Название | Ich zähle jetzt bis drei |
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Автор произведения | Egon Christian Leitner |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783990471173 |
Das Staatswappen der anno dazumal unter anderem auch mit Kohrs Hilfe aufmüpfigen Karibikinsel Anguilla stammt, wie Sie wissen, just von Kohr: drei miteinander im Kreis spielende Delphine, lebhaft wie fliegende Fische. Kohrs Freund Ivan Illich hatte – nebstbei bemerkt – ein Faible für fliegende Fische. Und zwar als Symbol für den nicht tot zu kriegenden Herrn Jesus aus Nazareth. Für Kohr auch so ein Symbol fürs angeblich Unwichtige und Winzige, das aber sehr wohl Gutes und Wichtiges bringe. Kohr sagte von sich, dass er nicht viel bis gar nichts glaube, aber gerne viel bete. Von den Bahai hielt er viel, weil sie ihm viel geholfen hatten, als er ein Flüchtling war. Und er tendierte zum Pazifismus, Präventivkriege waren ihm ein Gräuel. Präventivkriege seien so absurd, als würde jemand einen anderen quicklebendigen Menschen unter dem Vorwand töten, ihm die Last des Sterbens abzunehmen, das denjenigen ja irgendwann einmal schließlich und endlich ohnehin ereilen werde.
Unionen, Großstaaten und Großmächte jedenfalls waren in Kohrs Augen zwangsläufig undemokratisch. Er war davon überzeugt, dass es in der Welt der Großmächte keinen wirklichen Frieden und keine solide Weltordnung geben könne. Großmächte, egal ob aus Ost oder West, Nord oder Süd oder zentral mitten drinnen, waren für Kohr wie gesagt Bösewichte und dem Untergang geweiht. Bis vor kurzem, etwa bis zum Ausbruch der jetzigen Weltwirtschaftskrise samt dazugehörigen Stellvertreterweltkriegen und wahlentscheidenden Flüchtlingsmenschenmassen inmitten von Europa, wollte so etwas kaum jemand hören. Geschweige denn laut denken und öffentlich argumentieren. Was aber nichts zur Sache tut: Kohr ist beautiful. Kohrs Freund Robert Jungk, ebenso beautiful, war allerdings davon überzeugt, dass Kohrs Small is beautiful in der Realität keineswegs immer zutreffe und Kleinheit oft bloß wie ein Gefängnis sei, ein von Alten gebautes, in dem die Jungen einsitzen müssen und nicht fortkönnen. Kohr war nicht zu überzeugen. Freilich habe er, sagte Kohr von sich, zumeist nicht 100%ig, sondern nur zu 85 % recht. Das reiche vollauf. Mit selbiger Wortmeldung, scheint mir, hat Kohr sich freilich selber nicht ans Small is beautiful gehalten, denn ansonsten hätte er ja gesagt, dass ihm nicht 85 %, sondern schon bloß 15 % Rechthaben reichen. Reichten ihm aber nicht.
Kohr redete gern davon, dass der Ursprung und das Urbild des guten Staates, sozusagen der Sinn und Zweck, eigentlich das Wirtshaus sei. Die Herberge. Die Geselligkeit. Sein gesamtes Lebenswerk, all seine Arbeiten handeln, sagte er, immer nur vom Wirtshaus. Er sei in seinem Leben nie über Wirtshaus, Café und Gaststätte hinausgekommen. Einen Staatsroman soll Kohr übrigens auch schreiben haben wollen. Der Titel wäre der Name eines realexistierenden Slums gewesen. Kohr sagte, dass Slums in Wahrheit schön sein könnten, schön sogar wie dazumal Amalfi, Venedig oder Assisi. Wenn man sie nur tun ließe und ihnen Zeit gäbe. Die Isolation und zugleich der Mangel an Autarkie und Autonomie seien das Problem der Slums und der Slumbewohner. Und dass es nun einmal ganz einfach nicht wahr sei, dass die Reichen den Armen helfen, sondern ganz im Gegenteil haben die Armen für die Reichen dazusein und haben die Armen den Reichen zu helfen. So schaue die Realität aus. Die Armen seien um der Reichen willen da. Mehr sei Entwicklungshilfe nicht als Hilfe der Reichen für die Reichen. Um hingegen wirklich zu helfen, dass Menschen aus dem Elend herauskommen, müssten die die lebenswichtigen Entscheidungen treffenden Politiker selber in Dreck und Elend gelebt und es überlebt haben. Nur solche Politiker können helfen, meinte er. Nur solche Politiker verstehen, was los ist, und wissen sich zu erkundigen, was wirklich gebraucht wird.
