Название | Urknall, Weltall und das Leben |
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Автор произведения | Harald Lesch |
Жанр | Математика |
Серия | |
Издательство | Математика |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783831257683 |
1.19 Arno Penzias (rechts) und Robert Wilson (links) vor der 15 Meter großen Hornantenne in New Jersey.
Lesch: In den Folgejahren entwickelte sich ein regelrechter Wettlauf, wer als erster kleinste Abweichungen in der Isotropie der Strahlung nachweisen konnte. Irgendwelche kleinste Abweichungen musste es doch gegeben haben, aus denen später Sterne und Galaxien heranwachsen konnten.
Gaßner: Die ersten Messgeräte wurden mit Ballonen in große Höhen gebracht, um den Einfluss der Erdatmosphäre zu reduzieren. Später wurden eigens Satelliten in die Umlaufbahn geschossen, die tatsächlich Abweichungen in der Temperatur der Kosmischen Hintergrundstrahlung von 5 · 10-5 Kelvin messen konnten. Das Licht aus diesen Richtungen war geringfügig stärker rotverschoben. Diesen zusätzlichen Energieverlust hatten die Photonen beim Verlassen des Gravitationsfeldes einer winzig kleinen Verdichtung erlitten. Eine Schwankung in der Temperatur der Kosmischen Hintergrundstahlung war also gleichbedeutend mit einer Dichteschwankung im frühen Universum. Die Saatkörner der Galaxien waren gefunden. Beim Thema „Strukturbildung“ werden wir genauer auf diesen Zusammenhang eingehen.
Lesch: Für derartige Präzisionsmessungen mussten die Aufnahmen natürlich um jede potentielle Störquelle bereinigt werden, d. h. alle bekannten Quellen für Mikrowellenstrahlung wurden ermittelt und abgezogen. Selbst unsere Bahnbewegung um die Sonne und deren Rotation in der Milchstraße wurden herausgerechnet, weil sie ebenfalls zu Rot- und Blauverschiebungen des Spektrums führen.
Gaßner: Das Ergebnis hat eine neue Ära der Kosmologie eingeläutet: die Präzisionskosmologie. Stephen Hawking hat die Messung der Temperaturabweichungen in der Hintergrundstrahlung in einem Interview mit der London Times als „größte Entdeckung des Jahrhunderts, wenn nicht sogar aller Zeiten“ tituliert. Entsprechend war auch dafür ein Nobelpreis fällig: 2006 an George Smoot und John Mather.
Lesch: Einschneidende Entdeckungen dieser Art sind allerdings in letzter Zeit eher rar geworden. Je weiter sich die Gegenstände der modernen Forschung von unserer anschaulichen makroskopischen Welt entfernen, umso schwerer fällt es uns, entsprechende Experimente zu entwickeln, d. h. geeignete Fragen an die Natur zur Überprüfung der Theorien zu stellen.
Gaßner: Denk nur an den verzweifelten Versuch, in einem 27 km langen unterirdischen Ring aus supraleitenden Magneten, die konstant nahe dem absoluten Temperatur-Nullpunkt gehalten werden müssen, die Winzigkeiten zweier Protonen wohldefiniert zur Kollision zu bringen. Ihre Energie beträgt dabei jeweils 7 TeV (Tera-Elektronenvolt), oder etwas anschaulicher: Pro Sekunde machen sie 11.000-mal die Runde. Das entspricht 99,9999991 Prozent der Lichtgeschwindigkeit, d. h. wir liegen nur noch 10 km/h darunter.
Lesch: Du sprichst vom Large Hadron Collider (LHC), dem gewaltigen Aufbäumen der Experimentalphysiker, die notwendigen Energien bereitzustellen, um noch einmal einen Vorhang zur Seite zu schieben und einen Blick auf das Reich des Allerkleinsten zu erhaschen. Noch einmal will man einen Schritt näher an den Urknall heranrücken.
1.20 Der 27 km lange, unterirdische Large Hadron Collider (LHC) in der Schweiz und Frankreich.
Gaßner: Wir haben in den Gewächshäusern der theoretischen Physik unter künstlichen Bedingungen eine Vielzahl exotischer Pflanzen herangezogen. Nur gelingt es uns nicht mehr, sie vor die Tür zu stellen und unter natürlichen Bedingungen zu erproben. Der naturwissenschaftliche Evolutionsmechanismus ist an dieser Stelle ins Stocken geraten und unser Gewächshaus droht aus allen Nähten zu platzen.
Lesch: Nach 13,8 Milliarden Jahren Entwicklungsgeschichte können wir aber auf eine Sache getrost vertrauen: Die Evolution wird einen Weg finden, so wie sie es schon immer getan hat.
Gaßner: Es wird wirklich immer schwieriger, neue Theorien zu etablieren. Wie du gesagt hast – sie müssen die aktuellen Beobachtungsdaten ebenso beinhalten wie die, die wir schon vorher erklären konnten. Das ist in etwa so wie Mikado spielen. Du willst etwas an diesem Gebilde verändern, aber es darf sich möglichst wenig bewegen. Das ist genau das Dilemma.
1.21: Isaac Newton (1643 - 1727)
Lesch: Es gibt diesen wunderbaren Satz: „Wir sind Zwerge auf den Schultern von Riesen.“
Gaßner: Isaac Newton.
Lesch: Die Wissenschaft selbst wird ja immer umfangreicher. Praktisch an jedem Tag, an dem immer mehr Menschen Wissenschaft betreiben, kommen auch immer mehr Informationen zusammen.
In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass es jede Menge – wie soll man sagen – engagierte „Privatmenschen“ gibt, die also nicht in Forschungsinstitutionen arbeiten. Die meinen, sie könnten mit einem ganz neuen Ansatz ganz andere Vorstellungen über das Universum entwickeln. Ich erlebe immer wieder, dass so ein „epochaler Weltentwurf“ an eine Universitätssternwarte geschickt wird, in 10-Punkt-Schrift ohne Absatz, Punkt und Komma. Da wird erst mal grundsätzlich aufgeräumt, mit diesen ganzen Missverständnissen über die Quantenmechanik, über die Allgemeine Relativitätstheorie. Daran sieht man natürlich auch das Problem. Es wird immer schwieriger für jemanden, der neu auf dieses Feld trifft, überhaupt zu überblicken, was es schon alles an Information gibt. Ich vergleiche das gerne – ich weiß gar nicht, wie der Film heißt, in dem Sean Connery und Catherine Zeta Jones einen Einbruch in ein Museum planen. Dazu muss sie für einen akrobatischen Körpereinsatz trainiert werden.
Gaßner: „Verlockende Falle“ heißt der Film.
Lesch: Seit wann gehst du denn ins Kino? Sie, die Catherine, muss also tausende von Lichtschranken überwinden, ein unglaublicher Tanz! Das gilt auch für die Astrophysik: Früher gab es praktisch nur eine Lichtschranke oder gar keine. Heute gibt es so viele Lichtschranken, dass man sich unglaublich verbiegen muss, um Theorien zu entwickeln, die alle möglichen Bedingungen gleichzeitig erfüllen. Ganz schwierig.
Gaßner: Lieber Harald, darf ich dich an dieser Stelle wieder einfangen, bevor wir völlig abschweifen? „Urknall, Weltall und das Leben“ ist die Marschroute.
Lesch: Ja, du hast natürlich recht – nur, das musste doch mal gesagt werden.
Also los: Der Urknall.
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