Zusammen aufwachen. Wilfried Reuter

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Название Zusammen aufwachen
Автор произведения Wilfried Reuter
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783942085335



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lautet die Antwort: »Ich bin unsicher.« Oder: »Ich möchte jemandem gefallen.« Oder: »Ich habe Angst davor, dass die anderen Gäste mich nicht mögen könnten.« Oder: »Ich muss aufpassen, dass niemand bemerkt, wie ungebildet ich bin.« Möglicherweise weisen dich die Antworten auch auf bestimmte bewertende Gedankenmuster hin: »Ich bin langweilig.« – »Die anderen sind geistreicher als ich.«– »Ich bin unfähig, in die Offensive zu gehen.« Die nächste Fragen lautet: »Welche tiefere Sehnsucht liegt all dem zugrunde?« Wenn du genau in dich hineinhorchst, wirst du feststellen: Es ist immer die Sehnsucht nach Verbindung. Sie äußert sich im Wunsch nach Akzeptanz, nach Aufmerksamkeit, Dazugehören. Nun fragst du den in dir aktiven Teil: »Führt dein Verhalten wirklich zu diesem Ziel?«

      Einen solchen Selbstdialog kannst du immer führen, wenn dich etwas blockiert. Er wird dir helfen, dich nicht in kontraproduktives Verhalten zu verstricken. Vor allem aber führt er dich zu den Bedürfnissen hinter deinem Verhalten.

      Bestehe am Ende aber nicht darauf, dass deine Wünsche und Bedürfnisse erfüllt werden. Bedürfnisse müssen nicht erfüllt werden, aber wollen gehört werden.Je mehr du dich gegen deine Situation wehrst, desto schmerzhafter wird sie. Manchmal kommt es einfach darauf an zu akzeptieren, dass Bedürfnisse gerade unerfüllt bleiben.

      Die Bedürfnisse hinter den Wünschen

      In anderen Fällen gibt es Möglichkeiten, Abhilfe zu schaffen – aber auf andere Weise als zunächst gedacht. Vielleicht sehnst du dich nach einer Beziehung und erkennst: Das Bedürfnis dahinter ist das nach Nähe und Fürsorge. Zurzeit bleibt es unbefriedigt. Wenn du dies akzeptiert und verstanden hast, kannst du im nächsten Schritt schauen, ob sich dieses Bedürfnis vielleicht auch auf andere Weise befriedigen lässt, zum Beispiel indem du dich intensiver um bereits bestehende Freundschaften kümmerst.

      Mit diesem Vorgehen durchbrichst du das gedankliche Muster, nach dem du Glück nur erleben kannst, wenn du deinen Traummann oder deine Traumfrau findest.

      Schüchternheit

      Der Selbstdialog dient allein dem liebevollen Verständnis deiner selbst. Er darf nicht verwechselt werden mit der abwertenden Form von Selbstbeobachtung, zu der zum Beispiel schüchterne Menschen neigen. Ständig nehmen sie ihre vermeintlichen oder realen Schwächen in den Blick. Dahinter steckt die Angst, von anderen nicht gemocht zu werden, dahinter wiederum Selbstzweifel. Um negative Reaktionen zu vermeiden, verhalten sich schüchterne Menschen zurückhaltend. Sie trauen sich nicht, etwas zu sagen oder zu tun. Sie vermeiden Augenkontakt, und wenn man sie anspricht, erröten sie und verspannen sich.

      Schüchternheit ist schmerzhaft und anstrengend, blockiert Verbindung, den Zugang zu positiven Ressourcen sowie Einfühlung dir selbst gegenüber.

      Das wirksamste Gegenmittel ist die Metta-Meditation.6 Metta wird in »Auch du gehörst dazu.«der Regel mit »Liebende Güte« übersetzt. Treffender wäre aus meiner Sicht »tatkräftige Liebe«. In der Metta-Meditation geht es darum, Gefühle der Wertschätzung, Wärme und Nähe hervorzubringen, und zwar ausdrücklich auch dir selbst gegenüber. Was immer du in dir wahrnimmst, verurteilst du nicht, sondern nimmst es mit einer annehmenden Haltung an. Mein Lieblingsslogan für diese Umgangsweise lautet: »Auch du gehörst dazu.«

      Wenn Metta in dir aktiv ist, gibt es keine besseren oder schlechteren Menschen. Deine Negativ-Urteile über dich selbst verlieren ihre zerstörerische Kraft, lösen sich auf in der Energie der Liebe.

      Spüren eröffnet eine andere Dimension

      Und wieder ist es das direkte Spüren, das dir den Quantensprung in eine andere Dimension des Erlebens ermöglicht. Einen guten Einstieg bieten dir auch die Körperempfindungen. Wenn Gefühle der Einsamkeit aufkommen, erspüre, wie sie sich im Körper äußern, zum Beispiel in Verspannungen, einem Kloß im Hals oder in Kopfschmerzen. Dies bewusst zu spüren wird die Einsamkeit nicht auflösen, doch ihre Intensität wird sich verändern. Das akzeptierende Spüren verschafft dir unmittelbar Linderung. Und dann kann der Wandel seinen Lauf nehmen.

