Название | Religionsgeschichte Anatoliens |
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Автор произведения | Manfred Hutter |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783170269767 |
Diese Einbeziehung hethitischer Texte, die im Handbuch zehn Seiten füllen, ist insofern forschungsgeschichtlich hervorzuheben, als Texte in nennenswerter Zahl erst seit 1906 durch Ausgrabungen in Boğazkale gefunden wurden und Bedřich Hrozný eine von der damaligen Fachwelt schnell akzeptierte Erschließung der Sprache als »hethitisch« 1915 vorgelegt hatte. Neben seinen ersten Übersetzungen hat Zimmern drei Jahre später für den ebenfalls von Hans Haas herausgegebenen mehrteiligen »Bilderatlas zur Religionsgeschichte« einen Faszikel »Religion der Hethiter« geliefert. Dem zeitgenössischen Kenntnisstand folgend, problematisiert bzw. differenziert Zimmern zutreffend, dass die Texte des 2. Jahrtausends und die Bildwerke, die – abgesehen von den Reliefs aus Yazılıkaya der hethitischen Großreichszeit – aus verschiedenen »neo-hethitischen« Staaten der ersten Jahrhunderte nach dem Untergang des hethitischen Großreiches stammen, nicht unkritisch aufeinander bezogen werden dürfen; daher formuliert er einschränkend für seine Arbeit Folgendes:29
Wie weit hierbei also dieses religiöse hethitische Bildermaterial als Illustration jenes religiösen hethitischen Textmaterials gelten darf, bleibt … einstweilen noch unentschieden.
Dieser frühe Forschungsstand zeigt dabei einige Aspekte der Beschäftigung mit der Religionsgeschichte Kleinasiens, die bis zur Gegenwart oft prägend geblieben sind und wovon sich auch die vorliegende Darstellung nicht vollkommen lösen kann, jedoch in der Gewichtung einen neuen Akzent liefern möchte. H. Zimmern stellte ausschließlich die Hethiter in den Mittelpunkt seiner Darstellung, erkannte jedoch die Notwendigkeit, auch die heute aufgrund der damit verbundenen Inschriften als hieroglyphen-luwisch bezeichneten Denkmäler einzubeziehen. Dadurch hat Zimmern zu Recht angedeutet, dass die Religionsgeschichte Kleinasiens in ihrer Kontinuität (und in Veränderungen) berücksichtigt werden muss, auch wenn die Quellensituation zu den religiösen Vorstellungen der Zeit der Hethiter alle anderen Perioden quantitativ bei Weitem übertrifft. Allerdings sollte man die »hethitische Religion« in die größere Geschichte einbetten – beginnend mit jenen Vorstellungen der Bronzezeit, die in Zentralanatolien vor der hethitischen Staatsgründung durch archäologische Befunde sowie durch die Texte der altassyrischen Handelsniederlassungen rekonstruierbar sind. Genauso sollte aber auch die Religionsgeschichte Kleinasiens nach dem Untergang des hethitischen Reiches weiter beachtet werden – vor allem anhand der hieroglyphen-luwischen Quellen für den Süden und Südosten Kleinasiens bis nach Nordsyrien; diese zeigen den Anspruch lokaler Herrscher, nicht nur kulturell, sondern vor allem politisch die Nachfolge des Hethiterreiches anzutreten. Wenigstens hinzuweisen ist auch auf jene Traditionen, die im Süden und Westen des Landes durch Lyker, Lyder und Karer sowie in Zentralanatolien durch die Phryger fassbar werden. Das genaue Verhältnis dieser im 1. Jahrtausend fassbaren Traditionen zu den verschiedenen Überlieferungen in den Keilschrifttexten des 2. Jahrtausends ist jedoch schwierig zu bestimmen, da teilweise eine Überlieferungslücke von mehr als einem halben Jahrtausend existiert.
Dieses Szenario religionsgeschichtlicher Kontinuität und Veränderung bzw. Neuerung durch Importe bis in die ersten Jahrhunderte des 1. Jahrtausends entsprechend dem gegenwärtigen Forschungsstand darzustellen, ist das Themenfeld einer Religionsgeschichte Anatoliens. Denn Religionsgeschichte ist kein monolithischer Block, sondern die Kontakte Kleinasiens mit den angrenzenden Gebieten sowie politische Veränderungen innerhalb Kleinasiens bedingten immer eine religiöse Pluralität. Ein (exemplarischer) Blick auf einige einschlägige Monographien, die »Standardwerke« für die gegenwärtige Forschung30 sind, soll im Folgenden zeigen, dass bislang solche Fragestellungen von Kontinuität und Wandel in unterschiedlichem Umfang behandelt wurden.
