Название | Liebe, Wissenschaft und die Wiederverzauberung der Welt |
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Автор произведения | Jeremy W. Hayward |
Жанр | Сделай Сам |
Серия | |
Издательство | Сделай Сам |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783867812443 |
Die zweite Möglichkeit des Zugangs zur lebendigen Welt besteht darin, Dir die in der Schule anerzogenen und von der Gesellschaft übernommenen Grundannahmen über Deine Welt einmal wirklich anzusehen. Sie bilden die Geschichte, die ich eben erzählt habe. Untersuche sie, befrage sie, öffne Dich anderen Möglichkeiten.
Dann kannst Du die beiden Wege verbinden – die aus dem Hinterfragen gewonnenen Einsichten mit der vertieften Kenntnisnahme Deiner Konditionierung, die Dir aus dem meditativen Sitzen erwächst. Durch diese »Ausbildung« Deines tieferen Fühlens und Bewußtseins wirst Du mehr und mehr in einer neuen Welt leben. In ihrer Verbindung sind die meditative Praxis und das Erforschen Deiner tiefen Konditionierung wie zwei Flügel, die Dich über die tote Welt hinaus und in die lebendige Welt tragen.
In den folgenden Briefen werde ich von dem sprechen, was die Wissenschaftler wissen – und nicht wissen. Das wird Dir Deine Konditionierungen vor Augen führen. Ich will Dir auch zeigen, daß in den Fakten und Theorien der Wissenschaftler nichts ist, was gegen die Existenz der lebendigen Welt spricht. Die Wissenschaft könnte Dich ebensogut von der lebendigen wie von der toten Welt überzeugen – wenn die Wissenschaftler diesen Weg eingeschlagen hätten. Zudem spricht vieles von dem, was die Wissenschaftler heute herausfinden, eher für die lebendige als für die tote Welt. Trotzdem wirst Du nicht viele Wissenschaftler finden, die das auch zu sagen bereit wären. Immerhin, ein paar Mutige gibt es, wie wir noch sehen werden.
Ich werde beim Schreiben dieser Briefe sehr klar auseinanderzuhalten versuchen, was die tote und was die lebendige, die verzauberte Welt ist. Manchmal wirst Du das Gefühl bekommen, alles sei so vollkommen klar, daß wir einfach den Schritt in die lebendige Welt tun können, ein für allemal. Aber die beiden Welten sind in unserem Leben schrecklich vermengt. Wir können nicht einfach die eine Welt hinter uns lassen und dann nur noch in der anderen sein, so sehr wir uns auch danach sehnen mögen. Wir müssen die tote Welt vor Augen behalten und den Sprung in die lebendige Welt immer wieder tun. Manchmal steht uns die lebendige Welt plötzlich vor Augen, und dann können wir uns diesem Augenblick überlassen. Aber dieser Einblick verschließt sich uns wieder, und dann gilt es zu springen, den Sprung in die lebendige Welt zu tun. Das ist unser Weg. Um ihn gehen zu können, müssen wir üben und wieder üben.
4. Brief
Wie unsere Welt entzaubert wurde
Liebe Vanessa,
heute möchte ich darüber schreiben, wie es dazu kam, daß wir die verzauberte Welt vergessen haben. Ich hoffe, es macht Dir nichts aus, wenn wir dabei auch ein bißchen die Geschichte durchgehen müssen. Eigentlich ist gerade das Historische ein großer und wichtiger Teil der Sache, aber ich kann hier natürlich nur ein paar Hauptpunkte hervorheben; es hängt aber viel davon ab, daß man diesen Teil versteht, und ich hoffe, ich strapaziere Dich nicht zu sehr. Es kann sehr aufschlußreich sein sich zu fragen, warum man etwas glaubt.
Hast Du mal erlebt, daß Du jemanden überhaupt nicht mochtest? Du magst sie nicht und dabei bleibst Du; Du machst immer wieder abfällige Bemerkungen über sie bei Deinen Freunden, bis Dir eines Tages jemand erzählt, wie nett sie eigentlich ist. Jetzt überlegst Du: »Hm, was hab ich eigentlich gegen sie?« Doch es fällt Dir nicht mehr ein. Du durchstöberst die Vergangenheit und versuchst Dich zu erinnern, bis Dir endlich etwas einfällt; staunend nimmst Du wahr, was für eine belanglose und alberne Sache das eigentlich war, und daß Du eigentlich gar nichts gegen sie hast. Jetzt bist Du erleichtert, daß Du dieses Gefühl nicht mehr mit Dir herumtragen mußt. So, und mit den Überzeugungen der Wissenschaft ist es ganz ähnlich. Wenn Dir klar wird, warum Du etwas glaubst, wirst Du vielleicht zu dem Schluß kommen, daß Du es nicht länger glauben mußt – ganz so, wie Du diesen Menschen nicht mehr ablehnen mußt.
