Flagschiff Nescafé - Nestlés Aufstieg zum grössten Lebensmittelkonzern der Welt. Thomas P Fenner

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Название Flagschiff Nescafé - Nestlés Aufstieg zum grössten Lebensmittelkonzern der Welt
Автор произведения Thomas P Fenner
Жанр Зарубежная деловая литература
Серия
Издательство Зарубежная деловая литература
Год выпуска 0
isbn 9783039199044



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denselben Produktionsanlagen hergestellt werden. Drittens reduziert die vertikale Internalisierung des Ressourcenflusses die Transaktionskosten. Grosse Fabriken können dadurch ihre Produkte billiger produzieren als kleine Produktionsanlagen.

      Um diese Kostenvorteile im Bereich der Produktion zu nutzen, muss das Verkaufsvolumen allerdings mit dem Produktionsvolumen Schritt halten. Deshalb bauten Grossunternehmen internationale Verkaufs- und Vermarktungsapparate auf. Auch hier können wiederum «Economies of Scale» und «Economies of Scope» erzielt werden, indem bei steigenden Stückzahlen die Fixkosten von Handelsniederlassungen sinken, die Produkte rationell über grosse Warenhäuser oder Supermärkte verkauft werden und verschiedene Produkte dieselben Distributionskanäle nutzen. Die Massenproduktion führte zu Massenvertrieb und Massenkonsum, der wiederum durch Vermarktungsmassnahmen sichergestellt werden musste.51

      Bei der Harmonisierung der Produktion und Distribution betonte Chandler die Bedeutung der Manager, die innerhalb des Unternehmens als «sichtbare Hand» die Koordinationsfunktion von Märkten übernehmen. Laut Chandler entwickelten sich moderne Grossunternehmen dadurch zu den stärksten Institutionen und Entscheidungsträgern der Wirtschaft. Sie veränderten Strukturen und begannen Wirtschaftssektoren zu dominieren,52 was schliesslich zu Oligopolen führte: Branchen wurden von wenigen Grosskonzernen beherrscht, die ihre Produkte gegenüber der Konkurrenz kontinuierlich verbesserten, Unternehmen im gleichen Marktsegment aufkauften (horizontale Integration), vorgelagerte oder nachgelagerte Verarbeitungsprozesse ins Unternehmen integrierten (vertikale Integration), in andere Länder expandierten und ihre Produktpalette diversifizierten. Dabei stellte Chandler fest, dass die ersten Unternehmen in diesem Prozess gegenüber später folgenden Vorteile besassen, die er «First-Mover-Advantages» nannte.53

      Gleichzeitig stehen diesen Managern und multinationalen Unternehmen Konsumenten gegenüber, die keine beliebig beeinflussbaren Marionetten sind, sondern als Akteure mit eigenen Geschmacks- und Konsumpräferenzen das Marktgeschehen mitbeeinflussen.54 Multinationale Grosskonzerne werden daher nicht nur durch Managementstrategien hierarchisch von oben nach unten, sondern durch Marktbedingungen, Produkteigenschaften und Konsumpräferenzen ebenfalls von unten nach oben gesteuert. Dunning begründet multinationale Grosskonzerne deshalb nicht nur mit der globalen Verwertung von Wettbewerbsvorteilen wie Grössenvorteilen, einer überlegenen Technologie oder stillem Wissen, die er als «Owner-specific Advantages» bezeichnet, sondern auch mit dezentral an einen Ort gebundenen «Local-specific Advantages» wie lokalen Marktkenntnissen oder lokalen Produktionsstätten, mit denen sich Handelshemmnisse umgehen lassen.55 In diesem Spannungsfeld zwischen globalem Unternehmen und lokalen Marktbedingungen steht das Markenprodukt, an dem sich sowohl die globalen Wettbewerbsvorteile multinationaler Unternehmen als auch die Adaption an die lokalen Konsumentenwünsche spiegeln, auf denen multinationale Unternehmen gründen.

      Globalisierung, Marken und multinationale Unternehmen stehen in einem engen Verhältnis zueinander: Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts bildeten sich im Zuge des Freihandels und des weltweiten Kapitalverkehrs überregionale Märkte aus.56 In Folge dieser ersten «Globalisierungswelle»,57 welche die bisherigen Strukturen der Agrargesellschaft aufriss und zum Übergang von der weitgehenden Selbstversorgung hin zur Fremdversorgung über Märkte führte,58 entstanden – insbesondere ab 1880 – die ersten multinationalen Unternehmen, die bis heute überdauert haben.59 In die gleiche Zeitspanne fallen auch die ersten Markenschutzgesetze, denn durch die Ausbildung einer überregionalen oder sogar globalen Wirtschaft veränderte sich die Beziehung zwischen Konsumenten und Produzenten grundlegend: Der Kunde stand nun nicht mehr in direktem Kontakt mit dem Hersteller und konnte die Qualität der überregional vertriebenen Waren nicht mehr unmittelbar beurteilen. Dies führte insbesondere bei der Lebensmittelversorgung sofort zur brisanten Frage nach der Qualität der Produkte, denn nicht selten waren die ersten industriell abgepackten Lebensmittel verdorben oder sogar gesundheitsgefährdend.

