Brillanter Abgang. Alexander Hoffmann

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Название Brillanter Abgang
Автор произведения Alexander Hoffmann
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783839268667



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bleibt.«

      Tonja erwiderte: »Mehr als genug, mein Lieber.«

      Im »Fässchen« empfing sie sprudelndes Leben. Gänzlich tot war das Dorf also nicht. Hans kam es so vor, als ob sich alle 244 Guguljakaner an den Holztischen der kleinen Gaststube mit ihren weiß getünchten Wänden versammelt hatten. Direkt neben der Theke stand eine Jukebox, die Hans sofort anzog.

      Tonja flüsterte: »Hier im Bačvica hat sich seit den 60er-Jahren nichts verändert. Da gab es mich noch gar nicht.«

      Hans näherte sich dem gleißenden Plexiglas und den Bonbonfarben. Er streichelte die Jukebox. »Herrlich – das ist eine Wurlitzer. Das Jubiläumsmodell von 1956.« Tonja lächelte. »Ich weiß, früher war es schöner. Darüber kannst du dich gerne mit dem Wirt unterhalten. Der hockt oft nach Mitternacht allein vor dem Ding und spielt ›I can hear music‹ von den Beach Boys. Zur Not zehnmal hintereinander.«

      Der Hit von 1969. Hans fühlte Wärme in sich aufsteigen. Er war nicht allein.

      Gläser klirrten, Besteck klapperte, es roch appetitlich nach einem Braten, alle schwatzten fröhlich. Der eisgraue Schrat begrüßte sie mit einem freundlichen Kopfnicken.

      Zielbewusst steuerte Tonja auf die hinterste Ecke zu, wo noch zwei Plätze frei waren – direkt neben einem runden Tisch, an dem sechs Männer die Köpfe zusammensteckten, eingenebelt von den Rauchschwaden ihrer Zigaretten.

      »Das Business Center«, sagte Tonja leise, während sie sich setzten. »Hier geht es um Gälder, hier werden die großen Gäschäfte gemacht.«

      Hans überließ ihr die Bestellung. Der Wirt brachte zwei Gläser gemišt: zwei Drittel Weißwein und ein Drittel Mineralwasser. Dazu gab es eine mächtige Platte mit getrocknetem Schinken und Maisbrot. Hans langte zu, es schmeckte vorzüglich. Nach dem zweiten Glas gemišt fragte er Tonja aufgeräumt: »Und was machen die Bisnissmän in diesem Bisniss Zäntar genau?«

      Sie flüsterte: »Keiner von denen hat Geld, aber sie kennen Leute, die Leute kennen, die angeblich Geld haben. Oder besondere Geschäftsideen. Und das bemurmeln die jeden Abend.« Sie lauschte unauffällig, dann fasste sie das Gehörte zusammen. »Im Moment geht es darum, wie man Goldbarren herstellt, die im Kern nur aus Wolfram bestehen. Soll besser sein als Füllungen aus Blei oder Stahl, weil nicht so schnell nachweisbar.«

      Hans trank seinen dritten gemišt und beobachtete den Nachbartisch. Der Wortführer trug als Einziger Anzug und Krawatte. Ein fragender Blick zu Tonja.

      Die meinte, der käme sicher aus Zagreb. »Nun spricht er über garantiert echte künstliche Diamanten.«

      Danach wurde laut Tonja der Verkauf von Anteilscheinen einer nichtexistenten Ölbohrplattform in der Bucht von Rijeka diskutiert, gefolgt von einem Sonderposten Benzin aus serbischen Armeebeständen und vier Lastwagen Schmuggelzigaretten aus Montenegro. Hans war auf einmal bester Laune, er wünschte sich Durstewitz in diese Runde.

      Als Hans und Tonja das »Fässchen« verließen, erörterten die Bisnissmän das neueste Geschäftsmodell: den doppelten Verkauf von Ferienwohnungen an der Adria.

      Unter sternenklarem Himmel spazierten Hans und Tonja Hand in Hand Richtung Schachtel. Hans freute sich darauf, mit Tonja die Jolle im Gästezimmer zu besteigen.

      Er wurde nicht enttäuscht. Es schwankte und ächzte, Tonjas zärtliche Seufzer mischten sich in den Gesang der Zikaden draußen vor dem offenen Fenster. Hans war es, als höre er das 150 Kilometer entfernte Meeresrauschen. Er verlor sich im Duft ihrer Pfirsichhaut, in ihren Säften, in ihrer Weichheit und Wärme. Wonne ohne Ende. Und Vater Tihomir, der ewige Bassist, schaute aus seinem Foto heraus zu.

      9. Kapitel

      Zagreb

      »Odlično!« Juchzend jagte Tonja den alten Renault ihres Vaters durch Guguljak. Hühner stoben auseinander, Staub wirbelte hoch. Es war gegen elf und der Tag nicht so heiß wie der gestrige. Hans wusste schon, was odlično bedeutete – toll, prächtig, ausgezeichnet. Auf Höhe der Zwillinge drosselte sie das Tempo. Durch die offene Seitenscheibe hörte Hans das vertraute »Pi me ga, pi me ga« herüberwehen.

