Brillanter Abgang. Alexander Hoffmann

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Название Brillanter Abgang
Автор произведения Alexander Hoffmann
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783839268667



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und legte im Herd ein paar Holzscheite nach.

      In einer đezvica aus rötlichem Kupfer begann das Wasser zu kochen, Tonja gab reichlich Zucker hinein. Sie nahm das Gefäß vom Herd und schüttete zwei Löffel »Kaffee Gloria« dazu. Wieder kam die đezvica aufs Feuer. Mit einem Löffelchen rührte sie den Kaffee um, bis er aufschäumte, dann füllte sie ihn in zwei Mokkatassen.

      Der türkische Kaffee war stark und süß. Für den Augenblick rettete er Hans, ebenso die štruklji, die Tihomir von einer Nachbarin geholt hatte. Hans vertilgte drei Stück der köstlichen heißen Schnitten aus Frischkäse.

      Er aß gerade das letzte Stück, als vor dem Haus jemand pfiff. Tonja ging nach draußen. Hans hörte, wie rege palavert wurde. Wenige Minuten später brachte sie nach und nach ihr gesamtes Gepäck herein.

      »Das war Mirko. Er hat unsere Sachen aus dem Jaguar geholt.«

      »Kann er ihn reparieren?«

      Tonja seufzte. »Er könnte schon, aber der Wagen muss verschwinden.«

      »Um Gottes willen! Das ist ein Jaguar MK II, Baujahr 1969 – daran hängen viele Erinnerungen!«

      »Und dein Nummernschild.«

      Hans sackte in sich zusammen. Sein Jaguar nun auch weg! Ein weiterer Abschied für immer.

      »Was macht denn dieser Mirko mit meinem Auto?«

      Sie grinste. »Er hat ein ganzes Lager mit Jaguar-Ersatzteilen. Würde mich nicht wundern, wenn er aus deinem Auto gleich zwei neue bastelt. Jaguare sind im Kosovo sehr beliebt.«

      Durstewitz kam Hans in den Sinn. Oft hatte der Gute eine Mariage vorgeschlagen – man nehme ein paar abgestandene Originalteile, füge sie kunstvoll zu einer neuen Antiquität zusammen und schon war der echte Biedermeier-Sekretär fertig. »Ich hätte da ein paar tolle Handwerker aus Polen, die kriegen das erstklassig hin«, hatte Durstewitz gesagt. Ja, das hätte man machen sollen.

      Tonja öffnete eine Tür, die noch tiefer ins Innere des Häuschens führte. Viel Inneres gab es nicht, ein kurzer dunkler Flur führte zu drei weiteren Türen. »Links ist das Gästezimmer, rechts schläft mein Vater und am Ende des Flurs ist das Bad. Dort kannst du dich, wenn du magst, etwas frisch machen.«

      Im Gästezimmer stand ein Bett, über dem ein eingerahmtes Foto in Sepia hing. Eine Musikkapelle – einige ältere Herren und ihre Instrumente. Wie die Herren und ihre Hunde. Komplettiert wurde die Einrichtung durch eine wurmstichige Truhe, einen Ohrensessel mit fleckigem Bezug und eine gusseiserne Stehlampe mit trauernden Kordeln. So hatte man um 1947 herum gewohnt, meldete sich der Kenner in Hans. Sie luden ihre Koffer und Säcke ab, dazu die treue Hebammentasche.

      »Ich weiß, ist ein bisschen eng hier. Aber das ganze Häuschen hat nur 70 Quadratmeter. Vater hat es selbst gebaut«, meinte Tonja.

      Hans ließ sich auf dem Bett nieder. Er sackte durch, die Federn ächzten, der Rahmen schwankte wie eine Jolle in schwerer Dünung. Hier hatte sich wohl schon Marschall Tito in der heroischen Zeit ausgeruht, als es gegen die Besatzer, die deutschen Teufel, ging.

      Tonja strich ihm übers Haar. »Ruh dich aus, ich muss noch kurz nach Karlovac, wegen der Bankvollmacht.«

      Hans fiel schnell in einen leichten, unruhigen Schlaf. Und in einen scheußlichen Traum. Er stand auf Bahnsteig 18 im Frankfurter Hauptbahnhof und wollte den TGV nach Paris besteigen. Doch die zwei Rucksäcke voller Geldscheine, die er trug, ließen ihn einfach nicht vom Fleck kommen, er stand wie festgefroren. Und schon erschienen die Häscher auf dem Querbahnsteig.

      Hans wachte auf, sein Hemd klebte feucht und kalt auf der Haut. Dann geh ich mal ins Badezimmer, sagte er sich und holte ein paar frische Sachen aus einem der Koffer.

