Flagschiff Nescafé - Nestlés Aufstieg zum grössten Lebensmittelkonzern der Welt. Thomas P Fenner

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Название Flagschiff Nescafé - Nestlés Aufstieg zum grössten Lebensmittelkonzern der Welt
Автор произведения Thomas P Fenner
Жанр Зарубежная деловая литература
Серия
Издательство Зарубежная деловая литература
Год выпуска 0
isbn 9783039199044



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zum alltäglichen Nahrungs- und Genussmittel.67

      Auch die Kaffeezubereitung wurde durch die industrielle Vorfertigung wesentlich vereinfacht. Die Kaffeesurrogatindustrie verbreitete sich dabei wesentlich früher als die Röstkaffeeindustrie. Bereits um 1800 existierten in Braunschweig – dem Zentrum der deutschen Zichorienindustrie – 25 Fabriken.68 Bis um 1900 hatte sich die Ersatzkaffee-Industrie zu einem bedeutenden Geschäft entwickelt:69 Es darf angenommen werden, dass Ende des 19. Jahrhunderts über ein Drittel aller Kaffeeprodukte im Deutschen Reich in Form von Zichorien- und anderem Ersatzkaffee verkauft wurden, der gegenüber dem Bohnenkaffee etwa viermal billiger war.70

      Ab Mitte des 19. Jahrhunderts setzten Grossröstereien auch dem mühsamen Kaffeerösten von Hand ein Ende, indem die gerösteten Bohnen direkt beim Händler bezogen werden konnten.71 Entscheidend für diese Entwicklung waren die Erfindung der selbstentleerenden Röstmaschine durch Jabez Burns (1864) und der Sezessionskrieg (1861–1965), welcher der Kaffeeindustrie in den Vereinigten Staaten zum Durchbruch verhalf.72 In den folgenden Jahrzehnten entstanden in den Vereinigten Staaten bedeutende Röstkaffeeunternehmen wie Chase & Sanborn, und 1893 begann Joel Cheek, Bohnenkaffee unter der Marke Maxwell House zu verkaufen, der sich in den Vereinigten Staaten als Qualitätsprodukt etablierte.73 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelten sich die Vereinigten Staaten zu einer Kaffeetrinkernation74 und stellten um 1900 weltweit das Land mit dem höchsten Kaffeeverbrauch dar.75

      Auch in Europa nahm der Kaffeekonsum ab 1860 rasch zu und führte zu einer Industrialisierung der Kaffeeverarbeitung. Im späten 19. Jahrhundert entfaltete sich Douwe Egberts zu einem überregionalen niederländischen Kaffeeunternehmen, und deutsche Hansestädte stiegen durch die Handelsliberalisierung zu bedeutenden Kaffeehandelszentren auf. Die hanseatischen Kaffeehändler spezialisierten sich dabei auf die teuren Spitzenkaffeesorten. Aus dieser Tradition ging 1907 die Rösterei Jacobs in Bremen hervor, die sich später zusammen mit Tchibo aus Hamburg und dem 1924 gegründeten Versandhaus Eduscho zu den drei bedeutendsten Kaffeeunternehmen in Deutschland entwickelte.76

      Die zunehmende Beliebtheit führte aber auch zu Kritik: Beispielsweise sah die Ende des 19. Jahrhunderts aufkommende Lebensreformbewegung im koffeinhaltigen Kaffee ein «unnatürliches Gift» und einen allgemeinen Ausdruck der «städtischen Nervosität», welcher durch den Rhythmus der Maschinen hervorgerufen wurde. Als gesunde Alternative propagierte sie stattdessen Zichorien-, Malz- oder Getreidekaffee.77 Ab 1905 stand kritischen Konsumenten zudem der koffeinfreie Kaffee zur Verfügung, der noch in den 1950er-Jahren ganz im Sinne der Lebensreformbewegung mit der Werbebotschaft «Für die Gesundheit – schont Herz und Nerven» beworben wurde.78

      Weitere Vereinfachungen der Kaffeezubereitung erfolgten um 1900 mit der Erfindung der Espresso-Kaffeemaschine, die damals allerdings noch sehr teuer war und vorwiegend in öffentlichen Bars und Restaurants verwendet wurde,79 und der Entwicklung des Filterkaffees durch Melitta Benz (1908).80 Beide Techniken wurden in den folgenden Jahrzehnten weiterentwickelt und sorgten dafür, dass der Kaffee in Nordeuropa gefiltert und in Südeuropa als Espresso getrunken wurde.81

      Auch die Teezubereitung erfuhr mit dem maschinell produzierten Teepäckchen im späten 19. Jahrhundert und dem Teebeutel in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Rationalisierung.82 Zu den Protagonisten dieser Entwicklung gehörte der Schotte Sir Thomas Lipton, der 1889 in den Teehandel einstieg und auf diesem Gebiet bald zum Prototypen des Masseneinzelhändlers wurde, der zwar mit kleinen Gewinnmargen, dafür umso grösseren Mengen operierte. Lipton konnte dadurch Skalenerträge nutzen und seinen Tee rund einen Drittel unter den handelsüblichen Preisen anbieten, was ihm bald eine führende Position im englischen Teegeschäft eintrug.83