      Tonja sagte: »Eigentlich sind es brave Burschen, Slavko und Branko. Mit denen habe ich noch einiges vor.«

      Grundgütiger, dachte Hans und duckte sich tief in seinen Sitz, als Tonja das Gaspedal wieder durchtrat.

      Der Fahrtwind wirbelte ihre schwarze Mähne auf, sie schnalzte mit der Zunge. »Wie aufregend! Ist doch herrlich, mal etwas völlig Neues anzufangen.«

      Ergeben nickte Hans. Er wollte nur die Fahrt bis in die Hauptstadt überleben. Der Wagen donnerte bergab, Hans schloss die Augen. Er öffnete sie erst wieder, als er das Auto in der Horizontalen wähnte. Sie waren auf der Autobahn nach Norden, Tonja fuhr gesitteter und reihte sich in den Verkehr ein, der umso dichter wurde, je näher sie Zagreb kamen. Auf einer mehrspurigen Straße durchquerten sie Novi Zagreb, den Südteil der Hauptstadt. Hans sah vielgeschossige graue Wohnmaschinen, dazu moderne Bürohochhäuser, viel Stahl, Beton und Glas. Sie fuhren über die Save, die den Süden und Norden der Stadt trennte, und hinein in das alte Zagreb. Prächtige Fassaden, Ringstraßenarchitektur; unversehens sah sich Hans in das alte Wien seiner angenehmsten Erinnerungen versetzt. Endlich wieder Großstadt, zurück in der Zivilisation.

      Tonja stellte das Auto vor dem Hauptbahnhof ab, einem eleganten, klassizistischen Bau.

      »Ich will dir was zeigen«, sagte sie, während sie ausstieg. Sie zog ihn durch das Gewimmel der Menschen, und plötzlich standen sie vor einem mächtigen Denkmal, einem mittelalterlichen Reiter mit gezücktem Schwert. »Tomislav, unser erster König. 925. Ist zwar ein Weilchen her, aber wir sind stolz auf ihn.«

      Hans war beeindruckt. Vom Denkmal aus öffnete sich eine Blickachse über einen von Baumalleen gesäumten Park bis hin zur Oberstadt mit zwei blendend weißen Kirchtürmen. Am Horizont sah Hans die Silhouette eines gewaltigen Bergmassivs.

      »Unsere Kathedrale, und dahinter siehst du das Medvednica-Gebirge mit dem Sljeme, dem Hausberg von Zagreb«, sagte Tonja.

      Hans nickte zustimmend, das alles gefiel ihm.

      Tonja bemerkte seine Freude. »Kroatien ist klein, aber größer als Guguljak.« Sie lenkte seinen Blick nach links. »Und das ist das Esplanade.«

      Ein paar Hundert Meter entfernt ragte das Hotel wie eine Zauberburg vor ihm auf. Sechs zartgraue Geschosse zählte Hans, vorgelagert waren eine große Terrasse und ein Springbrunnen mit mächtiger Wasserfontäne.

      »Art déco von 1925, hier machten früher die Reisenden aus dem Orientexpress Station. Inzwischen zum Glück wieder ein Fünf-Sterne-Haus«, sagte Tonja.

      Hans blieb stehen und staunte, bis sie ihn am Arm nahm und mahnte: »Wir müssen los, wir sollten pünktlich sein.«

      Hans witzelte: »Habt ihr hier nicht eher ein mediterranes Zeitgefühl? Von wegen polako?«

      Tonja lachte. »Du lernst schnell. Aber Drago ist überpünktlich. Wie der Prokurist einer deutschen Schraubenfabrik.«

      Eine geschwungene Auffahrt, in der gerade ein Bentley entladen wurde, führte sie ins Foyer des Hotels. Alles in Hans atmete auf. Er musterte den schwarz-weißen Marmor der Wände, die edeldünnen Teppiche, die ausladenden Treppenaufgänge, die prachtvollen Lüster und Uhren im Stil von 1925, die die Ortszeiten in New York, Buenos Aires, London und Paris anzeigten. Hans war versucht, die Uhren »Zeitmesser« zu nennen. Vor der Rezeption stand das zum Bentley gehörende Paar: ein gepflegter Herr und eine junge Brünette, die mit Sicherheit nicht seine Tochter war. Hans genoss die luxuriöse Ruhe. Hier liefen keine Ziegen herum, hier wurde auch nicht geschossen.

      Tonja lenkte ihn sanft in die angrenzende Bar mit ihren Spiegeln und dem glänzenden Parkett. Nur wenige Tische waren besetzt. Ein Pianist spielte dezent im Hintergrund, Kellnerinnen in weißen Schürzchen und Schnürschuhen schwebten durch den Raum. In einer Ecke erhob sich ein junger Mann. Drago sah ganz anders aus, als Hans ihn sich vorgestellt hatte. Er schätzte ihn auf Anfang 30, Tonjas Alter. Drago neigte schon zur Fülle, er hatte kurz geschnittenes