Название | Heldenstoff |
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Автор произведения | Axel Rabenstein |
Жанр | Сделай Сам |
Серия | |
Издательство | Сделай Сам |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783840337819 |
Eine Expedition ist immer auch eine Reise zu den verborgenen Plätzen in einem selbst.
Der deutsche Abenteurer Stefan Glowacz bereist die entlegensten Gebiete der Erde. Natürlich wagt er sich dabei deutlich tiefer in die Wildnis vor, als es ein Triathlet wie Al-Sultan auf einer Asphaltstraße tut. Dennoch scheinen sich die Ziele der beiden durchaus zu ähneln.
„Ich denke, es ist die Neugier“, sagte mir Stefan auf die Frage, woher seine unstillbare Sehnsucht zum Aufbruch komme: „Neues zu erleben, aber auch neue Facetten an mir selbst kennenzulernen. Es ist ein bewusst provozierter Gang an die körperlichen und mentalen Leistungsgrenzen, dabei entdecke ich immer wieder neue Seiten an mir. Wir leben in einer hochtechnisierten Welt, die uns den Alltag einfach und bequem macht. Wir durchleiden keine Kälteperioden, müssen kaum kämpfen. Wenn man sich aber in einer bedrohlichen Situation befindet und die Nerven blank liegen, dann erkennt man plötzlich seine wahre Leistungsfähigkeit. Das ist wirklich faszinierend.“
Stefan Glowacz wuchs in Garmisch-Partenkirchen auf und begann im Alter von 15 Jahren das Klettern. Dreimal gewann er den als inoffizielle WM angesehenen Rockmaster in Arco, er siegte bei den Olympischen Spielen in Albertville 1992 im Kletter-Demonstrationswettkampf und wurde ein Jahr später Vizeweltmeister in Innsbruck. Im Anschluss daran beendete er seine Wettkampfkarriere, wandte sich neuen Herausforderungen zu und realisierte vielbeachtete Erstbegehungen.
Ich fragte Stefan, was der Reiz an einer Erstbegehung sei. Er sagte: „Die Erstbegehung ist eine Reise ins Neue, man wird zum Christoph Kolumbus in seiner eigenen vertikalen Welt. Man beobachtet die Wand mit dem Fernglas, wählt anhand seiner Erfahrung die beste Aufstiegsroute. Dann muss man hoch konzentriert sein, um jede Sekunde und jeden Zentimeter die richtige Entscheidung zu treffen. Hinzu kommt das Wissen, dass kein Mensch diesen Wandabschnitt zuvor berührt hat. Das ist ein erhabenes Gefühl.“
Seinen Erstbegehungen verlieh er malerische Namen, so wie „Place of Happiness“ oder „Behind the Rainbow“. Es waren selbst gewählte Routen in Patagonien, Brasilien, Venezuela, die ihn an neue Orte führten, um dort auch immer wieder neue Orte in sich selbst zu entdecken.
„Man bricht auf und kommt nie als der gleiche Mensch zurück. Bei meiner allerersten Expedition 1994 saß ich auf einer Sandbank in Kanada und hatte plötzlich das Gefühl, angekommen zu sein. Ich war wie vom Blitz getroffen. Auf einmal war ich ganz bei mir, ich war dort, wohin ich mich seit jeher gesehnt hatte. Die Umgebung war mir unglaublich vertraut. Ein solches Gefühl versucht man immer wieder zu finden. Eine Expedition ist nicht nur eine Reise in entlegene Gebiete dieser Erde, sondern auch eine Reise zu den verborgenen Plätzen in einem selbst.“
Am Ende ist es ein einfaches Spiel: Mensch, Wand – fertig.
Wir wollen uns nun einem Kletterer zuwenden, der es verdient hätte, noch mehr im Fokus zu stehen, als er es heute tut. Es scheint aber so, als wäre ihm das gar nicht so wichtig; denn Herbert Ranggetiner klettert vor allem deshalb, weil er dem Leben in seiner ganzen Intensität begegnen möchte, um zu spüren, was er in einem für mich unvergesslichen Interview als seine „Urkraft“ bezeichnete.
Der Österreicher hat mehr als 600 Erstbegehungen in ganz Europa realisiert, von denen 60 bis heute von keinem anderen Kletterer wiederholt werden konnten. Zudem hat Herbert einige der schwersten jemals gekletterten Free Solos ohne Sicherung absolviert.