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Ich mache es mir und Ihnen jetzt zwischendurch einmal leicht, sehr verehrte Damen und Herren: Ich behaupte einfach, der Anarchist, Sozialist und Demokrat Kohr hat sich aus seinem Grab heraus an ÖVP und SPÖ immer wieder gerächt. An der SPÖ dafür, dass sie ihn beständig ignoriert hat. An der ÖVP dafür, dass sie ihn missbräuchlich vereinnahmt hat. An der ÖVP hat Kohr sich dann aber eben 2011 aus dem Grab heraus dadurch gerächt, dass er den Wissenschaftsminister und EU-Kommissar Gio Hahn, welcher über Kohr seine Doktorarbeit geschrieben hat, in den massiven Verdacht geraten ließ, unlauter abgeschrieben und sich auf diese Weise den Doktortitel ergaunert zu haben. Und an der SPÖ hat Kohr sich 2006 aus dem Grab heraus gerächt, indem er die BAWAG und den ÖGB ihr Geld gerade auf derjenigen Karibikinsel verspekulieren hat lassen, die Kohr ein Herzensanliegen gewesen war, nämlich Anguilla.
Und mit dem Dokumentar-Film, den wir heute Abend gesehen haben, mache ich es mir auch einfach, indem ich einfach behaupte, der steirische Regisseur und Produzent Alfred Ninaus mache aus Kohr eine Art zweiten Erzherzog Johann und habe im jetzt soeben gesehenen Kohrfilm aus dem Jahr 2011 genauso wie bei seinem tatsächlichen Erzherzog-Johann-Film aus dem Jahr 2009 vieles Wichtiges weggelassen, gleichsam weil als ob es nicht ins öffentlichkeitswirksame Tourismuskonzept passe: im Falle des steirischen Erzherzogs das ohnehin gern verschwiegene Faktum, dass dieser im Auftrag des Kaisers in der 1848-Revolution als Reichsverweser das Vertrauen der Demokraten in ihn bedenkenlos missbraucht und sämtliche Abmachungen mit ihnen gebrochen und die Bürgerkriege dadurch zum Eskalieren gebracht hat. Der Kunstschaffende Alfred Ninaus jedenfalls lässt in seinen Kunst-beziehungsweise Dokumentarwerken, sei es aus Gründen der Kunst, sei es aus Gründen der Tourismuswerbung, vieles weg, beim Erzherzog wie auch bei Kohr. Das eben, was nicht passt.
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Mit Kohr habe ich persönlich mich zum ersten Mal beschäftigt infolge der Nationalratswahl 1999 sowie infolge des Schüssel-Haider-Paktes, der die ÖVP zur Kanzlerpartei machte und dem Neoliberalismus in Österreich Tür und Tor weit öffnete.
2002, nach vieljähriger Vorbereitungsarbeit unter anderem seitens des Arztes Werner Vogt, des Ökonomen Stephan Schulmeister und der Frauenrechtlerin Ministerin außer Dienst Johanna Dohnal, kam es allen vorangegangenen jahrelangen Widerständen sämtlicher Parteien zum Trotze zum Volksbegehren Sozialstaat Österreich.
In einer Informationsveranstaltung dazu hat damals ein aus Fairnessgründen eingeladener ÖVPler namens Lopatka (das ist bekanntlich derjenige Steirer, der sämtliche Schüsselwahlkämpfe gemanagt hat und zurzeit gewissermaßen von und bei Frank Stronach Nationalratsabgeordnete für den ÖVP-Klub, wie man so sagt, einkauft und damit sukzessive einen fliegenden wahllosen Wechsel zu einer ÖVP-FPÖ-Regierung ermöglicht) – besagter Lopatka sagte im Winter 2001/2002 in einer Diskussion in Graz-Mariatrost: In Österreich habe noch kein Volksbegehren jemals etwas bewirkt, das Sozialstaatsvolksbegehren sei also ein sinnloses Unterfangen. Die angestrebte Sozialstaatsklausel in der Verfassung sei ohnehin bloß eine Leerformel und Worthülse, die in der Realität unanwendbar, nutzlos und totes Recht wäre. Denn auch bei uns hier in Österreich werde