Das große Buch vom Krafttraining. Jan Pauls

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Название Das große Buch vom Krafttraining
Автор произведения Jan Pauls
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783767920163



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hohen Stellenwert in der Rehabilitation von Herzpatienten, was in Kap. 9.1 ausführlicher dargestellt wird.

      Sport und moderates Krafttraining wirken sich günstig auf die Gehirnleistungsfähigkeit aus [124]. Bei dynamischer Muskelaktivität steigt die Gehirndurchblutung deutlich an: bei einer Fahrradergometrie von 25 Watt um 20%, bei 100 Watt bereits um 30% [98]. Diese Wattleistungen werden auch beim normalen Fitnesskrafttraining von Männern und Frauen erreicht, wenn größere Muskelgruppen beim Beinpressen, Rudern oder Latissimusziehen im Einsatz sind, sofern die Lastintensitäten im mittleren Bereich angesiedelt sind. Bei isometrischer Belastung, also Muskelaktivität ohne Bewegung, fehlt allerdings eine gesteigerte Gehirndurchblutung [97]. Beim Bewegen extrem hoher Lasten mit Valsalva-Atemmanöver (Pressatmung) ist die Gehirndurchblutung sogar herabgesetzt.

      Neben einer verbesserten Blutversorgung des Gehirns durch moderate Muskelaktivität spielen in der Beziehung zwischen Sport und Gehirnleistungsfähigkeit auch positive Effekte auf das Wachstum von Nervenzellen und deren Verschaltung untereinander eine Rolle [4, 29, 98]. Hierbei haben erhöhte koordinative Anforderungen offenbar eine stimulierende Wirkung. Durch Muskelaktivität und Bewegung wird auch der Nervenwachstumsfaktor BDNF ausgeschüttet, der den Aufbau neuer Nervenzellen im Gehirn fördert. Dies soll im Alter einer Demenz und einer Alzheimer-Erkrankung entgegenwirken [H 11].

      Generell ist der positive Effekt von Training auf die Gehirnleistungsfähigkeit insbesondere im höheren Alter konkret nachweisbar [4, 40]. In einer Studie mit älteren Menschen stellte man fest, dass von verschiedenen Bewegungsaktivitäten die Kombination von Ausdauer- und Krafttraining die besten Ergebnisse auf die Verbesserung der Gehirnleistungen erzielte [40]. Die erhöhte Leistungsfähigkeit zeigt sich vor allem in so genannten »exekutiven Fähigkeiten«, d.h. beim Koordinieren und Planen von Handlungen, beim Multitasking und bei Gedächtnisleistungen [4, 29].

      Für ein »Gehirntraining« durch kräftigende Übungen empfehlen sich insbesondere mittlere Intensitäten ohne Ausbelastung, z.B. ein Kraftausdauertraining im Sinne eines »sanften Krafttrainings« (Kap. 8.4.1), sowie das Einbeziehen mehrgelenkiger, koordinativ anspruchsvoller Kraftübungen, das regelmäßige Ändern von Trainingsplänen und das Erlernen neuer Übungen und Bewegungstechniken.

      Dass Krafttraining unbeweglich mache, ist ein altes Vorurteil. Ein einseitiges, fehlerhaft durchgeführtes Krafttraining kann durchaus die Beweglichkeit herabsetzen. Ein starkes Muskelwachstum vermehrt die parallel geschalteten Titinfilamente und andere elastische Komponenten, die einer Muskeldehnung Widerstand entgegensetzen. Zudem begrenzt die so genannte Weichteilhemmung ab einem gewissen Grad der Muskeldicke bestimmte Gelenkbewegungen, z.B. die Bein- und Armbeugung oder den Griff zwischen die Schulterblätter. Wer nicht den vollen Bewegungsumfang einer Übung durchführt, sondern nur im angenäherten Winkelbereich trainiert (z.B. isometrisches Training, Endkontraktionen oder Spitzenkontraktionsprinzip) beeinflusst negativ die funktionelle und strukturelle Länge der Muskulatur, die sich an die Erfordernisse ihrer Hauptarbeitslänge anzupassen versucht [185]. Hingegen führt ein ausgewogenes Krafttraining über den vollen Bewegungsumfang eines Gelenks in keinem Fall zu einer alltagsrelevanten, physiologisch ungünstigen Unbeweglichkeit. Dies beweisen eindrucksvoll Leistungsturner, die trotz großer Muskelmasse eine imposante Beweglichkeit zeigen (und benötigen). Auch Gewichtheber müssen im Schultergürtel, Hüftgelenk, Lenden- und Brustwirbelbereich sowie im Sprunggelenk sehr beweglich sein, um die anspruchsvolle Bewegungstechnik ihres Sports bewältigen zu können. Bei unsportlichen Menschen führt ein Krafttraining sogar in der Regel zu einer Beweglichkeitssteigerung, da viele Übungen Gelenkwinkelstellungen erfordern, die im Alltag nicht (oder selten) vorkommen, was immer zu einem Beweglichkeitsgewinn führt. Zudem erleichtert eine kräftige Muskulatur die Überwindung elastischer Dehnungswiderstände der Gewebe, so dass eine größere Bewegungsamplitude erreicht wird. Ein Krafttraining kann also für jede Sportart, die nicht auf eine extreme Muskelmasse angewiesen ist, so durchgeführt werden, dass die Beweglichkeit nicht negativ beeinflusst wird.

