Brillanter Abgang. Alexander Hoffmann

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Название Brillanter Abgang
Автор произведения Alexander Hoffmann
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783839268667



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Hans.

      Tonja lachte. »Er sagt, hier sei alles offen wie ein Hurenarsch.«

      »Ihr habt interessante Redewendungen!«

      »Du musst erst mal eine Marktfrau in Split fluchen hören!«

      Die Häuser von Guguljak hingen aufgereiht wie unsortierte Perlen an der Dorfstraße. In einigen hausten offenbar ebenfalls Kriegsgestörte, andere waren durchaus gepflegt, ihre Vorgärten bewirtschaftet.

      Tonja war sichtlich froh, sie Hans zu zeigen. »Die haben sich Leute gebaut, die lange in Deutschland gearbeitet haben oder in Kanada. Wer hiergeblieben ist, muss sich irgendwie durchwursteln.«

      Es ging gegen Mittag, die Hitze wurde unerträglich. Hans spürte das Gewicht seiner Hebammentasche. Er fragte: »Wo ist hier die Dorfmitte, so was wie das Zentrum?«

      Sie antwortete grinsend: »Wir stehen mittendrin.«

      Hans blickte sich um. Die Straße hatte sich unmerklich zu einem runden, sandigen Plätzchen erweitert. Vor ihm erhob sich der weiß gekalkte Turm der Kirche, daneben lag ein winziger Friedhof mit mächtigen Grabsteinen. Die Toten waren mit ihrem Foto im Stein verewigt und blickten ernst herüber zu Hans.

      Tonja erklärte: »Die Kirche ist auch für die Dörfer im Umkreis da. Beim Gottesdienst am Sonntag ist sie so voll, dass die Leute bis auf die Straße stehen.«

      Gegenüber der Kirche behauptete sich ein roh gemauerter Kubus, dessen Eingang die kroatische Nationalflagge zierte. Das rot-weiße Schachbrett hing schlaff in der Mittagsglut, die Rollläden im ersten Stock waren heruntergelassen. Vor dem Haus ein paar Tische und Plastikstühle unter einem Sonnenschirm. Zwei alte Männer hockten vor einem Krug Wein und fächelten sich mit ihren Strohhüten Luft zu, unter dem Tisch zankten sich zwei Hühner um ein paar Brotkrumen. Gleichgültig musterten die Männer die Neuankömmlinge.

      »Das ›Fässchen‹, der Mittelpunkt von Guguljak«, sagte Tonja. »Dort essen wir heute Abend eine Kleinigkeit. Dort wirst du auch unser Business Center kennenlernen.«

      Hans runzelte die Stirn.

      Sie lachte und fügte mit einem spöttischen Unterton hinzu: »Wirst schon sehen – im ›Fässchen‹ treffen sich unsere Bisnissmän.« Ihr Deutsch war eigentlich fließend, aber stets mit jener Färbung, die er so liebte. Nun übertrieb sie bewusst.

      Ein rostiger Pritschenwagen quälte sich über den Platz, auf seiner Ladefläche schwankten mit Pflaumen gefüllte Körbe. Er verschwand um die Ecke, wieder war es still. Eine schwache Windböe raffte sich auf und ließ eine leere Bierdose Karlovačko Pivo zwei Meter weit über den Sand kullern. Damit erschöpfte sich ihre Kraft.

      Hitze und Stille.

      Hans hielt andächtig inne, er war angekommen. Das also war Guguljak, seine neue Heimat.

      7. Kapitel

      Guguljak

      Tonja nahm ihn an der Hand. Sie gingen Richtung Ortsausgang, an zwei Kästen mit leeren Fensterhöhlen vorbei. Aus einer streckte ein Baumschössling seine lichtgierigen Zweige.

      »Die Post und der Lebensmittelladen. Geschlossen – fünf Jahre nach Ausrufung unseres jungen Staates«, sagte Tonja.

      Hans spöttelte: »Schon bemerkenswert, dein Guguljak. Diese Ruhe, diese verhaltene Kraft.«

      »Na ja«, erwiderte sie säuerlich. »Früher gab es hier gut 400 Einwohner. Jetzt sind es exakt 244, hat mir der Wirt erzählt, einer ärmer als der andere.«

      »Habt ihr denn keine Touristen?«

      »Das spielt sich alles an der Küste ab, 150 Kilometer weiter im Süden.«

      »Und wovon leben die Leute hier?«

      »Eigentlich von nichts, eine hohe Kunst. Einige haben mies bezahlte Jobs in Zagreb oder Karlovac, der nächsten größeren Stadt. Jeder, der sich im Krieg den Fuß verstauchte, hat sich eine kleine Versehrtenrente erschwindelt, andere kriegen ein paar Dollar von den kanadischen Verwandten und was weiß ich. Hier müsste einfach mal mehr Zug rein.«

      Hans lächelte. »So wie bei uns?«

      Widerwillig kam es durch ihre weißen Zähne: »So in der Art.«

      Sie hatten das Dorf verlassen, der Weg wurde schmaler, von hüfthohen Gräsern gesäumt. Der Himmel hatte ein makelloses Blau, in der Ferne jaulte ein Hund. Hinter der nächsten Biegung endete der Weg vor einer eternitgrauen Schachtel.

