Das Erbe von Tench'alin. Klaus D. Biedermann

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Название Das Erbe von Tench'alin
Автор произведения Klaus D. Biedermann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783937883830



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hat. Der Baum atmet ein, was wir ausatmen, wir atmen ein, was der Baum ausatmet. Wir und die Bäume haben dasselbe Schicksal. Wir leben alle auf dieser Erde. Und wenn die Erde, das Wasser, die Atmosphäre verschmutzt werden, dann wird das Folgen haben, Mutter Erde wird reagieren. Die Hopi-Prophezeiung sagt, dass Fluten und Stürme schlimmer werden. Für mich ist es nichts Negatives zu wissen, dass es Veränderungen geben wird. Das ist nicht negativ, es ist Evolution.

      Wenn du es als Evolution betrachtest, ist es Zeit. Nichts bleibt, wie es ist.

      Ihr solltet lernen zu pflanzen. Das ist die erste Verbindung.

      Ihr solltet alle Dinge als beseelt behandeln und verstehen, dass wir eine Familie sind. Das geht nie zu Ende. Das ist wie das Leben. Es gibt kein Ende des Lebens.«

      (Hopi-Ältester Floyd Red Crow, 2007)

      Kapitel 1

      Marenko Barak liebte Fisch ‒ keinen gegrillten, keinen gekochten, sondern rohen Fisch. Seitdem er vor ein paar Jahren bei einem Besuch in Suizei zum ersten Mal in seinem Leben Sushi gekostet hatte.

      Eine entfernte Verwandte hatte dorthin geheiratet und der Bürgermeister von Verinot, der für seine Neugierde bekannt war, hatte die Reise gerne auf sich genommen, um nach dem Rechten zu schauen, wie er im Kreise seiner Freunde kundgetan hatte.

      Seine Frau Sara hatte ihn nicht begleiten wollen. Vor der Abfahrt hatte sie noch zu ihm gesagt: »Du kennst Isabel doch kaum. Du hast sie nur zweimal gesehen, als sie noch ein Kind war, und jetzt musst du unbedingt dorthin? Du willst dir wirklich diese lange Reise antun? Dir ist nicht mehr zu helfen …«

      Und hatte noch mit einem Lächeln hinzugefügt: »Du Neugiernase.« Sie wusste genau, dass sie ihren Mann nicht aufhalten konnte, und in diesem Fall passte es ihr auch gut, denn so würde sie Zeit haben, die Inneneinrichtung des Hauses umzugestalten, ohne dass er ihr ständig hineinredete. Ihre Geschmäcker waren in dieser Beziehung sehr verschieden.

      Sie hatte kürzlich in einem Möbelgeschäft eine Couchgarnitur entdeckt, die es ihr auf den ersten Blick angetan hatte.

      Die sollte es sein, hellbraun und aus weichstem Maroquinleder, einer Ziegenart aus den südlichen Steppengebieten.

      Außerdem waren gerade wieder bunte Tapeten angesagt. Alle zwei bis drei Jahre renovierte, strich, kaufte oder stellte sie Möbel um ‒ immer dann, wenn Marenko auf Reisen war. Der beschwerte sich zwar bei seiner Rückkehr, weil er angeblich seine Sachen nicht wiederfand, freundete sich aber nach einiger Zeit mit den neuen Umständen an und schließlich lobte er sogar den Ideenreichtum seiner Frau. Sara zweifelte nicht einen Moment, dass es diesmal genauso sein würde.

      Suizei mit seinen weit mehr als 100.000 Einwohnern wurde fast ausschließlich von den Nachkommen der Menschen aus dem ehemaligen Japan, China und Korea bevölkert. Sie hatten ihrer Stadt, die nur ein kurzes Stück vom Meer entfernt lag, einen kaiserlichen Namen gegeben. Kamu Nunagawamimi no Mikoto hatte Japan in der Zeit von 581–549 v. Chr. regiert. Der zusätzliche Name Suizei war ihm posthum verliehen worden.

      Die Existenz dieses Kaisers wurde zwar von vielen Seiten bezweifelt, aber vielleicht wurde die Stadt gerade aus diesem Grunde nach ihm benannt.

      Die Menschen hier pflegten sehr genau die alten Traditionen ihrer Vorfahren und so heiratete man normalerweise auch keine Fremden. Isabel war eine der wenigen Ausnahmen. Sie war sehr herzlich in der Familie aufgenommen worden, sicherlich auch, weil sie sich gründlich auf die Sitten und Bräuche der Gemeinschaft ihres künftigen Ehemannes vorbereitet hatte. Deren Wurzeln reichten zurück bis zum Volk der Ainu, die bereits im Altertum die nördlichen Gebiete der japanischen Hauptinsel Honshu besiedelt hatten. Dieses nordostasiatische Urvolk hatte sich mit dem bereits dort lebenden Urvolk vermischt und daraus war dann die spätere japanische Rasse entstanden. In Harukis Familie war man stolz auf seine Geschichte.