      Zudem sind Sportler, die eine hohe Beweglichkeit benötigen und Nichtsportler, die anlagebedingt eine übermäßige Beweglichkeit (Hypermobilität) besitzen, auf eine kräftige Muskulatur angewiesen, die endgradige Bewegungen stabil führen und sichern kann, wodurch Überlastungen (Mikrotraumata) an passiven Bewegungsstrukturen vermieden werden. Unter dem Aspekt der Beweglichkeit und der Bewegungssicherung sollte ein Krafttraining immer über den vollen Gelenkwinkel ausgeführt werden.

      Führt ein Krafttraining langfristig zu eher positiven Effekten hinsichtlich der Beweglichkeit, so ist direkt nach einer intensiven Kraftbelastung die Muskulatur in der Regel weniger dehnfähig. Die energetische Erschöpfung, eine Tonuserhöhung sowie Mikrorisse im Sinne eines Muskelkaters setzen die Beweglichkeit vorübergehend herab [222].

      Koordination meint »das geordnete Zusammenwirken von Zentralnervensystem und Skelettmuskulatur bei der Ausführung von Bewegungen« [157, S.264].

      Koordination und Körperbeherrschung nehmen durch ein Krafttraining zu, da die Koordination im Wesentlichen von einem gezielten und optimal abgestimmten Anspannen der Muskulatur abhängt. Krafttraining fördert sowohl die intermuskuläre Koordination, d.h. das fein abgestimmte Zusammenspiel der Muskeln untereinander, als auch die intramuskuläre Koordination, d.h. das Ausmaß der Aktivierung der Muskelfasern innerhalb eines Muskels, was die Voraussetzung für dessen maximale Kraftentwicklung ist. Die Wahrnehmung für Muskelanspannung und -entspannung verbessert sich durch Training und der Sportler lernt, einzelne Muskeln bzw. Muskelgruppen bewusst und isoliert anzuspannen. Eindrucksvoll lässt sich die isolierte Muskelbeherrschung bei einem gekonnten Posing im Bodybuilding nachvollziehen. Eine hohe koordinative Kunst im Zusammenspiel von inter- und intramuskulärer Koordination ist z.B. das Olympische Gewichtheben, das ein jahrelanges intensives Techniktraining erfordert, bevor die erstaunlichen Gewichte sicher zur Hochstrecke gebracht werden können.

      

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      Abb. 7: Compound-Moves sind Kombinationen von zwei oder mehr Einzelübungen, die erhöhte koordinative Anforderungen an den Trainierenden stellen. Hier werden Ausfallschrittkniebeuge und Schulterdrücken kombiniert.

      Natürlich werden Körperbeherrschung und Koordination vor allem durch technisch anspruchsvolle Übungen entwickelt. Diesbezüglich ist das Training an Krafttrainingsmaschinen weniger vorteilhaft. Komplexe Freihantelübungen, turnerische Kraftübungen und sensomotorisches Krafttraining (Kap. 6.4.1) verbessern die koordinativen Grundfähigkeiten besonders wirkungsvoll. Kraftübungen mit hohem koordinativen Anspruch sind z.B. einarmiges Reißen, beidarmiges Reißen und Stoßen, einarmige Liegestütz, Überkopfübungen im Stand, explosives Umsetzen der Langhantel oder Kniebeugen auf instabilen Unterlagen. Auch sog. Compound-Moves, also zusammengesetzte Bewegungen, die mehrere Einzelübungen verbinden, erweitern das koordinative Potenzial des Trainierenden. Koordination ist im Leistungssport allerdings nie Selbstzweck, sondern zielt auf eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit durch die sportartspezifische Koordination ab.

      Krafttraining bewirkt ein Dickenwachstum der Muskulatur, eine Reduzierung des Körperfettanteils und erhöht den Energieverbrauch des Körpers. Dadurch hat Krafttraining einen direkten Einfluss auf die Körperform und die Körperzusammensetzung, d.h. auf den Anteil von Fett zu fettfreier Körpermasse. Von den formgebenden Strukturen des Körpers sind vor allem Fettgewebe und Muskulatur die beeinflussbaren Größen. Durch Krafttraining kann Körperfett reduziert und Muskelmasse aufgebaut werden. Diese Effekte machen auch einen gewichtigen Teil der Motivation vieler Fitness-Trainierender aus, während die Männer überwiegend Muskelaufbau anstreben, die Frauen eher eine Gewichtsreduktion [22]. Der Körperformungsaspekt rangiert hinter dem Wunsch nach »allgemeiner Fitness« in Umfragen häufig auf dem zweiten Platz der Gründe für ein Fitness-Training [11, 22].

      Die Schwerpunktsetzung