Giftmord. Kurt Badertscher

Читать онлайн.
Название Giftmord
Автор произведения Kurt Badertscher
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783039199365



Скачать книгу

Haltung verrät konzentrierte Spannung und sichtliche Bemeisterung. Kräftig schlägt ihr Herz, die angezogenen Schultern verraten es in regelmässigen kleinen Bewegungen. Mitunter schliesst sich der Mund kräftiger, als müsste ein Wort, eine Widerrede dahinter verschlossen werden. Mag sein, dass die Anklage des Staatsanwaltes das Bild aufdrängt, aber der Frau, die hier vor ihren Richtern sitzt, scheint nur ein Tisch zu fehlen, um Karten auszulegen und mit den etwas versunkenen Augen in die verschleierte Zukunft einzudringen. Sie ist in den Hauptpunkten des Giftmordes an einer Frau und an einem Manne angeklagt. Was geht hinter ihrer Stirne vor, da die Zeugen das eine Opfer im Kreuzfeuer der Zeugeneinvernahme lebhaft schildern? Wie spiegelt sich in ihrem Bewusstsein die Erinnerung an den Tag des Leichenbegängnisses, da die Verwandten der Toten nach Suhr kamen? Was weiss sie von den verschwundenen Sparkassenbüchern und Obligationen? Hier liegt das Geheimnis. Hinter diese verschliessende, das Geheimnis behütende Stirn müssen Geschworene, Staatsanwalt und Verteidiger eindringen, ehe das Gericht das Urteil fällt. Mit gespannter Aufmerksamkeit, oft mit deplatzierten Heiterkeitsausbrüchen folgen die Zuhörer auf der gedrängt vollen öffentlichen Tribüne im Hintergrund des Saales den Antworten der Zeugen, die einzeln an das kleine Tischchen in der Mitte des Saales gerufen werden. Die intimsten Verhältnisse einer Familie werden erörtert. Aufmerksam folgt auch die Angeklagte den Zeugenaussagen. Sie alleine wäre, falls sie schuldig ist, im Stande, mit wenigen Worten dem grausamen Spiel ein rasches Ende zu bereiten. Allein, sie hat ihre Schuld bestritten. Vor ihr gähnt das offene Tor des Zuchthauses. Warum spricht sie nicht? Ist es der starke Wille zum Leben, der unverkennbar diese Frau beherrscht, ist es – Schuldlosigkeit? Es geht um Schicksal. Spannung durchflutet den trüben Gerichtssaal, hochgespannte Erwartungen, ob die Angeklagte unter den Indizien zusammenbrechen oder die Position behaupten wird, die sie entschlossen einnimmt.

      Über den ersten Verhandlungstag lassen wir nachstehend die Aufzeichnungen unseres Spezialberichterstatters folgen:

      1. VERHANDLUNGSTAG VOM 1. OKTOBER 1929.

      VORSITZENDER: Herr Oberrichter Rohr-Reiner. VIZEPRÄSIDENT: Herr Oberrichter Koch. WEITERES MITGLIED: Herr Oberrichter Kistler. GERICHTSSCHREIBER: Herr Zimmerlin. ÖFFENTLICHER ANKLÄGER: Herr Staatsanwalt Dr. Rauber. VERTEIDIGER DER ANGEKLAGTEN: Herr Dr. Fritz Meyer, Aarau. VORSITZENDER DER GESCHWORENEN: Herr Notar Bachmann, in Staffelbach.

      Auf der Anklagebank sitzt Frau Verena Lehner, geb. Kaufmann, in Gränichen, geboren 1862.

      Um 9.15 Uhr eröffnet der Vorsitzende die Verhandlungen. Der Zuhörerraum ist ziemlich stark besetzt. Der Gerichtsschreiber eröffnet die fünf Anklagen gegen die Angeklagte, welche lauten:

      1

      Auf Giftmord an Frau Elisabeth Schmidli, geb. Bertschi, in Suhr, geb. 1837, durch Beibringung von giftigen Arsenstoffen, infolge dessen die letztere am 31. August 1923 gestorben ist.

      2

      Auf Giftmord an Meier Adrian, pensionierter Bahnarbeiter, geb. 1852, von Winznau, wohnhaft gewesen im Rhyntal, Gemeinde Suhr, durch Beibringung giftiger Arsenstoffe, infolgedessen Adrian Meier am 2. August 1924 gestorben ist.

      3

      Auf Diebstahl an der im gleichen Hause im Rhyntal bei Suhr wohnenden Schmidli Elisabeth geb. Bertschi, im Betrag von über Fr. 900.-, um sich dieses wissentlich fremde Gut rechtswidrig anzueignen.

      4

      Eventuelle Anklage für den Fall der Verneinung der Anklage 3 auf Unterschlagung.

      5

      Auf Betrug durch Urkundenfälschung in verschiedenen Fällen gegenüber zwei Geldinstituten und Personen in erheblichen Beträgen.

      6

      Auf Betrug durch Urkundenfälschung in zwei Fällen und zum Teil erheblichen Beträgen.

      Es sind im ganzen 76 Zeugen einzuvernehmen, für deren Einvernahme 3 Tage in Aussicht genommen sind, worunter auch ärztliche Experten.

       Die Angeklagte, vom Vorsitzenden aufgerufen, erklärt, dass sie an der Bestreitung sämtlicher fünf Anklagen festhalte und die Entscheidung des Geschworenengerichtes anrufe.

