Название | Fehlschuss |
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Автор произведения | Thomas Bornhauser |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783038182740 |
Stephan Moser und Markus Werren wiederum durften auf Spurensuche in Zusammenhang mit dem ausgebrannten Ferrari gehen. Was für ein Umfeld hatte Thomas «TomCat» Kowalski? Vor allem aber: Wer war das zweite Opfer? Nicht bloss die Staatsanwaltschaft wartete auf Erkenntnisse und Antworten – auch die Medienschaffenden.
Joseph Ritter hatte um 09:30 Uhr einen Termin beim Staatsanwalt. Er schätzte Max Knüsel zwar als Menschen, nicht aber unbedingt als Staatsdiener, der mit banalen Fragen wie «Im Moment kumulieren sich die Fälle, nicht wahr? Ritter, haben Sie an dieses gedacht? An jenes?» jeweils mehr an den Nerven zerrte als zur Aufklärung eines Falles beitrug. Nun gut, das war wohl seine Aufgabe. Und an ihm gab es kein Vorbeikommen. Zudem war Knüsel darauf erpicht, dass die Polizei ihre Arbeit klar innerhalb der Legalität verrichtete, was in bestimmten Einzelfällen nicht so ganz einfach zu befolgen war, wollte man an gewisse Fakten oder entscheidende Aussagen herankommen. «Tanz auf dem Vulkan» hiess das nicht nur bei den Leuten von «Leib und Leben,» und alle wussten, dass dieses Vorgehen in Ausnahmefällen Konsequenzen nach sich ziehen konnte.
Deshalb existierte der «Tanz auf dem Vulkan» offiziell nicht, schriftlich schon gar nicht.
Zehn Minuten bevor sich Ritter zum Staatsanwalt aufmachen wollte, kam Stephan Moser mit News vom KTD.
«Steff, mach es nicht so spannend. Was haben die Kollegen herausgefunden?» «Aus den Untersuchungen des IRM geht hervor, dass der Schusskanal, also der Eintritts- und Austrittswinkel des Geschosses …» – in diesem Moment wurde Moser von Regula Wälchli unterbrochen.
«Danke, Stephan, wir wissen, was ein Schusskanal ist …»
«… der Schusskanal darauf schliessen lässt, dass Aufdermauer von der gegenüberliegenden Seite der Marktgasse von hinten erschossen wurde, vermutlich aus dem dritten oder vierten Stock, wahrscheinlich Marktgasse-Nummern zwischen 46 und 52», beendete Moser seine Ausführungen, ohne sich von der Zwischenbemerkung seiner Kollegin beirren zu lassen.
Der KTD identifizierte das Geschoss zudem als «Spezialmunition des US-Herstellers Barnes Inc.», was auf ein neuartiges Hightech-Gewehr schliessen liess.
«Und das heisst?», fragte Regula Wälchli.
Joseph Ritter wusste über diese neue Waffe Bescheid, er hatte kürzlich in einem Fachmagazin darüber gelesen. «Die sogenannte Smart Rifle ist etwas ganz Neues. Gut aufpassen.»
Staunen – einmal mehr – über den Chef.
Die «Smart Rifle AR», ein «intelligentes» Gewehr, war in Zusammenarbeit mit Spezialisten von Kampftruppen und Sondereinheiten entwickelt worden und seit Kurzem in den USA auch legal im Fachhandel erhältlich. Das Besondere an diesem Scharfschützengewehr des Herstellers Trackingpoint aus Austin / Texas: Damit mutierten selbst Laien ohne grosse Ausbildung zu Scharfschützen. Möglich wurde dies durch die elektronische Zielerfassung der Hightech-Waffe, gesteuert über ein integriertes Linux-Betriebssystem. Hatte der Schütze sein Zielobjekt erst einmal erfasst, wie im Fall des Anvisierten in der Marktgasse, fixierte er es per Knopfdruck, womit eine rote Lasermarkierung fest mit dem anvisierten Ziel verbunden war, auch wenn es sich bewegte.
Bei nur leicht geöffnetem Fenster war der Lauf – mit einem speziellen Schalldämpfer versehen – fast nicht zu sehen. Schon gar nicht um 12:12 Uhr, weil die Angestellten aus den gegenüberliegenden Büros und Dienstleistungsbetrieben oberhalb der Modehäuser Wartmann und Ciolina sowie der Credit Suisse bei diesem schönen Wetter praktisch allesamt draussen in der Mittagspause oder mit Privatem beschäftigt waren. Einzig der richtige Augenblick zum Abdrücken musste noch gewählt werden und selbst dabei half das Gewehr seinem Träger: Je näher ein Schütze der Lasermarkierung mit dem Fadenkreuz kam, desto leichter liess sich der Abzug betätigen. Vorausgesetzt, der Schütze hatte sich beim Anvisieren des Ziels nicht täuschen lassen und den Falschen anvisiert.