      Allein statt einsam

      Ich bin als Mitglied einer Großfamilie auf einem Bauernhof aufgewachsen. Ab meinem 12. Lebensjahr starb jedes Jahr ein Mitglied der Familie, zuletzt meine Mutter. Ich erinnere mich an einen Sonntagmorgen, als ich als Siebzehnjähriger ganz allein auf dem Hof war. Mein Vater hatte eine Arbeitsstelle angenommen, und ich kümmerte mich um die Tiere. Es regnete, und ich fühlte mich zutiefst einsam.

      Ich begann zu weinen. Viele Situationen der letzten Jahre wurden in mir lebendig, in denen ich mich einsam und ausgegrenzt gefühlt hatte, und ich beweinte auch diese Situationen ausgiebig. Ich weinte wohl eine Stunde. Und im Laufe dieser Stunde veränderte sich in mir etwas grundlegend. Indem ich mich fühlend dem gegenwärtigen Moment hingab, lockerte sich das feste Ich meiner persönlichen Identität. Ich erlebte eine Verbundenheit nach innen wie nach außen, zu den Tieren im Stall, zu jeder Kreatur.

      Ich war immer noch der einzige Mensch auf dem Hof, Aus Einsamkeit kann Alleinsein werden.aber aus der Einsamkeit war Alleinsein geworden.

      Einsamkeit und Alleinsein sind völlig verschiedene Zustände. Der Psychoanalytiker Rolf Haubl hat das sinngemäß so auf den Punkt gebracht: Einsamkeit heißt außer sich sein. Alleinsein hingegen bedeutet bei sich sein.

      In der Einsamkeit hast du die Verbindung zur Welt verloren, kreist hilflos um dich selbst, bist gefesselt von Gedanken, deinem Widerstand gegen die Situation, deinem Begehren. Im Alleinsein hingegen ist die Welt in Ordnung. Die negativen Gefühle gehören zu dir, aber du reduzierst dich nicht darauf. Du weißt, dass du sehr viel mehr bist, spürst dich selbst sehr deutlich und fühlst dich in Verbindung mit deiner Umgebung.

      In besonders kostbaren Momenten, wie ich einen solchen auf dem Hof erlebte, ermöglicht Alleinsein so etwas wie »mit dem All-eins-Sein«. Du bist in diesen Augenblicken vollkommen bei dir und mit dir, Alleinsein ermöglicht All-eins-Sein.erlebst gleichzeitig innere und äußere Vielgestaltigkeit und dabei dich selbst als Teil von etwas Großem, das alles in sich vereinigt. Und du erlebst Frieden.

      In der Lehre des Buddha – wie in vielen spirituellen Traditionen – spielt das Alleinsein eine große Rolle. Sariputta, einer der bedeutendsten Schüler des Buddha, bezeichnete physische Abgeschiedenheit als wichtige Voraussetzung für das Entstehen geistiger Abgeschiedenheit. Die geistige Abgeschiedenheit wiederum ist notwendig, um geistige Trübung hinter sich zu lassen – und dies ist eine notwendige Bedingung für Verbundenheit, Frieden und Glück.

      Vermutlich hast du selbst schon erlebt: Bist du über längere Zeit pausenlos in Gesellschaft, physisch zusammen mit anderen Menschen, zum Beispiel mit deinem Partner oder deiner Partnerin oder deinen Kindern, dann wird es früher oder später eng und schwierig. Leicht reagiert ihr überempfindlich aufeinander und verstrickt euch in Konflikten. Achtsame Selbstbeobachtung und -Einfühlung sind in Gesellschaft sehr viel schwieriger, oft kaum möglich. Ohne Phasen des Alleinseins kommt dir der achtsame Zugang zu dir selbst abhanden.

      Es braucht Phasen des Alleinseins, um die vielfältige innere Landschaft deiner Bedürfnisse, deiner Wahrnehmungs- und Gewohnheitsmuster kennenzulernen.

      Auch Widersprüchliches darf sich äußern, wächst im Raum der Akzeptanz zu einer Einheit zusammen. Du nimmst eine liebevolle Verbindung zu dir selbst auf.

      Allein leben heißt nicht einsam sein

      Zeitweilig allein zu sein in diesem Sinne ist also ein wichtiger Schlüssel zum inneren Wachstum. Du musst deswegen nicht zölibatär leben wie Mönche und Nonnen. Aber du kannst dich durchaus entscheiden, ohne Partnerschaft zu leben, und dich gleichzeitig ausbalanciert, zufrieden und verbunden fühlen, sei es nun phasenweise oder dauerhaft. Bewusstes Erleben kann Einsamkeit vollkommen in Klarheit und Verbundenheit verwandeln.

      Um sich den Wert des Alleinseins zu erschließen, ist natürlich mehr als bloß physische Abgeschiedenheit notwendig. Sich wirklich auf sich selbst einzulassen, das sind die meisten