„Die Idee, seilfrei zu klettern, entsteht meistens aus einer Trainingssituation“, antwortete er mir auf die Frage, warum er sich der Gefahr aussetze, in den Tod zu stürzen. „Du bist eine Route viele Male erfolgreich geklettert und spürst noch Reserven. Du hast dir die körperliche und mentale Basis geschaffen und fasst schließlich den Entschluss, das Seil wegzulassen. Ein solcher Entschluss ist niemals eine fixe Idee, das wäre fahrlässig. Es kann Monate oder sogar Jahre dauern. Es ist ein Dialog mit dem kleinen Männchen im Kopf, hinten im Kompetenzzentrum für innere Sicherheit und Überleben. Das meldet sich und haut auf den roten Knopf, wenn du eine lebensbedrohliche Aktion planst. Wenn ich es dann dennoch tue, dann nur, weil ich es unbedingt tun möchte. Weil ich das Männchen so lange mit positiven Argumenten bearbeitet habe, bis es sagt: Ja, leck mich am Arsch, dann mach doch, was du willst!“
Herbert Ranggetiner ist verheiratet und hat zwei Söhne. Auf die Frage, was seine Frau davon halte, wenn er ohne Seil in eine Wand einsteige, sagte er mir: „Natürlich hat man eine Verantwortung seiner Familie gegenüber. Aber man hat auch eine Verantwortung seinen Träumen gegenüber.“
Zudem sei es nicht die Gefahr, die er suche, sondern einzig und alleine die Bestätigung seiner Fähigkeiten: „Ein Laie sieht einen verrückten Kletterer in einer Felswand, und er sieht nur die Konsequenz eines Fehlers. Ich wiederum sehe die machbare Aufgabe. Es ist keine Todessehnsucht, sondern eine Sehnsucht nach dem Leben in seiner intensivsten Form.“
Und wie fühlt sich das an?
Was spürt Herbert, wenn er sich und seine Fähigkeiten so unmittelbar wahrnimmt, wenn ein Augenblick so intensiv ist, wie ihn das normale Leben niemals ausspucken könnte?
„Du lebst bis in die letzte Faser. Du spürst, dass es um dein Leben geht und setzt Energien frei, die du im Alltag niemals abrufen könntest. Dein Körper beschränkt sich auf die wesentlichen Funktionen, alles andere wird ausgeblendet. Plötzlich kannst du deine Kraft auf bestimmte Körperteile konzentrieren, auf einzelne Griffe und Züge. Es ist, als würde deine gesamte Energie in einen Arm oder sogar in einen Finger fließen. Für mich ist das eine Urkraft, die jeder Mensch in sich hat. Eine Mutter kann diese Kraft sicherlich auch mobilisieren, um ihr Kind zu beschützen. Der Mensch ist allerdings nicht dafür gemacht, seine Urkraft für einen längeren Zeitraum oder öfter einzusetzen. Das habe ich immer wieder am eigenen Leib erfahren. Nach einer intensiven seilfreien Begehung bin ich drei oder vier Tage zu nix zu gebrauchen.“
Herbert lebt im österreichischen Pinzgau, wo er als Bergführer arbeitet. Im Februar 2015 kletterte er nach langer Vorbereitung ohne Sicherung eine Route mit dem Namen „Megawaspman“, eine glatte, fast strukturlose, überhängende Felswand. Bei dieser Route mit einem Schwierigkeitsgrad von 8b kommt die entscheidende Stelle erst kurz vor dem Ende.
„Das ist eine besondere Herausforderung für den Kopf. Unterwegs darf nichts passieren, was dich so schwächt, dass du die Schlüsselstelle dann nicht mehr überwinden kannst.“
Zehnmal am Tag kletterte Herbert die Route, immer wieder mit einer drei Kilo schweren Gewichtsweste. Körperlich war er in der Lage, die Route sicher zu klettern, 50-mal war er mit Seil nicht mehr rausgefallen, ehe er schließlich ungesichert in die Wand einstieg. Es ist eine Entscheidung mit Tragweite, weil es kein Zurück gibt und ein Fehler an der Schlüsselstelle in einem fatalen Sturz enden würde.
„Am Ende ist es ein einfaches Spiel: Mensch, Wand – fertig. Bei dieser Route ist die entscheidende Stelle ein Sprung. Für einen Augenblick bist du mit Füßen und Händen in der Luft. Du legst alle Energie in diesen Sprung und vertraust darauf, dass du Bruchteile einer Sekunde später mit ein paar Fingern auf dem Aufleger hängen bleibst. Dieser Augenblick hat die volle Intensität, es ist ein reines, beinahe unwirklich pures Gefühl.“
Einen Tag später sollte mit „Einstein“ ein Free Solo bei Matrei folgen, eine noch schwerere Route mit einem Schwierigkeitsgrad von 8b+. Einige Freunde waren mitgekommen, Fotografen und Kameraleute hatten sich postiert. Herbert kletterte die Route noch einige Male mit Seil, es lief perfekt, wie er meinte, „beinahe locker“. Dann geschah etwas, was für ungläubiges Staunen bei allen Beteiligten sorgte.
„Auf