      Als Antwort auf die Anonymisierung der Marktabwicklungen, welche mit einem erheblichen Betrugsrisiko einherging, entwickelten die Hersteller Markenprodukte. Dabei verbürgte der Produzent mit einem Markenzeichen – meist sogar seinem eigenen Namen – für die Qualität des von ihm hergestellten Produkts. Die Marke stellte die Beziehung zwischen Kunden und Produzenten auf eine neue Vertrauensbasis: Sie sollte den Kunden einerseits vor Fälschungen oder minderwertiger Ware schützen, andererseits ging der Produzent mit seiner Garantie das Risiko ein, dass das Ansehen seiner Produkte im Falle gravierender Qualitätsmängel dauerhaften Schaden nahm. Die Marke versprach dem Kunden damit überall und zu jedem Zeitpunkt eine immer gleichbleibende Qualität des Produkts.60 Die Warenkenntnis des Kunden wurde dadurch zunehmend von der Markenkenntnis abgelöst.61

      Damit haben Marken und Werbung unter der Annahme unvollständiger Information auf Märkten eine marktkonstituierende Funktion: Sie erleichtern dem Kunden die Suche nach einem Produkt, das seinen persönlichen Wünschen entspricht. Während die Werbung den Konsumenten über die Vorteile der Produkte informiert,62 werden Marken für ihn zur Orientierungshilfe im unübersichtlichen Warenangebot. Sie bringen Transparenz und Zuverlässigkeit in einen ansonsten nur schwer durchschaubaren Markt.63

      Während Marken die Transaktionskosten der Kunden senken, fallen für den Produzenten zusätzliche Kosten an: Einerseits musste er über Agenten oder permanente Vertretungen die Absatzwege sicherstellen, um die Versorgungssicherheit und die Qualität seiner Markenprodukte gegenüber dem Kunden zu gewährleisten.64 Andererseits sah er sich gezwungen, einen Teil seines Einkommens in eine aktive Vermarktung des Produkts zu investieren, die zwei zentrale Aufgaben hat: Erstens erforscht sie die Bedürfnisse der Verbraucher, um die Markenprodukte den Konsumentenwünschen anzupassen. Zweitens versuchen Unternehmen mit geschicktem Marketing, die Nachfrage zugunsten der eigenen Markenprodukte zu beeinflussen.65

      Sowohl die Transaktionskostentheorie als auch Chandlers Theorie der Grössenvorteile sehen sich mit der berechtigten Kritik konfrontiert, dass sie allein mit dem marktwirtschaftlichen Effizienzprinzip argumentieren und andere Einflüsse wie Machtverhältnisse, gesellschaftliche Normen und staatliche Gesetze ausblenden.66

      Ökonomisches Handeln ist aber immer auch in kulturelle Sinnkonstruktionen eingebettet.67 So beruhen unsere Vorstellungen von Produkten und ihrem Wert nicht nur auf ihrem physischen Gebrauchszweck oder ihrer effektiven Wirkung,68 sondern ebenso auf ihren soziokulturellen Bedeutungen, die ihnen in einem Kulturkreis zugeschrieben werden. Die Symbolik der Produkte dient dabei sowohl der sozialen und kulturellen Differenzierung als auch der Identitätsbildung einer Gesellschaft.69 So waren Kolonialwaren wie Kaffee, Tee und Kakao lange Zeit nicht nur Genussmittel, sondern auch Statussymbole der Reichen und Mächtigen.70 Ausserdem können Produkte je nach Weltregion sehr unterschiedlich wahrgenommen werden: Auf den Britischen Inseln beispielsweise wurde das kakaohaltige Malzgetränk Ovomaltine abends zum Einschlafen getrunken, in Kontinentaleuropa dagegen morgens konsumiert, um wach und gestärkt in den Tag zu gehen.71 Produkte sind also immer auch kulturelle Konstrukte, die Machtverhältnisse72 widerspiegeln und mit Bedeutungen aufgeladen sind.73

      Diesen Sachverhalt machen sich multinationale Unternehmen bei der Vermarktung ihrer Markenprodukte zunutze, indem sie diesen neben ihrer funktionalen, materiellen Dimension – dem Versprechen immer gleichbleibender Qualität – eine immaterielle, soziologisch oder psychologisch erklärbare Dimension geben. Der zusätzliche Nutzen für den Konsumenten besteht bei dieser immateriellen Komponente darin, dass er sich durch den Konsum des Produkts in seiner Vorstellung jene immateriellen Werte aneignet, welche in der Werbung mit dem Markenprodukt in Verbindung gebracht werden.74 Marketing-Experte Hans Domizlaff beschreibt Marken daher als Ideen, die ein Eigenleben führen.75 Aus ihnen erklärt sich schliesslich die emotionale Ausstrahlung oder «Aura des Markenprodukts». Seit den 1950er-Jahren gewann die immaterielle Dimension von Marken zunehmend an Bedeutung, indem sich Marken zu einem Ausdruck des persönlichen Lebensstils entwickelten.76