Der letzte Funke Licht. Jana Pöchmann

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Название Der letzte Funke Licht
Автор произведения Jana Pöchmann
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783962298098



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Welt. Du bist die Beste.“ Meine Großmutter setzte sich neben mich.

      „Mein Kleines, ich liebe dich auch und es tut mir leid. Ich hoffe so sehr, du verzeihst mir. Das ist mein größter Wunsch, dass du mir verzeihst. Ich verspreche dir, dass ich immer für Avery da sein werde. Ich werde ihr nie wieder von der Seite weichen“, sagte meine Großmutter mit brüchiger Stimme zu meiner Mutter. Diese Worte waren nichts anderes als die Wahrheit. Ich kannte meine Großmutter zwar noch nicht sehr gut, aber ich war mir mehr als sicher, dass sie immer bei mir bleiben würde. Ich hatte ihr verziehen. Ich wollte es zwar nicht zugeben, aber ich brauchte meine Großmutter. Ihre Anwesenheit war das Einzig, was mich gerade tröstete und vor dem Zusammenbruch bewahrte.

      „Mama, du bist das Beste auf der Welt. Danke für alles. Es gibt so vieles, was ich noch mit dir teilen und mit dir erleben möchte, aber ich weiß, wenn wir es nicht mehr gemeinsam erleben können, bist du trotzdem immer bei mir. In meinem Herzen.“ Ich sagte dies voller Liebe und Verzweiflung. Bildete ich mir nur ein, ein leichtes Zucken in den Zügen meiner Mutter zu erkennen? Ich wusste es nicht hundertprozentig, aber glaubte fest daran, dass sie mich hörte.

      „Geht es dir jetzt ein bisschen besser?“, fragte mich meine Großmutter sanft, strich mir beruhigend über den Rücken und sah mich traurig an. Wir blieben die ganze Fahrt neben meiner Mutter sitzen und sagten abwechselnd liebe Worte zu ihr. Wir weinten, aber erzählten uns gegenseitig auch lustige Momente, die wir mit meiner Mutter erlebt hatten und die uns immer zum Lachen brachten. Obwohl es eine sehr schwere Zeit war, war ich so froh, jemanden an meiner Seite zu haben, mit dem ich über alles reden konnte. Das fühlte sich gut an.

      „Guck mal, wo wir schon sind“, sagte meine Großmutter und zeigte aus dem Fenster nach draußen. Dort konnte ich schon das Ortsschild von Norden sehen.

      „Wir sind da, bitte aussteigen“, sagte der etwas ältere Arzt, der die ganze Zeit bei uns gesessen hatte und ich bewegte mich auf meinen Beinen, die sich wie Pudding anfühlten, nach draußen. Ich war um die fünf Stunden nicht mehr draußen gewesen und die Sonne strahlte so hell, dass mir meine Augen wehtaten. Die Luft roch nach Meerwasser und es wehte ein angenehmes Lüftchen. Das Wetter war schon einmal sehr gut. Als ich mich umdrehte, sah ich etwas, das mir den Atem raubte: Eine Klinik, riesengroß und gefühlt hunderte Stockwerke hoch.

      Der Anblick dieser Klinik gab mir Hoffnung. Hoffnung, dass alles gut werden würde.

      Aber es war nicht nur die Klinik, die mir den Atem raubte. Die ganze Gegend hier sah einfach wunderschön aus.

      „Ich weiß nicht warum, aber ich liebe diesen Ort. Er fühlt sich irgendwie besonders an“, sagte ich zu meiner Großmutter, die mich daraufhin unsicher anlächelte. Danach bedankten wir beide uns noch schnell bei den Sanitätern, die uns gefahren hatten und während meine Großmutter diese noch etwas fragte, blieb ich bei meiner Mutter. Sie lag ruhig auf ihrer Liege und es sah eigentlich so aus, als ob sie nur friedlich schliefe. Ich nahm ihre Hand und drückte sie vorsichtig. Ihre Haut fühlte sich rau an und war viel kälter als vorher.

      Ich sah, wie ihre Kräfte langsam immer weniger wurden und ihr Gesicht, sofern das noch ging, immer blasser. Mir kamen schon wieder die Tränen und ich sagte: „Mama, ich liebe dich!“ Ich sagte es aus tiefstem Herzen und betrachtete meine Mutter noch ein paar Sekunden lang.

      In diesem Moment spannten sich ihre Gesichtszüge merklich an und man hörte, wie ihre Atemzüge immer kürzer und die Atempausen immer länger wurden.

      Das Piepen der Maschinen wurde immer lauter.

      Ich wusste nicht, was ich machen sollte, ich fühlte mich in dem Moment so hilflos wie noch nie in meinem Leben. Ich hatte das Gefühl, meine Mutter würde gerade vor meinen Augen sterben. Jetzt verlief für mich plötzlich alles wie in Zeitlupe: Ich nahm einen Brief unter der Liege meiner Mutter wahr und griff automatisch danach.

      Es war aus reinem Reflex, aber ich spürte, es war das Einzige und Richtige, was ich in diesem Moment tun konnte.