      Der von der Industrialisierung geprägte Lebensrhythmus in den Städten erforderte Produkte, die schnell und einfach zu konsumieren waren. Als Antwort auf diese Veränderungen der Konsumbedürfnisse unter der Maxime der Zeitersparnis begann die Lebensmittelindustrie Kaffee, Tee und Kakao als Instantgetränke anzubieten, welche durch die Zugabe von Wasser sofort zubereitet waren.84 Die Transformation der drei Kolonialwaren zu industriellen Pulverprodukten stellte die Unternehmen jedoch vor zahlreiche Probleme: Der unverarbeitete Kakao war wegen seines hohen Fettanteils mit flüssigen Substanzen wie Wasser oder Milch nur schwer mischbar und setzte sich rasch am Boden des Trinkglases ab.85 Um das Fett der Kakaobutter zu binden, mischten die Schokoladehersteller dem Kakao daher Mehl und andere Stärkemittel bei, wodurch das Endprodukt einen kartoffelähnlichen Geschmack erhielt.86

      Bereits 1828 konnte der niederländische Apotheker Conrad Johannes van Houten die Herstellung von Kakaopulver allerdings entscheidend verbessern. Mittels einer Alkalilösung gelang es ihm, beim Pressen die fetthaltige Kakaobutter in einem effizienten Verfahren von der Kakaomasse zu trennen und den Fettanteil im verbleibenden «Presskuchen» um mehr als zwei Drittel zu reduzieren. Anschliessend zermahlte er den «Presskuchen» zu einem feinen Pulver, das nur noch etwa 20 Prozent des ursprünglichen Kakaobutteranteils enthielt. Sein Pulver wies damit nicht nur eine bessere Löslichkeit in Flüssigkeiten auf, sondern war auch bekömmlicher und länger haltbar. Zudem konnte das Kakaopulver wesentlich günstiger angeboten werden, weil die synchron dazu entstandene Kakaobutter zur Herstellung von Tafelschokolade verwendet werden konnte.87 Viele Schokoladeunternehmen stellen Kakaopulver deshalb als Nebenprodukt der Schokoladeverarbeitung her,88 wobei der Durchbruch des reinen Kakaopulvers über eine längere Zeitdauer erfolgte.89 Zu den frühen Herstellern von löslichem Kakao nach van Houtens Verfahren gehörten die englischen Schokoladefirmen Cadbury und Fry, welche in den 1860er-Jahren Cadbury’s Cocoa Essence und Fry’s Cocoa Extract auf den Markt brachten.90 In den 1880er-Jahren folgte unter anderem auch Rowntree mit Rowntree’s Elect Cocoa und das Schweizer Schokoladeunternehmen Suchard (1883) mit einem eigenen Kakaopulver.91

      Parallel zur Entwicklung des löslichen Kakaos wurden im 19. Jahrhundert auch den ersten Formen von Instantkaffee oft Bindemittel und andere Zusatzstoffe beigemischt. Im Unterschied zum Kakao lagen die technischen Schwierigkeiten beim Kaffee allerdings nicht primär bei der Löslichkeit, sondern bei der Geschmacks- und Aromakonservierung:92

      Während Rohkaffee noch praktisch geschmacklos ist, finden im Verlauf des Röstprozesses komplexe chemische Reaktionen statt, welche der Kaffeebohne ihren charakteristischen Geschmack und ihr Aroma entlocken. Entscheidend ist dabei, dass die Bohne beim Erhitzen ein Kaffeeöl absondert, das aus Fett und Kohlenhydraten gebildet wird. Es ist Träger von etwa 800 chemischen Stoffen, die den Kaffeegeschmack und das Kaffeearoma ausbilden. Allerdings oxidieren diese Kaffeeöle rasch, wenn sie mit der Luft in Kontakt treten. Der Geschmack und das Aroma des Kaffees sind daher sehr volatil und nehmen ohne zusätzliche Massnahmen schon nach einem Tag merklich ab.93

      Der unbeständige Charakter des Kaffeegeschmacks war nicht nur dafür verantwortlich, dass die rohen Kaffeebohnen nicht wie die Teeblätter in ihren Herkunftsländern verarbeitet werden konnten, sondern in den Konsumländern Europas und Nordamerikas geröstet werden mussten.94 Er sorgte auch dafür, dass der geröstete Kaffee nicht über weitere Strecken verbreitet werden konnte und innerhalb kurzer Zeit verbraucht werden musste.95 Die Konservierung des Kaffeegeschmacks stellte deshalb für die Kaffeeindustrie ein zentrales Problem dar, welches bei der Herstellung von löslichem Kaffee besonders deutlich hervortrat: Im Gegensatz zum Bohnen- oder Röstkaffee wurde hier den Kunden nämlich nicht nur das Rösten, sondern auch das Mahlen und Filtern der Kaffeebohnen abgenommen. Gleichzeitig wurden die Geschmacksbestandteile durch das Öffnen der Bohne der Oxidation besonders stark ausgesetzt.96

      Um dem Geschmacksverlust entgegenzuwirken, reicherten die Produzenten den löslichen Kaffee deshalb mit geschmacksverstärkenden Kaffeesurrogaten an oder versuchten die flüchtigen Kaffeepartikel mit zusätzlichen Konservierungsstoffen zu binden. Der Übergang zwischen Kaffee und Ersatzkaffee verlief dabei fliessend. Trotz grossen Bemühungen der Kaffeesurrogat-Industrie, das Produkt zu verbessern, blieb der Instantkaffee in dieser Form jedoch weit von einem befriedigenden Kaffeeprodukt