Название | Tod auf der Trauminsel |
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Автор произведения | Thomas Bornhauser |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783038182788 |
«In einem Mediencommuniqué teilt DBD Suisse SA Thun mit, dass Véronique von Greifenbach, CEO von DBD Suisse SA, während eines Ferienaufenthaltes leblos aufgefunden wurde. Verwaltungsrat und Geschäftsleitung von DBD Suisse SA zeigen sich ob dem Ableben von Frau von Greifenbach bestürzt.»
Meldung in verschiedenen elektronischen Medien am Samstag, 4. Juli.
Zwei Wochen zuvor
Das Angebot aus den USA am 19. Juni kam für Véronique von Greifenbach völlig überraschend. Zwar war es nicht ungewöhnlich, dass sie von der Konzernzentrale in Palo Alto angerufen wurde. Doch dieses Mal wurde sie völlig überrumpelt, und dies nicht etwa, weil sie sprachlich nicht auf der Höhe gewesen wäre. Englisch beherrschte sie perfekt, auch dank eines früheren Sprachaufenthaltes in den USA. Überrascht war von Greifenbach erstens, weil Consumer’s-Best-Konzernchef Jonathan B. Crooks persönlich am Apparat war – und überdies ohne Zwischenverbindung über seine Sekretärin –, zum Zweiten, weil er nach einigen Höflichkeitssätzen geradewegs auf den Punkt kam. Es war 9.10 Uhr, in Kalifornien also knapp nach Mitternacht. Véronique von Greifenbach indes, routiniert und gewandt genug, liess sich ihre Verwunderung nicht anmerken.
«Véronique», sagte Crooks mit ernsthafter Stimme, «Eduard muss die Verantwortung für unser Europageschäft definitiv abgeben, weshalb wir auf der Suche nach einem Nachfolger sind.»
«Hat sich sein Gesundheitszustand noch immer nicht gebessert?»
«Leider nein. Er hat mich gestern angerufen, nach der letzten Untersuchung durch die Spezialisten. Sie machen ihm keine Hoffnungen, weshalb er sich so schnell als möglich aus dem Berufsleben zurückziehen will, um die Zeit, die ihm noch verbleibt, mit seiner Familie verbringen zu können. Und deshalb …» Crooks legte nach diesen Worten eine kleine Pause ein.
«… und deshalb?»
«Véronique, es ist wichtig, dass die Führung des Europageschäftes gewährleistet bleibt. Mit dem heutigen Management ist das für ein paar Wochen kein Problem, aber spätestens zum zweiten Semester hin will ich jemanden, der die Zügel fest im Griff hält. Ich habe dabei an Sie gedacht.»
«Jonathan, ich werde dieses Jahr 60!»
«Das weiss ich sehr wohl, meine Liebe, obwohl man Ihnen das weder ansieht noch anmerkt», entgegnete Crooks lächelnd, «aber ich bin ganz ehrlich mit Ihnen: Es geht auch nicht um einen Posten für die nächsten zehn Jahre.»
Véronique von Greifenbach schien immer noch nicht zu begreifen, worauf Crooks genau hinauswollte.
«Ich habe jemanden für den Job im Auge, aber der Mann ist noch zu wenig lange bei uns. Ein, zwei Jahre braucht er noch, bis er unser gesamtes Räderwerk versteht, ich will ihn anständig an die Aufgabe heranführen, anschliessend kommt ungefähr ein Jahr Einführung in Hamburg dazu. Wie komplex das Europageschäft ist, muss ich Ihnen ja nicht erst erklären.»
«Also wird er sozusagen rechtzeitig zu meiner vorzeitigen Pensionierung auf der Kommandobrücke stehen.»
In den «Tanzenden Türmen» in Hamburg hätte Véronique von Greifenbach ein neues Büro vorgefunden.
«Ich wusste, dass Sie meine Absichten sofort durchschauen. Danke, dass Sie mitmachen.»
«One moment, my dear! Sit down, lay back, relax and hold on your shoes. Ich habe Ihnen überhaupt noch nicht geantwortet. Gar nichts habe ich gesagt. Von einer Zusage bin ich ungefähr so weit entfernt wie Palo Alto von Thun!»
«Aber Sie machen mit, nicht wahr? Sie werden mich doch nicht enttäuschen …» «Jonathan …», begann Véronique von Greifenbach und musste unvermittelt lachen. Ihr Blick schweifte von ihrem Büro im 7. Stock auf dem Selve-Areal in Thun aus Richtung Eiger, Mönch und Jungfrau – eine Aussicht, die sie unter gar keinen Umständen mit der Sicht auf den Hamburger Hafen zu tauschen gedachte. «Sie legen mir Wörter zurecht», fuhr sie fort, «die ich nicht ausgesprochen habe.»
