Zusammen aufwachen. Wilfried Reuter

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Название Zusammen aufwachen
Автор произведения Wilfried Reuter
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783942085335



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braucht sie noch besonders viel Unterstützung und muss zum Beispiel in den Kindergarten gefahren werden. Ihre Bedürftigkeit betrachten wir nicht als Makel, sondern als ihrem Alter angemessen.

      Wenn du deine »Unvollkommenheit« und Bedürftigkeit genau so gütig betrachten kannst wie die eines Kindes auf der Rückbank im Auto, wird das sehr befreiend wirken. Mehr noch: So wird Entwicklung erst möglich.

      Im nächsten Schritt kannst du dann auch die » Schwächen« deines Partners oder deiner Partnerin auf diese Weise betrachten.

      Achtsamkeit entwickeln

      Achtsamkeit ist eine unverzichtbare Grundlage, um zu mehr Verständnis und Klarheit zu gelangen. Man kann sogar sagen: Der buddhistische Weg zu Verständnis und zu Klarheit ist Achtsamkeit.

      Die Achtsamkeitspraxis beginnt bei dir selbst und besteht nach meinem Verständnis aus drei wesentlichen Aspekten. Du übst sie am besten zunächst nacheinander, um sie dann allmählich miteinander zu verbinden.

      •Akzeptierende Selbstbeobachtung

      •Liebevolle Selbsteinfühlung

      •Bewusster Verzicht auf sofortige Einordnung und Deutung

      Achtsam zu sein bedeutet, sehr aufmerksam und offen wahrzunehmen, was im Moment gerade geschieht, ohne es zu bewerten oder beeinflussen zu wollen. Wenn es etwas Angenehmes ist, Achtsamkeit beinhaltet sowohl Selbstbeobachtung als auch Selbsteinfühlung.nimmst du dies wahr, versuchst aber, es nicht festzuhalten, wenn es wieder verschwinden will. Wenn es etwas Unangenehmes ist, versuchst du, dich nicht dagegen zu wehren, sondern es einfach nur wahrzunehmen.

      Indem du achtsam bist, legst du die Grundlage für Verständnis und Mitgefühl dir selbst und anderen gegenüber – und damit für heilsames Handeln. Denn was du akzeptierst, kannst du klar sehen und verstehen. Und was du verstehst, kannst du auf heilsame Weise verändern. Auf diese Weise löst du die Fesseln, die die Identifikation mit Gefühlen und Gedanken dir anlegt.

      Verlange nicht von dir, dass es dir auf einen Schlag gelingt, permanent völlig achtsam zu sein. Es wird dir zunächst sicher nicht leicht fallen, dir selbst ohne Bewertung zu begegnen. Das macht nichts, auch diese Praxis darf sich langsam entwickeln.

      Übe dich als Erstes darin, dir selbst liebevolles Interesse entgegenzubringen. Wende dich dazu bewusst deiner Lebenssituation und den damit verbundenen Gedanken und Gefühlen zu. Nimm dir dafür ausreichend Zeit und Ruhe. Wenn du bemerkst, dass dir die Achtsamkeit abhanden gekommen ist, bist du schon wieder dabei, sie zurückzugewinnen. Wende dich dir einfach erneut liebevoll zu. Je länger du übst, desto besser wird es dir gelingen, achtsam zu bleiben, so wie ein Muskel immer stärker wird, wenn du ihn regelmäßig trainierst.

      Wege der Achtsamkeit

      Achtsamkeit umfasst sowohl die Wahrnehmung deiner Innenwelt als auch der Außenwelt. Sie grenzt nichts aus und bewertet nichts. Es ist allerdings nicht möglich, alles gleichzeitig achtsam wahrzunehmen, sondern du nimmst zu verschiedenen Zeiten verschiedene Dinge in den Fokus deiner Aufmerksamkeit. Bei der sogenannten » Panorama Bewusstheit« (Chögyam Trungpa) schaust du wie mit einem Weitwinkelobjektiv auf die Welt, begegnest also der gesamten Umgebung achtsam, kannst dafür aber Feinheiten nicht so intensiv wahrnehmen.

      Achtsamkeit eröffnet dir verschiedene Zugänge zu dir selbst. Du kannst sie auf deinen Körper, deine Emotionen, deine Gedanken, deine Absichten und auch auf dein Bewusstsein selbst richten. Mit fortschreitender Praxis wirst du bemerken, wie eng all dies zusammenhängt. Gedanken rufen zum Beispiel Emotionen hervor, und jede Emotion hängt eng mit körperlichen Gefühlen zusammen. Dies alles nimmst du mit deinem Bewusstsein wahr.

      Ein guter Einstieg in die Achtsamkeitspraxis ist immer wieder das bewusste Vergegenwärtigen deiner Erlebnisse. Eine Übung kann dich dabei unterstützen: Beim »Tagesrückblick« lässt du abends im Bett den Tag noch einmal Revue passieren und machst dir bewusst, wie du dich in verschiedenen Situationen verhalten hast und welche Auswirkungen dieses Verhalten auf dich und andere hatte.

