Название | Ich zähle jetzt bis drei |
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Автор произведения | Egon Christian Leitner |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783990471173 |
Protect the local globally, Schützt überall auf der Welt das Lokale, so, mit dieser Losung der Lebensdemokratiebewegung und mittels Pierre Bourdieu wurde Kohrs Small is beautiful damals an besagtem Abend im Jazzlokal vom Publikum und von meiner tatsächlichen Wenigkeit übersetzt – sozusagen ins Volksbegehren Sozialstaat Österreich.
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Ich bin von den geschätzten Gastgebern des heutigen Abends, wenn ich richtig verstanden habe, auch dazu angehalten, hier in unsrer aller ruhigen Herberge sehr wohl auch Kritisches zu Leopold Kohr von mir zu geben, damit es in der Diskussion lebhaft zu- und rundgeht. Nun:
Kohr sagte von sich, er habe immer versucht, niemanden zu verletzen. Die Folge davon sei gewesen, dass man ihm zugehört habe. Niemanden verletzen zu wollen, damit man überhaupt miteinander reden kann, erklärt vielleicht viele der scheinbaren oder tatsächlichen Widersprüche bei Kohr, der aber offensichtlich wirklich versucht hat, persönliche Freundschaften trotz ideologischer Feindschaft zu knüpfen, zu pflegen und aufrechtzuerhalten. Freilich hat Kohrs permanente Konzilianz und haben seine vielen verschiedensten Freundschaften dem Fluchtmenschen Kohr in der Emigration gewiss und verständlicherweise beim Überleben und Weiterkommen geholfen. Freundschaft war wie gesagt sein Lebens- und Überlebensprinzip.
Was jedoch an Kohr vielleicht als Widersprüchlichkeit tatsächlich irritiert, ist zum Beispiel, dass er von sich sagte, er sei ein Pessimist, zu nichts fähig, nur ein Redner und Schwätzer und alles andere als ein Praktiker und dass die Dinge, auch die, die er vorschlage, aufgrund der Beschaffenheit der Welt und der Menschen nicht gut ausgehen werden. Das wie gesagt irritiert vermutlich. Allerdings kann man es, will mir scheinen, als Provokation und Ironie auffassen. So wie Kohr eben als Ganzen als Provokateur und Ironiker. Ironie bedeutet bekanntlich, dass man das Gegenteil von dem sagt, was man meint. Und eine Provokation kann darin bestehen, dass man das Gegenteil von dem bezweckt, was man sagt.
Was meines Erachtens aber dennoch wehtut an Leopold Kohr, sind Wortmeldungen wie in etwa, dass nichts im Leben wirklich tragisch sei und dass er ja selber schlimmste Armut und schindendeste Arbeit erlebt habe, dabei aber glücklich gewesen sei und geborgen. Solche Kohrschen Sichtweisen vom menschlichen Leben und Leiden wollen, scheint es, nichts davon wissen, was Menschen täglich an Elend und Qual aushalten müssen und wie ihnen die Existenz zerstört wird. Für Kohr selber war freilich wie gesagt sein Lachen seine Überlebenshilfe. Ich persönlich weiß aber nun einmal nicht, ob dieses Kohrsche Lachen mitunter auch grausam und dumm gewesen ist. Ich weiß das einfach nicht. Es steht nicht in Kohrs Büchern.
Um zu helfen, dass Menschen aus dem Elend herauskommen, müssten die die Entscheidungen treffenden Politiker selber in Dreck und Elend gelebt und es überlebt haben. Nur solche Politiker können wirklich helfen, meinte er, wie gesagt. Kohr selber jedenfalls hat immer wieder viel Hilfe erfahren in seinem Leben. Von kleinen, armen Leuten, einer Bäckerfamilie zum Beispiel, und aber auch von vielen Leuten mit großen Namen und viel Geld. Er hat viel Glück gehabt. Otto Habsburg zum Beispiel hat ihm viel geholfen. Habsburg war seines Zeichens aber gewiss kein Politiker, der aus dem Elend und Dreck gekommen ist. Und Kohr konnte, trotz Small ist beautiful, gerade auch dem Ländergebilde der Donaumonarchie viel abgewinnen. Auch ist Kohr Bundespräsident Kurt Waldheim durch dick und dünn beigestanden, möglicherweise aufgrund einer alten Freundschaft Kohrs mit einem ehemaligen österreichischen Außenminister und Freund Waldheims. Und Kohr hat auch einmal absurderweise, aus welchen österreichfreundlichen Gründen auch immer, geäußert, dass in Österreich der Antifaschismus der Widerstandsgruppen über kurz oder lang selber und allein mit Hitler fertiggeworden wäre. Und Kohr hat den völkerrechtlichen Begriff des Genozids juristisch nicht zu verstehen vermocht. Und Kohr hatte als junger Mensch freundschaftliche Verbindungen zur Familie des SA-Führers Röhm. Das alles mag mehr oder weniger Zufall sein und nicht viel zu bedeuten haben, es stößt linke Linke aber sicherlich ab. Wirkt auf linke Linke zumindest erschreckend und unheimlich und vielleicht gar als entlarvend. Andererseits hat gerade Kreisky (heutzutage sicherlich für die meisten heutigen Linken ein linker Linker) zum Zwecke seiner Regierungsübernahme und hat sowieso die SPÖ von Kriegsende an Nazieliten ganz selbstverständlich in die Partei aufgenommen und Ex- beziehungsweise Immer-noch-Nazis in staatliche, ökonomische und gesellschaftliche Machtpositionen gehievt beziehungsweise dort gehalten und dementsprechende rotbraune Eiertänze aufgeführt.