      Das junge Paar hatte sich vor zwei Jahren durch einen glücklichen Zufall kennengelernt. Nach dem Studium war Isabel ein halbes Jahr lang mit dem Rucksack durch den Süden gereist. Sie wollte, bevor sie ihre Stelle als Lehrerin antrat, Land und Leute kennenlernen. Eines Morgens hatte sie in aller Frühe eine berühmte Tempelanlage besichtigt. Vor dem Betreten musste man seine Schuhe neben dem Eingangstor abstellen. Ein paar Männerschuhe, die bereits dort standen, hatten ihr signalisiert, dass sie an diesem frühen Morgen nicht die erste Touristin war. So lernte sie Haruki kennen. Schon drei Monate später war sie zu ihm nach Suizei gezogen.

      Isabel hatte sich sehr über den Besuch aus der Heimat gefreut und ihren Gast stolz durch das geräumige Haus geführt, das die Familie ihres Ehemannes in nur einem halben Jahr in altem japanischen Stil für das junge Paar errichtet hatte.

      Das einzig Moderne war eine Solaranlage.

      »Komm, Onkel, ich zeige dir jetzt noch den Garten, dort können wir uns vor dem Essen noch ein wenig die Beine vertreten. Das tut dir sicher gut nach der langen Fahrt.«

      »Gerne, liebe Isabel, zeige mir nur alles. Deswegen bin ich ja schließlich gekommen.«

      »Das ist ein Zengarten«, hatte Isabel erklärt, »ich weiß nicht, ob du schon mal einen gesehen hast. Bei uns zu Hause gibt es so etwas ja nicht.«

      Marenko hatte verneinend den Kopf geschüttelt und war bereits staunend in der Betrachtung dieses seltsamen Gartens versunken gewesen.

      »Solche Gärten sind bis ins letzte Detail geplant. Um sie vollends zu verstehen, ist es nötig, sie richtig lesen zu lernen, und das ist eine Wissenschaft für sich. Harukis Onkel Akira ist ein sehr berühmter Gartenbauer. Der Name bedeutet übrigens der Strahlende.«

      »Akira, so hieß, glaube ich, der Adler von Jared Swensson, dem Farmer aus Winsget. Wahrscheinlich kennst du ihn.«

      »Den Adler?«, hatte Isabel gelacht.

      »Nein, Jared natürlich«, hatte Marenko das Lachen erwidert.

      »Wer kennt Raitjenland nicht? Aber dass er mal einen Adler hatte, wusste ich gar nicht.«

      »Da warst du auch noch nicht auf der Welt, Isabel.«

      »Das Anlegen dieses Gartens – du wirst gleich sehen, wie groß er ist – hat dreimal so lange gedauert wie der Bau unseres Hauses. Für Liebhaber sind ihre Gärten viel wertvoller als ihr Haus, na ja, und mein Mann liebt seinen Garten sehr.«

      »Ich hoffe, er liebt ihn nicht mehr als dich«, hatte Marenko gelacht und seiner Nichte zugezwinkert, um sich anschließend mit einem großen Taschentuch Schweißperlen von der Stirn zu wischen.

      »Nein, Onkel, da kannst du ganz beruhigt sein, ich habe den besten Mann der Welt … aber komm weiter, es gibt viel zu sehen. Ich hoffe, es ist nicht zu anstrengend für dich?«

      »Es geht schon, es geht schon, mach nur weiter, es ist alles sehr interessant bei euch.«

      »Ein Zengarten ist so angelegt, dass Besucher ganz entspannt viele Entdeckungen machen können. Schau einmal hier.«

      Isabel hatte mit einem Arm in eine Richtung gedeutet und ihre Erklärung fortgesetzt. Es hatte ihr sichtlich Vergnügen bereitet, ihrem Onkel ihr Wissen zu demonstrieren.

      »Meistens führt ein Blick aus einer anderen Perspektive zu einem ganz neuen Eindruck. Das wird durch eine asymmetrische Anordnung erreicht. Wie du bald bemerken wirst, sind auch unebene Wege sehr beliebt. Das soll es für den Besucher noch interessanter machen, durch den Garten zu gehen. Gerade Wege wie dieser, auf dem wir stehen, werden nur angelegt, um den Blick in eine bestimmte Richtung zu lenken. Statt herumzuschlendern, kann man sich an einer Stelle niederlassen, den Garten betrachten und auf sich wirken lassen. Daher die kleinen Bänke hin und wieder. So wird die Fantasie auf eine wundervolle Weise angeregt. Onkel, schau, du kannst in die verschiedenen Elemente dieses Gartens viel hineininterpretieren.

      Egal ob du sie einzeln oder als Kombination betrachtest.

      Trotz der genauen Planung eines solchen Gartens gibt es aber keine strenge Vorgabe bei der Deutung. Komm, lass uns ein wenig ausruhen, hier ist einer meiner Lieblingsplätze.«

      Sie