Die erste monographische Darstellung, die in vielen Abschnitten noch für den aktuellen Kenntnisstand brauchbar ist, stammt von Oliver R. Gurney. Die auf drei Vorträgen beruhenden »Some Aspects of Hittite Religion« aus dem Jahr 1977 behandeln in drei Kapiteln das Pantheon, den Kult und magische Praktiken. Diese Einschränkung oder Schwerpunktsetzung des Materials begründet Gurney zutreffend damit, dass gerade bei diesen Themen – gegenüber der älteren Forschung – neue oder bisher wenig bekannt und rezipierte Erkenntnisse gewonnen werden konnten.31 Zu Recht hebt Gurney hervor, dass bei der Darstellung hethitischer Religion zwischen den lokalen Kulten mit je eigenen Traditionen und der »Staatsreligion« mit dem König als oberstem Priester für den Staat zu unterscheiden ist. Relativ klar betont er bereits die Unterschiede zwischen der Götterwelt der althethitischen Zeit und den Veränderungen, die mit dem hurritischen Einfluss im 15. Jahrhundert einsetzten. Innerhalb der Darstellungen zum »Kult« beschreibt Gurney u. a. Aktivitäten und Opfer an lokalen Schreinen und Stelen(heiligtümern), wobei er letztere mit den Masseben der Religionsgeschichte Israels vergleicht.32 Ferner behandelt er lokale Feste im Frühjahr und Herbst und unterscheidet diese von den großen Staatsfesten, dem AN.TAḪ.ŠUM-, dem KI.LAM-, dem nuntarriyašḫa- und dem purulli-Fest. Das Verhältnis dieser Feste zueinander und ihre jeweils höchst komplexe Entwicklungsgeschichte lässt sich inzwischen besser rekonstruieren, als es zur Zeit Gurneys möglich war. Hinsichtlich der »magischen Rituale« hebt er deren individuelle Verortung für konkrete Anlässe hervor, wobei er auch auf die regionale Differenzierung der Ritualspezialist(inn)en hinweist. In drei hervorgehobenen Unterabschnitten kommt er auf die Sündenbockrituale – auch im Vergleich zu Praktiken der Religionsgeschichte Israels33 – zu sprechen, zu Ersatz(königs)ritualen und zum Totenritual für verstorbene Herrscher. Letzteres wäre m. E. günstiger im Zusammenhang mit dem »Staatskult« zu behandeln gewesen. Rekapituliert man diese Darstellung, so ist diese Arbeit – auch mehr als vier Jahrzehnte nach ihrer Entstehung – als erste Annäherung an Aspekte der hethitischen Religion ertragbringend zu lesen.
Ein Nachschlagewerk ist die 1994 erschienene »Geschichte der hethitischen Religion« von Volkert Haas. In dem mehr als 1.000 Seiten umfassenden Buch geht es dem Verfasser um eine möglichst systematische Anordnung des Quellenmaterials, ohne dieses in bestehende religionswissenschaftliche Theorien einzuordnen oder dementsprechend zu bewerten.34 Zu Recht hebt er die reichhaltig überlieferten hethitischen Ritualtexte hervor, in denen eine Fülle von Details über Feste, Mythen, Gebete, Beschwörungen, Orakelanfragen oder kultische Handlungen bewahrt geblieben sind.35 In dieser Materialdarbietung liegt die Stärke des Buches, weil dadurch auch dem hethitologisch-philologisch nicht vorgebildeten Leser ein Zugang zu den Quellen erschlossen wird. Charakteristisch für das Buch ist ferner, dass Haas immer wieder ausführlich auf die mesopotamischen und syrischen Vorstellungen eingeht, um dadurch schlechter bezeugte kleinasiatische Vorstellungen zu erhellen oder durch den Vergleich für die Deutung dieser Vorstellungen etwas zu gewinnen. Dabei erliegt er jedoch methodisch manchmal der Versuchung, etwas, was für Kleinasien nicht direkt bezeugt ist, dennoch für die religiöse Vorstellungswelt dort zu postulieren, weil es in Mesopotamien oder Syrien bezeugt ist. Die Vorzüge des Buches bergen aber zugleich in gewisser Weise auch Schwächen: Die fehlende Auseinandersetzung mit religionswissenschaftlicher Theorie lässt den Leser manchmal allein mit der Frage, warum die Hethiter diesen oder jenen Kult ausgeübt haben, auch wenn der Leser detailliert erfährt, wie der Ritualablauf war. Genauso bekommt ein – nicht speziell fachlich ausgebildeter – Leser manchmal den Eindruck, dass das beschriebene Material »flächendeckender« (sowohl in zeitlicher als auch in regionaler Hinsicht) wäre, als es de facto der Fall war. Trotz solcher Einschränkungen ist das Buch eine Fundgrube für relevantes Material zur Religionswelt Anatoliens, wobei – der Gesamtanlage des Buches entsprechend – mit dem politischen Ende des Hethiterreiches auch die Beschreibung der religiösen Vorstellungen endet.
Im folgenden Jahr ist das Buch »Religions of Asia Minor« von Maciej Popko erschienen. Auf etwa 150 Seiten behandelt Popko denselben Stoff – allerdings verständlicherweise ohne jedweden Anspruch auf Vollständigkeit – wie Haas. Ein grundlegender Unterschied gegenüber dem Buch von Haas ist jedoch, dass Popko auch die religiösen Traditionen des 1. Jahrtausends (Luwier, Lyker, Karer, Lyder, Phryger) kurz beschreibt. Der Aufbau der Arbeit von Popko ist dabei stärker chronologisch