Zusammen aufwachen. Wilfried Reuter

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Название Zusammen aufwachen
Автор произведения Wilfried Reuter
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783942085335



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Herzgegend. Es kann auch ein völlig anderer Ort sein: der Kopf, die Wirbelsäule, die Arme, die Füße, das bleibt ganz dir überlassen. Deinen persönlichen »Wohlfühlort« im Körper kannst du mit einer Übung ausfindig machen.4

      Auch wenn du über diesen Wohlfühlort Kontakt zu dir selbst aufnimmst, werden Gedanken auftreten. Lass sie einfach kommen und gehen. Statt ihnen zu folgen, lenke deine Achtsamkeit zurück auf das Empfinden an deinem Wohlfühlort.

      Mit wachsender Achtsamkeit kannst du dann auch andere körperlichen Empfindungen wahrnehmen. Du wirst feststellen, dass jede Emotion mit körperlichen Empfindungen einhergeht. Wenn du verliebt bist, schlägt dein Herz schneller, es kribbelt im Bauch, du hast feuchte Hände, einen trockenen Mund. Wenn du dich nach einem Streit mit deinem Partner verletzt und hilflos fühlst, spürst du vielleicht einen Kloß im Hals. Wenn du merkst, dass deine Partnerin ärgerlich wird, und infolgedessen Angst bei dir aufkommt, verspannen sich deine Schultern. Wenn du auf den Ärger deiner Partnerin mit Wut reagierst, macht diese sich durch Spannung im Sonnengeflecht bemerkbar.

      Meist sind Emotionen zunächst über Körperempfindungen wahrnehmbar. Mit etwas Übung wird der Körper für dich zu einer Art Wünschelrute: Er zeigt dir an, dass bestimmte Gefühle aufkommen. Dein Körper führt dich wie eine Wünschelrute zu deinen Gefühlen.Wenn du sie rechtzeitig bemerkst, kannst du ihnen deine volle Aufmerksamkeit schenken und entscheiden, wie du mit ihnen umgehen möchtest, bevor sie die Kontrolle übernehmen. So bist du zum Beispiel in der Lage, in einem Streit nicht aus Wut zu reagieren und damit alles noch schwieriger zu machen. Versuche stattdessen innezuhalten, dich vielleicht sogar zurückzuziehen, bis deine Emotionen nicht mehr so stark sind.

      Wichtig ist, dass du deine körperlichen Empfindungen und Emotionen nicht bewertest. Bleib einfach in Verbindung mit ihnen und gib ihnen Raum. Wenn die Situation es zulässt, interessiere dich für sie und taste dich mit dem Spürbewusstsein förmlich in sie hinein. Es ist nicht wichtig, was du spürst, sondern dass du spürst. Auf Benennungen und Erklärungen versuche zu verzichten.

      Wenn du deine Gefühle interessiert und wohlwollend erforschst, bringst du ihnen keinen Widerstand mehr entgegen. Du löst dich aus der Identifikation mit ihnen. Sie fesseln dich nicht weiter, sondern du beobachtest, wie sie kommen und gehen – und bist im selben Moment frei. Du stellst fest: Das Gefühl an sich ist nichts Bedrohliches, es ist wie eine Wolke, durch die du unbeschadet hindurchzugehen vermagst.

      Zugleich kommst du in Kontakt zu einer tieferen Schicht in dir, die von Mitgefühl und Akzeptanz geprägt ist und eine liebevolle Kraft freisetzt.

      Verzichte darauf, verstehen zu wollen

      Wenn du dich ganz dem Spürbewusstsein hingibst, verzichtest du zunächst darauf, etwas verstehen zu wollen – und ermöglichst damit letztlich ein tieferes Verständnis.

      Eine meiner Schülerinnen hat dies auf sehr beeindruckende Weise erlebt. Sie praktiziert schon sehr lange und gibt selbst Meditationskurse. Vor einiger Zeit hatte sie große Probleme mit ihrem Partner, und obwohl sie schon viele Methoden ausprobiert hatte, fand sie keinen angemessenen Umgang damit. Folgender Rat hat ihr schließlich geholfen, den Teufelskreis des Verstandesbewusstseins und der damit verknüpften Muster und Prägungen zu durchbrechen:

      Wenn du das nächste Mal in einer schwierigen Situation mit ihm bist, konzentriere dich nicht auf ihn und die Situation, sondern spüre in dich hinein. Verzichte bewusst darauf zu verstehen, was geschieht. Verzichte auch darauf, dem Geschehen irgendeine Bedeutung beizumessen; es ist weder bedeutungsvoll noch bedeutungslos. Ordne nichts ein, lass es einfach nur sein. Bleibe wach und zeige Präsenz im direkten Kontakt mit dem Leben. Wenn es dir gelingt, werden die Spannungen sich lösen. Du musst dann nichts mehr überwinden, nichts erreichen. Du gelangst in einen Zustand, in dem es dir an nichts mangelt.

