Religionsgeschichte Anatoliens. Manfred Hutter

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Название Religionsgeschichte Anatoliens
Автор произведения Manfred Hutter
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783170269767



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Religionen – trotz der Veränderungen, die sie zeigen – als Beispiel der Dynamik, die allen Religionen und der Religionsgeschichte innewohnt, sehen muss, deren detaillierte Analyse in einem anderen Kontext Fortsetzung verdient.

      B Frühe religiöse Vorstellungen Anatoliens am Beispiel der Gräber von Alaca Höyük und der Briefe aus den altassyrischen Handelskolonien in Zentralanatolien

      Blickt man vom reichhaltigen hethitischen Schrifttum der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends zurück in frühere Epochen der Religionsgeschichte, steht man unmittelbar vor folgenden Fragen: Welche Vorstellungen, die uns aus der so genannten »hethitischen Großreichszeit« besonders des 14. und 13. Jahrhunderts bekannt sind, können schon in früheren Jahrhunderten vorausgesetzt werden? Wie weit zurück lassen sich religiöse Vorstellungen methodisch zuverlässig rekonstruieren, indem archäologische Befunde der Spätphase der Frühen Bronzezeit als religiöse Zeugnisse gedeutet werden? Lässt sich eine teilweise Kontinuität der Religionswelt postulieren, die sich vom 3. ins 2. Jahrtausend erstreckt? Solche Fragen gilt es zu beachten, wenn Quellen für den Zeitraum vom 25. bis zum letzten Viertel des 18. Jahrhunderts als Basis der Rekonstruktion herangezogen werden. Da diese Quellen keineswegs flächendeckend für Zentralanatolien vorhanden sind, ist diese Rekonstruktion vor allem auf zwei Bereiche beschränkt: Es sind die reichhaltigen Funde der Gräber aus dem Ausgrabungsort Alaca Höyük, welche die Bestattungspraktiken der Elite dieser Siedlung widerspiegeln. Ungleich umfangreicher sind die Ausgrabungsergebnisse von Kültepe (Kaneš), einem politischen Zentrum mit einer Oberstadt und einer altassyrischen Handelsniederlassung, in der unzählige Briefe und Privaturkunden bzw. Verträge bzgl. der wirtschaftlichen Aktivitäten gefunden wurden. Diese schriftlichen Quellen erlauben eine teilweise Rekonstruktion der politischen und sozialen Verhältnisse, auch wenn religiöse Vorstellungen dabei lediglich am Rande fassbar werden.

      1 Bestattung und Gesellschaft in Alaca Höyük

      Der Ort Alaca Höyük liegt etwa 160 Kilometer östlich von Ankara, wobei der Höyük einen Durchmesser von 250 Metern und eine Höhe von 15 Metern hat. Seit Beginn der Ausgrabungen im Jahr 1935, die bis zur Gegenwart andauern, konnten vier Kulturperioden mit insgesamt 14 archäologisch zu unterscheidenden Schichten1 identifiziert werden. Die dritte Periode gehört der Frühbronzezeit an und umfasst die archäologischen Schichten 5–8. Aus dieser Zeit stammen die vierzehn innerhalb der Stadtmauern liegenden, reich ausgestatteten Gräber, die meist ins 23. Jahrhundert datiert werden, aufgrund neuerer naturwissenschaftlicher Untersuchungen organischer Funde in den Gräbern wahrscheinlich aber bereits aus der Zeit knapp vor der Mitte des 3. Jahrtausends stammen.2 Die Größe der Gräber3 variiert, wobei Grab H mit 8,9 Metern mal 3,4 Metern die größten Ausmaße hat; die Tiefe der Gräber liegt zwischen 0,5 und 1 Meter. In den meisten Gräbern wurden die Toten in Hockerstellung als Einzelgrablege bestattet, wobei der Kopf nach Westen und das Gesicht nach Süden ausgerichtet war; in Grab D war eine Frau bestattet. Mit den Toten waren Prestige-, Kult- und Gebrauchsgegenstände aus Metall (Zinnbronze, Silber, Gold, Elektron) deponiert; bei letzteren handelt es sich unter anderem um Äxte, Bohrer, Dolche, Schwerter oder Nadeln sowie um Gefäße, wobei diese Beigaben Gebrauchsspuren zeigen und wohl dem oder der Bestatteten persönlich gehört haben. Die Gräber waren durch Holzbalken abgedeckt. Auf diesen Holzbalken lagen Rinderschädel und Rinderhufe, was auf die Durchführung von Totenopfern und -ritualen hinweist.4 Wahrscheinlich wurden die Rinder bei einem Mahl im Rahmen des Bestattungsrituals verspeist. Neben den Rinderköpfen wurden in den Gräbern auch Knochen von anderen Tieren gefunden – Ziegen, Schafe, Hunde, Schweine und Esel. Die Auffindungssituation in Grab R lässt darauf schließen, dass dort Ziegen und ein Schaf als Opfer(rückstand) deponiert wurden, während bei anderen Tieren teilweise die Möglichkeit besteht, dass auch sie im Zusammenhang mit den Begräbnissen (rituell) verzehrt wurden.