Jonathan B. Crooks wusste nur zu gut, dass er nun zu allgemeineren Themen übergehen musste, um nicht von seiner gestrengen Schweizer Managerin in den Senkel gestellt und frühzeitig enttäuscht zu werden. In den nächsten fünf Minuten ging es deshalb um Grundsätzliches, um ein vorsichtiges Abtasten.
«Sie müssen Thun als Arbeitsort nicht aufgeben, obwohl die Aussicht von den ‹Tanzenden Türmen› auf den Michel, die Speicherstadt und die Elbphilharmonie auch nicht zu verachten ist. Ich denke, dass in dieser Situation zwei Tage pro Woche in Hamburg ausreichen, um das Europageschäft zu führen. Von Thun aus können Sie ja auch online Einfluss nehmen. Und sollten Sie zusagen, hätte ich ein interessantes Angebot.»
«Nämlich?»
«Selbstverständlich behalten Sie die Führung des Schweizer Geschäfts, bis zu Ihrer selber zu bestimmenden Pensionierung. Zudem würden Sie Einsitz in den Verwaltungsrat in Palo Alto nehmen.»
«Das tönt in der Tat verlockend. Danke, Jonathan, für dieses Vertrauen.»
«Darf ich das als Zusage betrachten?»
«Nein, Jonathan, das dürfen Sie nicht, so schnell geht das nicht. Ich möchte zuerst mit Philippe darüber sprechen.»
«Ja, selbstverständlich, tun Sie das.»
«Wie lange habe ich Bedenkzeit?»
«Véronique, reicht der 10. Juli? Sollten Sie mein Angebot ablehnen, wäre ich jedoch um eine sofortige Mitteilung dankbar. 10. Juli als Deadline, ist das für Sie in Ordnung?»
«Ja, das scheint mir fair. Ich halte mich an Ihre Vorgaben. Danke, Jonathan. Und jetzt: Sleep well.»
«Und Ihnen wünsche ich einen schönen Tag, Véronique.»
Véronique von Greifenbach strich sich entspannt die langen hellbraunen, leicht gewellten Haare aus dem schmalen, schönen Gesicht. Sie war nicht unglücklich darüber, dass der Freitag als «office day» in ihrem Terminkalender eingetragen war, was nichts anderes hiess, als dass fest anberaumte Sitzungen heute tabu waren. Und obwohl sie diese als Leiterin aller terminierten Sitzungen fest im Griff hatte, ärgerte sie sich insgeheim regelmässig darüber, dass solche Treffen nur selten zu ihrer vollen Zufriedenheit zu Ende gingen, weil der eine oder die andere – die Geschäftsleitung von DBD Suisse umfasste nur sieben Mitglieder, vier davon waren Frauen – von Zeit zu Zeit nicht immer das Unternehmen als Ganzes im Auge hatte, sondern in erster Linie das eigene Departement. Allerdings wusste sie auch, dass diese nur selten offen ausgetragenen Konflikte durchaus positive Auswirkungen auf DBD haben konnten, weil sich daraufhin vielfach Optimierungsmöglichkeiten ergaben. Wie auch immer: Dank ihrer Erfahrung durchschaute sie solche Manöver relativ rasch, mit einem nicht zur Schau getragenen inneren Lächeln, und beendete die Diskussion jeweils souverän mit dem Standardsatz «Ich danke euch beiden, dass ihr diese Herausforderung bilateral angeht».
Kurz nach dem Gespräch mit Jonathan B. Crooks liess sie ihren Generalsekretär, Wolfgang Uebersax, zu sich kommen, um einige Pendenzen zu bereden. Uebersax, 55 Jahre alt, hatte seine ganze berufliche Laufbahn bei DBD verbracht, seit seiner kaufmännischen Ausbildung 1977. Vor fünf Jahren wurde er zum Generalsekretär ernannt. Uebersax war geschieden und lebte allein in einer Eigentumswohnung oberhalb von Oberhofen am Thunersee, mit atemberaubendem Blick auf See und Berge.
«Ist alles klar mit dir, Véronique? Du machst einen etwas zerstreuten Eindruck auf mich», sagte Uebersax, als er seiner Chefin wie üblich einen schwarzen Kaffee – nicht zu heiss – auf den Tisch stellte.
«Ja, danke, alles im grünen Bereich. Wolf, ich möchte noch das eine oder andere mit dir besprechen. Vor allem würde mich interessieren, was an den Gerüchten dran ist, wonach ein grosser Konkurrent Pläne in der Region Kloten haben soll. Du weisst schon.»
«Ich kenne dort per Zufall den Stadtpräsidenten vom Militär her, habe ihn kürzlich getroffen, mehr, als in den Zeitungen steht, war aus ihm nicht herauszubekommen. Es ist ja von einem riesigen Supermarkt