Und auch wenn man meint, dass der Sozialstaat, den wir in hohem Maße heute nach wie vor Kreisky verdanken, etwas völlig anderes sei als das, was Kohr im Sinne hatte, so ist auch dies sicherlich keine ausgemachte Sache. Denn Kohr ist nicht mehr befragbar. Es könnte also sehr leicht sein, dass ausdrücklich der Kreiskysche, autonome, autarke Sozialstaat des neutralen Österreich von Kohr gerade heutzutage als vorbildliches Beispiel für Small is beautiful genannt würde.
Sei dem, wie es sei: Von Kohr weiß man nur, was aus dem Nachlass veröffentlicht wird. Mich wundert beispielsweise, dass es bislang keine veröffentlichten Tagebücher gibt und keine veröffentlichten Briefe. Die beiden Biographien zu Kohr, verfasst von jemandem mit vielen Berufen, unter anderem dem eines Behindertenlehrers, sind zweifellos für jeden Lesenden, jede Lesende interessant und inspirierend, die neuen Übersetzungen der Kohrschriften sind das ebenso. Aber trotzdem: War das seit 1994 schon alles aus dem Nachlass? Kommt da seit 1994 nichts Neues dazu aus dem Nachlass? Der mehr als lobenswerte Kohr-Biograph schafft zwar seit 20 Jahren Ausblicke noch und noch. Und alles, was es an großen Alternativnamen gibt, steht in den beiden Biographien.
Überallhin gibt es seitens Kohrs und seines umtriebigen Biographen Verbindungen oder könnten Kohrs Ideen sinnvoll Verwendung finden. Wahrscheinlich ist es aber kein Zufall, dass eines der wichtigsten Interviews mit Kohr von Günther Nenning geführt wurde, der ein Faible für Erzherzog Johann hatte und von sich selber sagte, er sei ein Rotgrünhalbschwarzer. Das wird nun einmal auch auf Kohr zutreffen. Ein Rotgrünschwarzer. Ob einem das gefällt oder nicht. Wogegen Kohr sicherlich gut war, sind, wie gesagt, Feindschaften, und wofür er gut war, sind Freundschaften. Dass man jedoch gar das Wort Solidarität auch nur ein einziges Mal beim publizierten Kohr findet, bezweifle ich.
Aber man kann Kohr trotz all dem als Maßstab nehmen. Und dieser Maßstab Kohr misst, dass sich die ÖVP spätestens ab 1999, aber wohl auch schon seit 1994/95, in Wirklichkeit niemals an Kohr gehalten hat. Denn sonst wären wir in Österreich nicht in einer solchen Situation wie jetzt. Die ÖVP hat sich übrigens in den letzten 15, 20 Jahren auch nie an den von ihr propagierten Österreicher Karl Popper und dessen offene Gesellschaft gehalten. Denn dann hätte der Neoliberalismus in Österreich keine Chance gehabt, und zwar obwohl Popper bekanntlich kein Linker war. Weder die deklarierten Kohr-Anhänger noch die deklarierten Popperianer haben in den letzten 15, 20 Jahren in Österreich etwas Nennenswertes gegen den Neoliberalismus unternommen. Für die Popperianer gilt das auch weltweit. Zwar auch hat der angeblich finanzgeniale Wohltäter und Stifter George Soros sich stets weltweit auf Popper berufen, aber gehalten hat er sich nicht an Popper. Sondern Soros hat gegen alle wirklichen Regulierungen der Finanzmärkte gerade dann Stellung genommen, wenn es wirklich darauf ankam. Gegen die Börsentransaktionssteuer war Soros z. B. Und der Hedgefondsbetreiber Soros war vor allem stets gegen alles, was Hedgefonds in ihrer Macht eingeschränkt hätte. Schwarz jedenfalls beruft sich seit jeher