      Die Sanitäter kamen direkt danach ganz schnell zu uns geeilt, meine Großmutter, die auch direkt zu mir gelaufen kam, hielt mich ganz nah an sich gedrückt und schluchzte. Ich war wie gelähmt. Gerade noch hatte ich gehofft, alles könnte gut werden und dann … Die Sanitäter eilten hin und her und schließlich kam einer langsam auf mich und meine Großmutter zu und sagte traurig: „Es tut mir leid, wir konnten nichts mehr tun.“

      Danach brach ich zusammen.

      Kapitel 4

      3 Monate später.

      So, da stand ich also, in meinem neuen Zimmer in einem ganz neuen Haus und einem ganz neuen Dorf. Neben mir standen haufenweise Umzugskartons. In manchen waren Kleider, in anderen Schulsachen, Deko und noch viel mehr. Nach dem schlimmen Ereignis vor drei Monaten waren meine Großmutter und ich nur noch ein einziges Mal in meiner Heimatstadt gewesen und hatten meine Sachen aus unserem alten Haus geholt. Aus dem alten Haus von mir und meiner Mutter. Ich hatte nicht viel Zeit gehabt, genau zu überlegen, welche Sachen ich mitnehmen mochte und welche nicht. Deshalb hatte ich alles Mögliche in die Kartons gestopft und jetzt sollte ich alles in meinem neuen Zimmer einräumen. Ich hatte keine Ahnung, wo ich was reintuen oder hinlegen, geschweige denn, welche Bilder ich an die Wände hängen sollte. Meine Großmutter hatte mir zwar angeboten, zu helfen, aber ich wollte mein Zimmer alleine gestalten und einrichten. Ich trank einen Schluck von meinem Wasser, machte Musik an und atmete einmal ganz tief durch. Jetzt konnte es losgehen. Also, als erstes legte ich alle Klamotten, die ich mitgenommen hatte, in den Kleiderschrank. Ich achtete nie so richtig auf Ordnung, also legte ich die Klamotten einfach kreuz und quer in den Schrank. So, das hätten wir schon mal. Der erste Karton ist erfolgreich ausgepackt worden. Also fehlten nur noch 14 Kartons. Das konnte ja noch spaßig werden!

      Als nächstes nahm ich mir vor, die Schulsachen auf meinen Schreibtisch zu legen und die Bücher in das Regal rechts neben meinem Bett zu stellen. Ich liebte Bücher. Wenn es mir nicht so gut ging oder mir viele Gedanken durch den Kopf gingen, lenkten mich Bücher immer ab. Sie entführten mich in eine Welt, in der ich meine Gedanken und Sorgen einfach vergessen konnte. Für den Moment, in dem ich las, stieg ich einfach in eine neue Welt und erst nach ein paar Stunden hörte ich immer auf zu lesen.

      In letzter Zeit las ich sehr viel, da ich auf andere Hobbys oder auf neue Freunde keine große Lust hatte. Zum Glück musste ich in den vergangenen drei Monaten nicht zur Schule, da ich andere Sorgen hatte …

      Aber dies war der letzte Tag, an dem ich mich noch einmal ausruhen und einfach nichts tun konnte. Ich musste nur noch mein Zimmer einräumen ...

      Jetzt, da ich meine Sachen endlich alle in meine Schränke und Regale geräumt hatte, war ich stolz auf mich, dass ich mein Zimmer alleine so toll hatte einrichten können - mit schöner Deko und vielen Kerzen.

      „Hey Avery, wie weit bist du denn?“, hörte ich draußen die Stimme meiner Großmutter fragen und antwortete mit einem kurzen: „Komm rein!“

      Die Tür ging langsam auf und meine Großmutter trat ins Zimmer- „Wow, das ist ja wunderschön geworden“, sagte sie und brachte mich dabei zum Lächeln: „Ja, ich habe dir ja gesagt, es wird noch was, selbst wenn ich es auf den letzten Tag schiebe.“

      „Ich muss zugeben, ich bin sehr stolz auf dich. Das hast du wirklich toll gemacht“, lobte sie mich und fragte anschließend: „In einer Viertelstunde gibt es Essen, in Ordnung?“

      Ich hatte solchen Hunger und mein Bauch knurrte schon die ganze Zeit. „Ja, klar. Bis gleich“, antwortete ich und wandte mich meinem Schreibtisch zu. Darauf lagen ein paar Blätter Papier und mein Schulmäppchen. Es war bestimmt schon Jahre her, dass ich das letzte Mal gezeichnet hatte, aber früher konnte ich es ganz gut. Also änderte ich die Musik auf Spotify zu der Playlist „Ruhige Musik“ und begann zu zeichnen. Ich malte einfach drauflos. Stellte mir einen Jungen in meinem Alter mit grünen Augen und schwarzen Haaren vor. Früher, in Kunst, hatte ich ein Bild schon immer viel schneller fertig gemalt, als jeder andere. Ich hatte immer höchstens zwei Doppelstunden für ein Bild mit allem Drum und Dran gebraucht, während meine Mitschüler immer vier oder mehr Doppelstunden gebraucht hatten. So bekam ich meinen um die siebzehn