      Sicher, in Beziehungen gibt es immer wieder viel zu besprechen. Jeder hat Bedürfnisse und Wünsche, die es zu achten gilt. Schwierigkeiten verlangen oft danach, verbal geklärt zu werden. Auch Kritik am Partner, der Partnerin muss möglich sein. Der Schlüssel zum Glück ist direktes Erleben.In den folgenden Kapiteln biete ich dir Hilfestellungen für den Beziehungsalltag an. Der wichtigste Schlüssel zum Glück jedoch ist direktes Erleben. Es ermöglicht dir, mit dir selbst und anderen Menschen verständnisvoll und gütig umzugehen – auch in schwierigen Situationen. Das Spüren ermöglicht dir eine kraftvolle Gelassenheit, die dir in der Beziehung zu dir selbst und anderen sehr helfen wird.

      3. In Kontakt kommen

      In einer buddhistischen Zeitschrift las ich einmal folgende Kontaktanzeige: »Junger, gut gebauter, dunkelhaariger Buddhist sucht: sich selbst.«

      Zuerst ging ich davon aus, dass es sich nur um einen Scherz handelte. Aber je länger ich darüber nachdachte, desto klarer wurde mir, dass der Mann auf der richtigen Fährte war. Er wusste offenbar: Wer Einsamkeit hinter sich lassen will, muss nicht unbedingt den Partner fürs Leben kennenlernen, sondern vor allem sich selbst.

      Im Kontakt mit der eigenen inneren Fülle fällt es dann leichter, mit anderen Menschen in Verbindung zu treten – sei es auf der Suche nach dem Traumpartner oder in der Beziehung, in der man bereits lebt.

      Die Sehnsucht nach Verbindung

      Von meinen Einsätzen als Notarzt kenne ich schon lange einen Mann, der immer wieder anruft, besonders häufig in der dunklen Jahreszeit und an Feiertagen, wenn andere bei ihren Familien oder mit Freunden zusammen sind. Meistens gibt er Herzschmerzen als Grund für seinen Anruf an. Doch es ist nicht sein körperliches Herz, das schmerzt. Seine Wohnung ist voller Plüsch-Teddybären: In jeder Größe und Farbe, in allen Zimmern, insgesamt sind es über 600. Er möchte keine Behandlung im üblichen Sinn. Er möchte nur, dass ich bei ihm sitze – etwa 10 bis 15 Minuten, entsprechend der Dauer eines gewöhnlichen Hausbesuchs, denn er ist bescheiden. Manchmal möchte er, dass wir zusammen schweigen, hin und wieder erzählt er ein wenig aus seinem Leben: Von einem als lieblos empfundenen Elternhaus, zwei gescheiterten Ehen ohne Kinder. Seit Jahren lebt er allein und vermeidet, unter Menschen zu gehen, denn dann fühlt er sich noch einsamer. Gleichzeitig sehnt er sich nach einem Ausweg aus diesem Gefängnis.

      Einsamkeit ist weit verbreitet

      An Weihnachten verdoppeln wir im ärztlichen Notdienst die Einsatzkräfte. Zwar nimmt die Einsamkeit selten so drastische Formen an wie bei dem Mann mit den 600 Teddybären, aber unter Einsamkeit leiden heute sehr viele Menschen, und zwar unabhängig von ihrem Alter und der sozialen Stellung.

      Wahrscheinlich kennst du ebenfalls Phasen oder Momente der Einsamkeit in deinem Leben. Auch Menschen, die Freunde haben und in einer Beziehung leben, können sich einsam fühlen. In manchen Beziehungen haben die Partner schon lange die Verbindung zueinander verloren.

      »Er sitzt nur noch vor seinem Computer«, berichtete mir einmal eine Kursteilnehmerin. Seit über 30 Jahren war sie mit ihrem Mann verheiratet. »Für mich interessiert er sich nicht mehr und ich darf ihn nicht mehr berühren.«

      Eine andere Frau verließ ihren Mann nach vielen Jahren der Einsamkeit in der Ehe und schloss sich einer spirituellen Wohn- und Lebensgemeinschaft an. Nach einem halben Jahr sprang sie von einer Brücke. Sie hinterließ einen Zettel: »Bei euch habe ich erfahren, was möglich ist. Doch für mich ist der Weg dorthin mittlerweile zu weit und zu schwierig.«

      Das Gefühl getrennt zu sein

      Einsamkeit geht stets einher mit dem Erleben, getrennt zu sein. Du sehnst dich nach Zugehörigkeit, nach Liebe und menschlicher Wärme und gleichzeitig erlebst du dich als ausgegrenzt, wie umzäunt. Jedes Erleben von Trennung ist mit Leiden verbunden.

      Einsame Menschen tragen oft tiefe Blockaden in sich, die sie hindern, sich auf andere einzulassen. Der Grund dafür können schmerzhafte Erfahrungen in vorherigen Bindungen sein, sei es mit den Eltern oder in Liebesbeziehungen. Die Angst, dass sich die schmerzhaften Erlebnisse wiederholen könnten, ist dann übermächtig.

      Auch