      Das Badezimmer war kleiner als sein Gäste-WC im Frankfurter Westend, die Ausstattung antiquarisch: ein Klo nebst lockerem Plastikdeckel, ein rissiges Waschbecken und eine Duschkabine, deren Vorhänge an den Rändern schwarze Flecken zierten. Der guguljakische Schimmelpilz. Ein Boiler, den wohl die deutschen Teufel 1945 zurückgelassen hatten. Irgendwie war das alles charmant in seiner Kargheit, machte sich Hans Mut. Er zog sich aus, fischte aus seinem Kulturbeutel ein Fläschchen Duschgel und stieg in die Duschkabine. Misstrauisch musterte er den Duschkopf hoch über sich und drehte vorsichtig an den zwei Hähnen. Im Boiler fing es an zu gurgeln, und ein stechend heißer Wasserstrahl streifte seine Schulter. Hans sprang aus der Kabine, machte ganz lange Arme und drehte erneut an den Hähnen. Nun war die Temperatur angenehm. Er stieg wieder hinein, seifte sich gründlich ein und begann, das Duschen zu genießen. Plötzlich krächzte der Boiler, ein Schwall eiskalten Wassers trieb ihn erneut aus der Kabine. Der Boiler wechselte in eine Art Keuchhusten. Das Wasser versiegte. Da stand er, komplett eingeseift. Neben dem Waschbecken hing ein gelb geflecktes, feucht-fettiges Handtuch. Zitternd versuchte Hans, sich damit trocken zu rubbeln. Dabei schaute er durch ein winziges Fenster in den Garten hinter dem Haus. Auf der Wiese stand eine Gras kauende eitergelbe Ziege. Sie nahm Hans wahr, trottete näher und glotzte ihn mit fahlen Augen an. Hans war sich sicher, dass exakt diese Ziege am Morgen dieses Tages mit genau diesem Handtuch abgetrocknet worden war.

      Er seufzte. Sein erster Tag als Multimillionär.

      8. Kapitel

      Guguljak

      »Das wäre erledigt.« Nach gut zwei Stunden kehrte Tonja zurück. Alles an ihr strahlte Zuversicht und Dynamik aus.

      Hans fühlte sich immer noch matt. Als sie sich in der Küche zusammensetzten, fragte er leise: »Ich würde gerne wissen, wie es konkret weitergeht?«

      Tonja schmunzelte. »Polako, polako – langsam, langsam, nur keine übertriebene Hast. Daran musst du dich gewöhnen. Merk dir dieses Wort, es ist das wichtigste in unserem Land.«

      Sie tranken noch einen turska kava, während der Vater unweit des Häuschens im Garten werkelte. Hans starrte trübselig die Uhr an, und Tonja versuchte ihn aufzumuntern. »Nachher gehen wir ins ›Fässchen‹, und morgen um zwölf treffen wir Drago in Zagreb, im Esplanade. Zufrieden?« Sie erhob sich.

      Kurz darauf hörte Hans sie im Badezimmer rumoren. Das Wasser der Dusche plätscherte stetig, ihr war der Boiler offenbar voller Hingabe zu Diensten. Hans dachte an seinen Jaguar, an die Beletage im Frankfurter Westend, an all das Schöne und Sichere.

      Ehe er ganz in der Erinnerung versank, war Tonja zurück – frisch und mit einem Hauch Rouge auf den Wangen. Betörend.

      Die Luft hatte sich merklich abgekühlt, als sie vors Haus traten und den Weg Richtung »Fässchen« einschlugen. Endlich hatte Hans Appetit. Er entspannte sich zusehends und konnte wieder klarer denken.

      Mitten im hohen Gras fragte er Tonja: »Was hat es eigentlich mit der Bankvollmacht auf sich?«

      Sie wedelte mit den Händen. »Ich war bei der Sparkasse in Karlovac, ich kann nun das Konto der stari rokeri mitbenutzen.«

      »Stari was?«

      »Die Altrocker – so heißt die Band, in der mein Vater spielt. Das Foto, das du im Gästezimmer gesehen hast. Die stari rokeri sind noch oder schon wieder in, werden sogar von jungen Leuten zu Hochzeiten gebucht. In der Kirche spielen sie brav die alten Lieder, bei der Feier danach in der Kneipe geben sie dem Schwein die Freiheit.«

      »Du meinst, sie lassen die Sau raus.«

      »Wie auch immer. Jedenfalls kommen die Altrocker sehr gut an. Tihomir ist ihr Kassenwart, er spielt meist Bass, kann aber auch Gitarre und Mundharmonika.«

      »Und wofür brauchen wir das Konto?«

      Tonja blickte Hans nachsichtig an. »Schatz, dort deponieren wir ein bisschen Geld zum Leben. Außerdem möchte ich etwas für Vater tun. Und für meine Onkel.«

      »Wie viele Onkel hast du denn?«

      »Acht«, antwortete sie fröhlich.

      »Meine Güte. Wo leben die denn alle?«

      »In Guguljak.«

      »Und was tun sie?«

      »Nichts.«