rappoltenkirchen übernachtet, im Heustadel. Am nächsten Morgen hat Mitzis Schwester Martha ihm ein Frühstück gebracht, ein Butterbrot.

      Edi nickt. »Das war etwas Besonderes in einer Zeit, wo wir Wurzeln gefressen haben, und Ratten.«

      Edi war von Martha so angetan, dass er am nächsten Abend zu ihr »Fensterln« gegangen ist. Aber er hat sich im Fenster geirrt und versehentlich bei Mitzi geklopft.

      Edi lächelt, Martha und Pepi ebenso.

      »Damals hätten Sie sich wohl nicht träumen lassen, dass daraus 73 gemeinsame Jahre werden, oder?

      Sie und die Mitzi haben in einander das gefunden, was wohl jeder Mensch sucht, was aber nur die Wenigsten finden: die große Liebe fürs ganze Leben.«

      Edi nickt.

      »Uropa, was ist Fensterln?«, fragt die kleine Lena.

      Alle schmunzeln.

      »Frag die Mama«, antwortet Edi.

      Ich spreche Lena direkt an. Meistens frage ich vorab die Eltern, ob ich die Kinder ansprechen darf. Heute riskiere ich es ungefragt und verspreche Lena, dass die Traurigkeit irgendwann weggehen wird, aber die Uroma nicht. »Die bleibt bei dir, so lange du selbst auf dieser Welt bist.«

      Das ist meine Erfahrung mit meinem Opa, auch dazu später. Gabi ist stark. Mit ihr wechsle ich Blicke, das genügt. Ich wende mich wieder an Edi. »Sie haben 1952 geheiratet. Damals, beim Heiraten, haben Sie der Mitzi ein großes Versprechen gegeben. Sie haben ihr versprochen, sie zu lieben und zu achten, in den guten, und auch in den schlechten Zeiten. Sie haben die guten Zeiten erlebt, haben der Gabi das Leben geschenkt, die Mitzi war nicht nur eine gute, sondern, Zitat Gabi: ›Die beste Mama‹. Glückliche Jahre, schöne Zeiten. Und dann verschweigen Sie, dass Sie auch in den schlechten Zeiten an ihrer Seite waren? Sie gepflegt haben, vier Jahre lang. Wenn ich einen Hut hätte, ich würde ihn vor Ihnen ziehen. Wenn man jung und verliebt ist, Fensterln geht, wenn die Sonne scheint und man vor Lebenskraft nur so strotzt, ist es nicht so schwer, sich zu lieben. Aber wenn irgendwann Krankheit, Pflegebedürftigkeit und Demenz daherkommen, dann beweist sich doch erst die echte Qualität einer Liebe, eines Versprechens. Sie und Mitzi haben Ihrer Familie vorgelebt, dass es möglich ist: dass es die große Liebe fürs ganze Leben tatsächlich gibt.«

      Gabi wendet sich um zu ihrem Mann Albert. Der senkt den Blick.

      »Niemand, den wir wirklich lieben, ist jemals tot«, fahre ich fort. Worte, die an normalen Tagen vielleicht platt klingen oder kitschig, werden im Angesicht des Todes auf ihre Gültigkeit überprüfbar. Was im Alltag vielleicht wie ein Klischee klingt, bekommt in diesem Moment eine tröstliche Kraft und Wahrhaftigkeit. Warum das so ist? Vielleicht, weil wir uns, so unterschiedlich wir unsere Leben auch leben mögen, in unserer Trauer doch ähnlich sind.

      »Leuchtende Tage! Nicht weinen, dass sie vorüber sind. Lächeln, dass sie gewesen«, zitiere ich Konfuzius.

      Edi sieht mich an und nickt wieder. Auch für ihn sind es in diesem Moment des Abschieds keine platten Worte.

      Ich nicke ebenfalls, mache eine kurze Pause und beschließe meine Rede mit einem Satz von Antoine de Saint-Exupery: »Wenn ihr mich sucht, dann sucht mich in eurem Herzen. Habe ich dort einen Platz gefunden, dann bin ich immer bei euch.«

      Ich gehe ab. Der Arrangeur kommt und verabschiedet sich mit einer Verneigung von der Toten. Die Träger stehen bereit, in ihren schwarzen Umhängen, mit Dragonerhut, einer Spezialität dieses Bestattungsunternehmens. Die Trauergäste sind noch etwas versunken. Als erstes steht die kleine Lena auf, streicht ihrer Mutter über die Wangen und zieht sich ihre Jacke an. Gabi und Michaela nehmen sie in die Mitte. Edi deutet: ›Ich komm schon alleine zurecht.‹ Der Arrangeur gibt den vier Sargträgern ein leises Kommando. Sie gehen in Zweierreihe im Gleichschritt los, vom Eingang in Richtung Sarg. Da schneidet ihnen Edi mitsamt seinem Rollator den Weg ab. Die Träger geraten aus dem Gleichschritt, einer stolpert, seine Kollegen können ihn und seinen Dragonerhut gerade noch fangen.