      Die vielfältigen und hochwertigen Grabbeigaben haben Ünsal und Gönül Yalçın unlängst erneut einer Interpretation unterzogen, wobei die Qualität der Beigaben auf das Prestige und den sozialen Status der Toten verweist. Neben anscheinend hochqualifizierten Handwerkern sind aufgrund der Grabbeigaben andere Bestattete dem herrschaftlichen bzw. religiösen Feld zuzuordnen, wobei eine klare Trennung zwischen einzelnen sozialen Rollen eher unwahrscheinlich ist. Neben den schon erwähnten Gebrauchsgegenständen kann man einen Teil der Beigaben als Herrschaftssymbole5 bezeichnen. Dazu gehören Schmuckstücke, Diademe, Gefäße aus Edelmetall und Prunk- oder Zeremonialwaffen (Keulenköpfe, Eisendolche). Diese Waffen waren nicht für den Gebrauch bestimmt, sondern ihre aufwändige Gestaltung bzw. das teilweise weiche Metall lässt einen symbolischen Charakter vermuten.

      Zu den Objekten, die mit religiösen Kontexten zu verbinden sind, gehören kunstvoll gestaltete Standarten,6 die entweder auf oder in einen anderen Gegenstand gesteckt werden konnten oder die auf Holzstangen montiert waren, um sie z. B. bei Prozessionen mitzutragen. Insgesamt 39 Sonnenstandarten aus Bronze oder Silber sind in den Gräbern gefunden worden, sowie tierförmige Aufsätze, die einen Stier oder einen Hirsch bzw. eine Tiergruppe zeigen; die Tierstandarten sind aus Bronze, mit Metalleinlagen aus Silber oder Elektron. Da diese Standarten Gebrauchsspuren aufweisen, ist anzunehmen, dass es sich bei diesen Beigaben um Kultgegenstände handelt, die als Besitz des Bestatteten auch Rückschlüsse auf seine kultischen Aktivitäten erlauben. Auch wenn die Grabfunde in Alaca Höyük am bedeutsamsten sind, ist erwähnenswert, dass vergleichbare Standarten an anderen Orten Zentralanatoliens jener Zeit, z. B. in Horoztepe7 oder Mahmatlar, gefunden wurden, was die Vermutung von gemeinsamen Vorstellungen in diesem Raum zulässt. Neben diesen Standarten stammen auch sechs anthropomorphe Figurinen aus Edelmetall (und stilistisch vergleichbare Tonfigurinen) aus den Gräbern, die ebenfalls kunstvoll gestaltet sind.8 Manche von ihnen zeigen eine detaillierte Gestaltung des Gesichts und des Kopfes, so dass eine Interpretation als Darstellung einer individuellen Göttin denkbar ist. Bei anderen Figurinen, bei denen die Brüste, die Hüften bzw. die Scham besonders hervorgehoben sind, lässt sich eher an Figurinen denken, die allgemein den Wunsch nach Fruchtbarkeit ausdrücken sollen. Dass auch solche Frauenstatuetten nicht auf Alaca Höyük beschränkt sind, zeigt z. B. die jüngere Figur einer stehenden Frau, die ein Kind stillt, aus einem Grab in Horoztepe, oder die Figur einer sehr schlanken Frau mit detailliert gestaltetem Schambereich aus Hasanoğlan.

      Was kann man aus solchen (Be-)Funden eventuell hinsichtlich religiöser Vorstellungen ablesen?9 Dass es sich bei den Gräbern, die sich über einen Zeitraum von rund zwei Jahrhunderten erstrecken, um Zeugnisse für Bestattungen der Oberschicht handelt, ist unbestritten. Möglich, aber unbeweisbar ist die Annahme von Tahsin Özgüç, der damit rechnet, dass die hier bestatteten Prinzen bzw. Prinzessinnen gleichzeitig auch priesterliche Aufgaben ausübten. Weil manche Grabbeigaben Gegenstände mit religiöser Verwendung bzw. Symbolik sind, vertritt z. B. Volkert Haas die Meinung, dass man die hier Bestatteten als »Träger höchster priesterlicher Funktionen« oder vielleicht sogar als Priesterkönige bzw. -königinnen verstehen darf. Einen Schritt weiter geht Maciej Popko, der die gesicherte Kontinuität der Siedlung von Alaca Höyük bis in die hethitische Großreichszeit in die Überlegungen mit einfließen lässt. Da Popko die seit der althethitischen Zeit wichtige Kultstadt Zippalanda in Alaca Höyük lokalisiert,10 erwägt er, dass dieser Ort schon in der Bronzezeit ein bedeutsames Kultzentrum mit hattischen religiösen Vorstellungen gewesen sein könnte. Auch wenn die Identifizierung mit Zippalanda eher unwahrscheinlich ist, ist seine vorsichtige Erwägung, dass man auch die Gräber bereits der (frühen) hattischen religiösen Tradition zuweisen könnte und die Bestatteten möglicherweise hochrangige Kultspezialisten – und nicht »weltliche« Machthaber oder Eliten – waren, möglich. Dafür kann dabei auch sprechen, dass abgesehen von Grab F in allen Gräbern Beigaben gefunden wurden, die man mit religiöser Symbolik verbinden kann.11 Im Detail lässt sich keine der Interpretationen beweisen, doch dürfte außer Zweifel stehen, dass die reichhaltige Ausstattung der Gräber auf die Bestattung höherstehender Personen hinweist.

      Die Lebensgrundlage der Gesellschaft in Alaca Höyük beruhte auf Landwirtschaft und Viehzucht,12 wobei man Alaca Höyük (und andere Fundorte) häufig als dem kulturellen Gebiet der Hattier zugehörig betrachtet. Diese Annahme stützt sich auf ethnische, kulturelle und geographisch-»politische« Bedingungen, die uns