      Zunächst werde dir dabei deiner inneren Atmosphäre bewusst. Was fühlst du? Vielleicht nimmst du Anspannung wahr. Frage dich nun, was davor geschehen ist. Nehmen wir an, du hast mit deinem Partner zu Abend gegessen. Wie hat sich das angefühlt? Angespannt. Du hältst dies einfach nur fest.

      Bewege dich auf diese Weise rückwärts durch die Abschnitte des Tages. Es geht ausdrücklich nicht darum, zu deuten oder zu bewerten. Mach dir einfach überblickartig bewusst, wie die aufeinander folgenden Situationen sich angefühlt haben und wie sie zusammenhingen. Du kannst dir dabei vorstellen, wie du mit einem Fahrstuhl aufwärts oder abwärts fährst und Einblick in die verschiedenen Etagen – die Situationen des Tages – erhältst, ohne irgendwo anzuhalten oder auszusteigen. Die Frage lautet einfach immer nur: Und was war davor? Wenn es dir lieber ist, kannst du auch mit dem Morgen beginnen und den Tag vorwärts durchgehen.

      Die Macht der Gedanken

      Wenn du im Alltag deine Gedanken achtsam verfolgst, kannst du feststellen, dass dir bestimmte Gedanken über dich immer wieder Schwierigkeiten bereiten. Du setzt dich zum Beispiel selbst unter Druck (»Ich muss«), wertest dich ab (»Ich bin nicht gut genug«) oder stempelst dich ab (»Ich bin nun mal ungeschickt«). Diese Gedankenmuster blockieren dich, führen in die Grübelei, rufen belastende Emotionen hervor und rücken Glück, Freude und Zufriedenheit in weite Ferne. Weil du dich mit diesen Gedanken identifizierst, kannst du andere Aspekte deiner Persönlichkeit nicht mehr wahrnehmen. Um etwas zu verändern, musst du es zuvor akzeptieren.Die Schwäche, die du dir unterstellst, erzeugst du mit diesen Mustern erst oder erhältst sie am Leben.2 Wenn du sie bewusst wahrnimmst, bist du nicht mehr so stark an sie gebunden. Mit der Zeit kannst du sie völlig entmachten.

      Verstand ist nicht alles!

      Du hast zwei Möglichkeiten, zwei Bewusstseinsarten, um mit dir und anderen zu kommunizieren. Der tibetische Meister Tarab Tulku und seine Schülerin Lene Handberg sprechen vom Verstandesbewusstsein und vom fühlenden Bewusstsein oder Spürbewusstsein.3 Keine dieser beiden Bewusstseinsformen ist besser oder schlechter als die andere. Du brauchst beide Zugänge, um dich in der Tiefe verstehen zu können. Zugang zu deiner eigenen Stärke findest du, indem du sie beide unterscheiden und für dich nutzbar machen lernst.

      Im Verstandesbewusstsein erfährst du dich und die Welt denkend, benennend, beurteilend. Immer wenn Denken und Sprache im Spiel sind, ist das Verstandesbewusstsein aktiv. Während das fühlende Bewusstsein immer mit dem gegenwärtigen Moment verbunden ist, bezieht sich das Verstandesbewusstsein auch auf Vergangenheit und Zukunft.

      Das Verstandesbewusstsein mit seinen Begriffen fixiert und trennt. Du denkst nach über dich und bist damit in einer gewissen Distanz zu dir. Im Verstandesbewusstsein entsteht oft eine Kluft: Auf der einen Seite erlebst du, was und wo du gerade bist, auf der anderen, was und wo du gerne wärest. Aus diesem Mangelgefühl entsteht Begehren. Somit ist das Verstandesbewusstsein meist unterwegs mit einem offenen oder versteckten Plan.

      Das Spürbewusstsein verwendet keine Sprache, du erfährst dich über das direkte Spüren. Über die Einfühlung führt dich das Spürbewusstsein in die frische Wahrnehmung und Verbindung.

      Achtsamkeit auf den Körper lenken

      Indem du die Achtsamkeit auf den Körper lenkst, aktivierst du das Spürbewusstsein. Spüre deinen Körper, während du ein gutes Essen genießt, wenn du tanzt, Sport treibst, in der Sauna schwitzt oder dich bei einer Massage entspannst. Spüre möglichst genau: die kleinen geschmacklichen »Sensationen« in deinem Mund (Sinneseindruck heißt auf Englisch nicht zufällig sensation!), die Bewegung deines Körpers im Rhythmus der Musik, der beschleunigte Herzschlag, der Schweiß, der deinen Rücken hinabrinnt, die kraftvollen Hände des Masseurs.

      Beim nächsten Schritt konzentrierst du dich nicht auf die Sinneseindrücke, die von der Außenwelt hervorgerufen werden, sondern du versuchst, deinen Körper von innen zu fühlen. Am besten beginnst