      Edi schlurft schnurstracks auf den Sarg zu, bis er ganz nahe davorsteht. »Mitzimausi, ich danke dir«, ruft er, und das aus tiefster Seele. »Ich habe mit dir das beste Leben gehabt, das ich mir vorstellen kann. Danke, dass du immer da warst. Danke, dass du mich so lange ausgehalten hast. Danke für alles.« In die darauffolgende Stille hinein flüstert er ein letztes »Ich liebe dich!«, gibt dem Sarg ein Busserl und zieht sich zurück.

      Der Arrangeur spielt das Schlusslied an. Jetzt dürfen die etwas konsternierten Träger ihres Amtes walten. Zu den letzten Klängen von »Sag beim Abschied leise Servus« wird der Sarg auf den Bahrwagen gehievt und mit der großen, schwarzen Samtdecke abgedeckt. Das Sarggesteck kommt an seinen Platz, die Sterbeglocke beginnt zu läuten, wir machen uns auf den Weg zum Grab. Es nieselt, kalt weht der Wind. Trotzdem merke ich, dass ich lächeln muss.

      Berufung finden

      Einige Jahre davor. »Das wäre doch was für dich.« Meine Frau Ann-Birgit schiebt mir die Zeitung über den Frühstückstisch, deutet auf das Inserat, nimmt einen Schluck aus ihrer Kaffeetasse und sieht mich erwartungsvoll an.

      »Trauerredner? … Sicher nicht«, sage ich. »Ganz sicher nicht.« Es ist Winter. Unser Sohn Vitus ist wenige Monate alt. Magdalena, meine Tochter aus erster Ehe, hat ihren 15. Geburtstag vor sich. Damals bin ich schon Ende vierzig, aber immer noch von so manchen Ängsten geplagt, tief in mir drin viel unsicherer, als ich das nach außen scheinen lassen will. Das Leben eines durchschnittlichen Schauspielers hat wenig mit Glamour zu tun. Die Schauspieler, die gut von ihrer Arbeit leben können, sind jene wenigen, die das Publikum namentlich kennt. Für die allermeisten von uns ist dieser Beruf ein ständiges Auf und Ab in einer Zirkuskuppel ohne Netz, nicht nur in finanzieller Hinsicht. Mal gibt es eine Vielzahl an Drehtagen, Projekte überschneiden sich, sodass man nicht weiß, wo einem der Kopf steht. Dann wieder wochen- oder monatelang nichts, kein Job, als ob die Welt einen vergessen hätte. Dieses Dasein nährte über Jahrzehnte meine Angst, nicht gut genug zu sein. Als Schauspieler, als Ehemann, Vater und überhaupt. Angst vor dem Leben. Angst vor dem Tod. Und Angst vor dem nächsten Banktermin.

      Ich bin in einem kleinen Dorf in Oberösterreich aufgewachsen. Meine Kinder- und Jugendzeit war nicht ungetrübt. Nach einer glänzenden Karriere als Schulversager habe ich 1979 eine Koch- und Kellnerlehre im damaligen »Theater Restaurant Casino« (heute »Promenadenhof«) in Linz begonnen. Dort habe ich die Schauspieler des Landestheaters zuerst als Gäste erlebt. Mit 17 habe ich erstmals eine Vorstellung im Theater gesehen. Da hat mich das Theaterfieber befallen. Dementsprechend habe ich den Großteil meiner freien Abende am Stehplatz verbracht.

      Als die Lehrzeit zu Ende ging, war klar: Ich will Schauspieler werden. Ich wollte Schauspieler sein, mit allem was dazugehört. Was wirklich alles dazugehört, das wusste ich zu diesem Zeitpunkt, mit Anfang zwanzig, natürlich noch nicht. Ich wusste nicht um die finanzielle Ungewissheit, um die dicke Haut, die ich mir noch würde zulegen müssen, die trotzdem manchmal Risse bekommen sollte. Aber selbst wenn mir all das damals so klar gewesen wäre: Ich hätte mich immer wieder so entschieden, das weiß ich.

      Nun aber, nach mehr als dreißig Jahren Berufserfahrung als Schauspieler, in denen ich neben Erfolgen auch schlimme Phasen der Existenzangst erlebt habe, bin ich ein nicht mehr ganz junger Jungvater. Ich weiß, dass ich etwas tun muss, das mehr Stabilität bringt, etwas Fixes. Einige Tage zuvor habe ich mich im Schweizerhaus – dem schönsten Biergarten Wiens – als Kellner beworben. Dazu inspiriert hat mich der ehemalige Bürgermeister Helmut Zilk, der einmal meinte, dass die Wiener Philharmoniker und die Schweizerhaus-Kellner einiges gemeinsam hätten. Beide seien sie Botschafter Wiens und sie verdienten auch etwa gleich viel. Beides reizt mich, den Job kann