      »Das Haus meines Vaters, nicht gerade Frankfurter Westend, aber ihm genügt es«, sagte Tonja hastig.

      Immerhin lag die Schachtel inmitten einer Idylle. Ein würdiger Walnussbaum spendete dem Eingang Schatten, rund um das Häuschen wechselten sich Wiese, Pflaumenbäume und Tannen ab. Von einer kleinen Terrasse mit Blumenkübeln aus öffnete sich ein weiter Blick über Guguljak und die fernen, kirchturmbewehrten Hügel.

      »Tihomir lebt alleine, meine Mutter ist vor einigen Jahren an Krebs gestorben. Der Untergang der Firma hat ihn schwer getroffen, er ist ein guter Ingenieur und mit seinen 53 Jahren noch viel zu jung für die Rente.«

      Auch über ihre Familie hatte sie bislang nie gesprochen. Tonja schien Hans so vertraut, doch wieder wurde ihm klar, wie wenig er über seine Gefährtin wusste, die ihn hierher an den Rand der zivilisierten Welt geschleppt hatte.

      Er wollte etwas sagen, doch Tonja flüsterte: »Zu tun hat er nicht viel, hinter dem Haus baut er Gemüse an und pflegt seine Blumen. Und bitte schau im Haus nicht in jede Ecke, er ist halt alleinstehend.«

      Ein hochgewachsener Mann trat aus der Tür, lächelnd kam er auf die beiden zu. Tihomir herzte und drückte Tonja, dann gab er Hans die Hand. »Willkommen!«

      Er sprach recht gut deutsch, sah aus wie Mitte 40, hatte dichtes schwarzes Haar, an den Schläfen leicht angegraut. Die gemeißelten Gesichtszüge erinnerten an den jungen Tito. Ein wacher Blick, kaum Fältchen um Mund und Augen, sympathisch. Attraktiv, so wie seine Tochter, dachte Hans.

      Er war völlig erledigt, das Seidenjackett durchgeschwitzt, die guten Schuhe überzogen von einer schmierigen Schicht Lehm. Er schälte sich mühsam aus dem Jackett, zog die Schuhe und die feuchten Socken aus. Mit nackten Füßen betrat er das Haus und landete direkt in einer winzigen Wohnküche.

      Er quetschte sich auf eine Sitzbank mit rotem Kunstleder, unter der er seine Hebammentasche verstaute, in der die Zeugen seiner 40 Lebensjahre steckten.

      Der einfach gezimmerte Esstisch war mit einem rot-weißen Wachstuch bedeckt, gegenüber thronte, hoch über einem Herd mit vergilbten Griffen aus Emaille, eine in Holz gefasste Uhr. Sie tickte zögerlich, es schien Hans, als ob sich der Zeiger besonders langsam, besonders guguljakisch bewegte.

      Wo bin ich hier und warum? Er rutschte in ein Loch, tiefer als der Brunnen der Zwillinge, in dem die Ratte wohnte.

      Tonjas Blick streifte ihn voller Wärme. »Gleich gibt es turska kava und štruklji.« Sie schob sich zwischen Tisch und Herd, dessen Klappe sie öffnete. »Wunderbar, da ist noch etwas Glut vom Mittagessen.«

      Leise fragte Hans: »Was hast du deinem Vater eigentlich erzählt?«

      »Dass wir beide in Deutschland ein bisschen Geld gemacht haben und dass wir uns in Südosteuropa engagieren wollen.«

      »Glaubt er das?«

      »Erst mal ja. Er hat länger in Ingolstadt gearbeitet. Er findet die Deutschen zwar etwas hölzern, achtet sie aber. Und nun habe ich ihm so einen mitgebracht. Hier in der Anrichte neben dem Herd hegt er seinen kleinen Schatz – einen Packen D-Mark-Scheine. Damit kann man in Bosnien ganze Häuser kaufen. Oder ein günstiges Gerichtsurteil in Karlovac.«

      »Und er hat nichts dagegen, dass wir hier einfach so hereinschneien?«

      »Tihomir hat spontan zugesagt, als ich anrief. Wir sind immer spontan. Er weiß auch, dass wir eine Zeit lang in Guguljak bleiben werden.«

      »Sehr lange?«

      Sie