• Im sechzehnten Jahrhundert verdichteten sich die Ereignisse zu dem, was wir jetzt naturwissenschaftliche Revolution nennen und was zum modernen »aufgeklärten« Weltbild geführt hat. Eine der aus dieser Revolution hervorgegangenen Ideen wirkt sich auf unser heutiges Leben besonders negativ aus, nämlich der Gedanke, daß es im Universum keinen Geist gibt – abgesehen vom individuellen kleinen Geist in unserem Kopf. An dieser Idee halten Wissenschaftler besonders entschieden und mit geradezu religiösem Eifer fest. Sehen wir uns also an, wie es dazu kam, wie die Welt Schritt für Schritt ihres Geistes und ihres Lebens beraubt wurde. Dann gewinnen wir vielleicht die Freiheit zu sehen, daß das Universum genausogut von Geist – in der Form von Bewußtheit, Fühlen und natürlich auch Denken – erfüllt sein könnte, und daß dies durchaus keine primitive Phantasie ist.
Im vorigen Brief habe ich über das mittelalterliche Europa und die Ähnlichkeit seines Weltbilds mit dem anderer Kulturen geschrieben. Ich habe Dir von der alchimistischen Vorstellung des teilnehmenden Bewußtseins und der Sympathie-Resonanz erzählt, »wie oben so auch unten«.
Während des gesamten Mittelalters lebten die Menschen in einem Kosmos, dessen unbewegte Mitte die Erde bildete. Um das Jahr 1250 war Thomas von Aquin eine brillante Synthese der Kirchendogmen und der (erst kurz zuvor wiederentdeckten) altgriechischen Theorien über die Natur und die Bewegungen der Sterne und Planeten gelungen. Es hatte viel Streit gegeben um die Frage, ob diese antiken Theorien dem Kirchendogma widersprachen; Thomas konnte den Streit mit seiner Darstellung schlichten, und so blieb sie jahrhundertelang gültig.
Stell Dir diese geozentrische Welt einmal so lebhaft wie möglich vor, Vanessa: Wie und wodurch konnten die Himmelskörper sich um eine feststehende Erde bewegen und die Planeten jede Nacht an einer anderen Stelle am Himmel erscheinen? Nach der Darstellung Thomas von Aquins bewegten sich die fünf sichtbaren Planeten, die Sonne, der Mond und die Sterne, alle vollkommen und makellos, in acht unsichtbaren Sphären um die Erde. Darüber gab es noch eine neunte Sphäre, die den übrigen ihre tägliche Bewegung um die Erde vorgab. Dieses Sphärensystem – mit einigen Komplikationen, auf die wir hier nicht eingehen wollen – konnte die Bewegungen der Planeten am Nachthimmel erklären. Schließlich gab es noch eine zehnte Sphäre, nämlich die des Schöpfergottes.
Dieses Sphärenmodell vereinigte auf befriedigende Weise die spirituellen Sehnsüchte des Menschen mit der Natur des stofflichen Universums. Die Reise der Seele von der Erde aus konnte man sich als eine von Engeln geführte Reise der Seele durch die Himmelssphären bis hinauf zur zehnten Sphäre denken, wo der Schöpfer sie erwartete. Und zugleich war auch erklärt, wie die Gestirne sich um die Erde bewegten: Für die Bewegung der Sphären waren machtvolle Engel zuständig.
Betrachten wir einmal, wie die Welt des Mittelalters zerfiel und die Welt entstand, an die wir glauben und die wir deshalb erfahren. Ich richte mein Augenmerk vor allem auf die Rolle der Wissenschaft, aber Du darfst nicht vergessen, daß die Entstehung der modernen Welt eine sehr komplexe Geschichte ist, an der viele Faktoren beteiligt waren.
Im Sommer des Jahres 1347 wurde durch ein vom Schwarzen Meer kommendes Handelsschiff eine furchtbare Krankheit nach Europa eingeschleppt, der Schwarze Tod, die Pest. In weniger als zwanzig Jahren wurde die Hälfte der Bevölkerung Europas vom Schwarzen Tod dahingerafft. Weite Landstriche verödeten, und eine Zeit des Optimismus und des wachsenden materiellen Wohlstands fand ein plötzliches katastrophales Ende. Die Menschen waren zutiefst verunsichert und verängstigt. Sie fühlten sich mehr denn je auf Gedeih und Verderb der Natur ausgeliefert.
Nach dem Schwarzen Tod wurde Europa von einer fast krankhaften Angst beherrscht, und gleichzeitig entstand auch ein neues Bewußtsein vom Wert des Individuums. Die Kirche spürte das Schwinden ihrer Macht und griff zu immer brutaleren Mitteln, um das Heft weiterhin in der Hand zu halten. In dieser Zeit und bis weit ins achtzehnte Jahrhundert hinein wurden über eine Million Menschen (manche Schätzungen gehen von bis zu fünf Millionen aus) als Hexen und Hexer hingerichtet.