      Der Vorsitzende setzt in gedrängter Kürze die Entstehung dieser Untersuchung auseinander, die einmal von der Staatsanwaltschaft eingestellt und dann wieder aufgenommen wurde. Er klärt speziell auf, in welcher Weise diese Untersuchungen in Anlehnung an den Kriminalfall Dietiker neuerdings aufgegriffen worden sind. Die Anklagen berühren Tatbestände, die auf die Jahre 1923 und 1924 zurückgehen und sich im abgelegenen Rhyntal, Gemeinde Suhr, abwickeln, das in der Richtung Gränichen-Vorstadt zu liegt. Der Vorsitzende orientiert anhand der Karte über die örtlichen Verhältnisse. – Es sind auf heute 25 Zeugen vorgeladen.

      Die sämtlich anwesenden 25 Zeugen werden in Pflicht genommen und zur Angabe der Wahrheit ermahnt. Der zweite Teil der vormittägigen Verhandlung wird durch die Einvernahme von 11 Zeugen aus Winznau bei Olten und Umgebung in Anspruch genommen. Es sind dies meistens Verwandte und gute Bekannte des am 2. August 1924 gestorbenen Adrian Meier, mit dessen unerwartetem Ableben sich die Anklage 2 befasst. Meier war 1852 geboren, bei seinem Tod also 72 Jahre alt. Diese Zeugen aus dem Amt Olten sprechen sich eingehend über die Person des Adrian Meier aus. Dieser wohnte bei nahen Verwandten in Winznau sowohl vor seiner 1910 erfolgten Pensionierung als Bahnbeamter wie auch nachher, bis er am 1. September 1922 zu der Angeklagten nach Suhr zog. Die Zeugen schilderten denselben als einen frohgemuten, rechtschaffenen Mann, der aber auch launenhaft und rechthaberisch sein konnte. Auch war er für mystische Dinge sehr empfänglich und liess sich bei vorübergehenden leichten Erkrankungen eher von fremden Quacksalbern als patentierten Ärzten behandeln. Die Einvernahmen ergeben, dass derselbe ein Vermögen von ungefähr 28 000 Fr. besass, das in Obligationen und Sparbüchlein auf der Aargauischen Bank und der Ersparniskasse Olten bestand. Mit seinen Verwandten stand er auf gutem Fuss, nur befand sich Meier im falschen Wahn, dass dieselben seine Bevormundung anstrebten, nachdem er nach Suhr verzogen war. Es scheint, dass ihn insbesondere sein Freund u. Altersgenosse Ad. Meier in Olten mit der Wahrsagerin und Kartenschlägerin Frau Lehner bekannt machte. Sein Verhalten und seine Antworten – der Mann ist 85 Jahre alt – lassen ihn denn auch als ein Original erscheinen. Aus den Aussagen einzelner Zeugen von Winznau, welche den Adrian Meier in Suhr besuchten und mit ihm auch in Olten zusammentrafen, wo er seine Pension holte, ist hervorzuheben, dass er anfänglich mit seiner Kostgeberin Frau Lehner zufrieden war, später aber nicht mehr und die Absicht äusserte, wieder nach Winznau zu seinen Verwandten zurückzukehren. Zu einzelnen Verwandten äusserte Meier, er möchte wieder fort, aber er dürfe es mit dieser Person nicht überstürzen, sie habe eine grosse Macht, es kämen grosse Herren zu ihr, sie könnte ihm ein Leid antun. Von besonderer Bedeutung sind die Aussagen der Eheleute Tanner, welche den Stiefgrossvater noch am 26. Juli 1924, also genau acht Tage vor seinem Tode, besuchen wollten. Dabei gab die Angeklagte diesen Verwandten den Bescheid, dass Meier nach Aarau an das Schützenfest gegangen sei. Nach den Angaben des behandelnden Arztes war Meier damals bereits derart ernstlich krank, dass ein Gang nach Aarau ganz ausgeschlossen war.

      Die verwandten Zeugen, welche bei der ersten Inventur und der Nachinventur über den Nachlass Meiers zugegen waren, deponierten, dass nichts vorhanden gewesen war, als etwas Barschaft. Frau Lehner habe erklärt, es seien keine Wertschriften vorhanden und die Fahrhabe habe sie von Meier um Fr. 600.- gekauft, worüber sie ein Schriftstück des Meiers vorwies. Aber auch von dieser Barschaft war nichts vorhanden. Einzelne Zeugen machen Aussagen, dass Frau Lehner die Karten geschlagen und ihnen geweissagt habe. Über die Ursache des Todes von Adrian Meier befragt, hat sich die Angeklagte sowohl in ihrer Wohnung, als auch anlässlich der Beerdigung in Winznau dahin ausgesprochen, es habe derselbe unreife Beeren gegessen.

      Die Verhandlung wurde ein Viertel vor 1 Uhr abgebrochen und um 2.30 Uhr wieder aufgenommen. – Die am Nachmittag einvernommenen Zeugen sprechen sich zum Teil über die Angeklagte aus, speziell bestätigen sie, dass in der Wohnung der Frau Lehner, die ein besonderes Sprechzimmer hatte, viele fremde Leute ein- und ausgingen. Eine Reihe von Zeugen machen nähere Angaben über die Witwe Elisabeth Schmidli, geb. Bertschi, welche am 31. August 1923 gestorben ist und mit deren Tod sich die Klage 1 befasst. Dieselbe kam mit 85 Jahren zu Frau Lehner und lebte dort noch etwa ein Jahr. Auch Frau Schmidli äusserte sich zu ihren nächsten Verwandten, sie wolle bei Frau Lehner nicht länger bleiben,