Ritter nahm Mosers Bemerkung wieder auf: «Marktgasse 46 bis 52? Dort liegt ja auch die Klubschule, an der Marktgasse 46, wo wir zum Zeitpunkt des Mordes sassen, Lüthi, Jenni, Egli und ich.»
«Ganz ruhig, J. R., es kommen ja laut KTD auch die Nummern 48, 50 und 52 in Frage, du solltest keine voreiligen Schlüsse ziehen …», versuchte Wälchli den Boss zu beruhigen.
«Dennoch ergeht an dich und Elias ein neuer Befehl: Bevor ihr im Büro und im Haus Aufdermauer auf Spurensuche geht, checkt ihr mal die dritten und vierten Stockwerke der Häuser 46–52. Überprüft jedes Fenster, respektive erkundigt euch, ob gewisse Zimmer und /oder Räume gestern zur Tatzeit unbesetzt waren.»
Es schien, dass das Duo Wälchli / Brunner die stattliche Anzahl möglicher Fenster, von wo aus möglicherweise geschossen wurde, vor ihrem geistigen Auge sah, jedenfalls wirkten ihre Mienen nicht gerade heiter.
6 So sei es halt.
Der Fall Martin Bigler
Joseph Ritter konnte nicht gerade behaupten, dass sein Besuch bei Staatsanwalt Max Knüsel im Bereich des Smalltalks einzuordnen gewesen wäre. Aufgrund der noch dünnen Beweislage in beiden Fällen – vor allem in Zusammenhang mit dem Ferrari, dessen Ausbrennen schon vier Tage zurücklag – nahm der Druck auf die Ermittlungsbehörden zu. Umso interessanter war das anschliessende Gespräch gegen 11:00 Uhr, im Beisein von Peter Kläy, mit Martin Bigler im Inselspital, der sich vom Schock des Vortages einigermassen erholt hatte und laut den Ärzten jetzt uneingeschränkt vernehmungsfähig war.
Bigler sass an einem Tisch in einem Einzelzimmer, sportlich-lässig gekleidet. Eine Pflegefachfrau war ebenfalls anwesend.
«Der Arzt meinte, ich könne spätestens nach dem Mittagessen nach Hause», sagte er als Erstes zu Ritter und Kläy, noch bevor sie sich richtig die Hand gedrückt hatten.
«Sie wissen, weshalb wir hier sind?»
«Ja, schon, ich denke wegen des Vorfalls von gestern, nicht wahr?»
«Dem ist so. Bevor wir auf Ihre Aussagen eingehen, möchte ich wissen, wer Sie sind. Gestatten Sie, dass ich während unseres Gespräches ein Tonband mitlaufen lasse und Peter Kläy, mein Kollege, sich mit am Gespräch beteiligt?»
Mit «Das wäre wirklich nett» übernahm Kläy die Wortführerschaft. «Übrigens meinte mein Kollege Ritter vorhin ein Aufnahmegerät, kein wirkliches Tonband …»
Nach dieser für ihn nicht gerade schmeichelhaften Feststellung schaute Ritter leicht säuerlich in Richtung Peter Kläy, anschliessend zur Pflegefachfrau hinüber und bedeutete ihr mit einem Kopfnicken, dass sie sich anderen Aufgaben zuwenden könne. Die Krankenschwester verstand den Wink.
«Wenn Sie etwas brauchen, können Sie ganz einfach läuten.»
Martin Bigler war mit dem vorgeschlagenen Prozedere einverstanden.
Zu dritt sassen sie am kleinen Tisch im Zimmer des zehnten Stocks, mit einem Fenster in Richtung Schliern, Spiegel und Gurten, den Berner Hausberg, wobei die Sicht durch tief herunterhängende Wolken heute eingeschränkt war. Joseph Ritter und Peter Kläy sassen Martin Bigler gegenüber, auf dem Tisch stand das kleine Aufnahmegerät.
Mit «Herr Bigler, können wir damit beginnen, dass Sie uns zuerst Ihre privaten Verhältnisse schildern?» begann Ritter die Unterredung.
Martin Bigler war 48 Jahre alt, verheiratet und Vater zweier Töchter. Er war schätzungsweise 190 cm gross, bei vermuteten 85 Kilogramm Körpergewicht, hatte dunkelbraune kurze Haare und trug eine Brille mit schwarzer Fassung, die seinem Gesicht eine gewisse Strenge verlieh. Die Familie wohnte in einem Einfamilienhaus in Säriswil, in der Gemeinde Wohlen, nordwestlich von Bern. Susanne Bigler, 44 Jahre alt, arbeitete Teilzeit im Inselspital als Pflegefachfrau.
«Sie meinen hier in der Insel? Hatte sie gestern Dienst, als Sie eingeliefert wurden?»
Bigler bejahte die Frage von Joseph Ritter.
«Sie war gestern Nachmittag hier, allerdings arbeitet sie auf