Dalriada. Gerhard Streminger

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Название Dalriada
Автор произведения Gerhard Streminger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783701179718



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Guten oft schlecht und den Schlechten oft gut geht; in der ganze Völker um das Allernotwendigste kämpfen müssen und täglich Zehntausende diesen Kampf verlieren. Das ist, auch wenn ich nur ein wenig durch diesen Guckkasten des Unerträglichen schaue, für mich eine ständige Quelle des Leids und der Empörung.“

      „Und warum fühlst du dich als ein Teil der Erde?“

      „Weil überall die gleichen natürlichen Gesetze herrschen. Menschen sind das Produkt dieser Erde, der Schöpferin der Natur, weshalb wir mit allen anderen Lebewesen verwandt und in vieler Hinsicht deren Ebenbilder sind.“

      „Du fühlst Dich also“, resümierte ich etwas oberlehrerhaft, „als ein Teil der Natur und manchmal als Fremde. Dennoch hegst du für die Erde auch freundschaftliche Gefühle, nehme ich einmal an?“

      „Ja, natürlich. Denn es geht mir sehr nahe, dass die Erde derart geschunden und ausgebeutet wird. Die menschliche Gier nach immer mehr ist schon schlimm genug. Aber unser Verhalten ist obendrein grenzenlos dumm, da die Erde, und nur sie, uns zu leben ermöglicht. Sie gibt den Menschen, wenn sie nicht von uns verwundet wurde, grundsätzlich alles, was wir zum Leben benötigen: Wasser, Böden, Luft, Nahrung, Energie. Und was tun wir? Mittels Technik machen wir uns die Erde untertan, zerstören oftmals ganze Regionen für Tausende von Jahren, machen diese also zu waste land. Nun aber erreichen wir Grenzen und müssen zudem schmerzlich erfahren, dass wir in manchen Extremsituationen unsere Technik gar nicht beherrschen.“

      Dem fügte ich noch hinzu, dass unsere Gier wohl nicht selbstverständlich sei, sondern letztlich einem bestimmten religiös-kulturellen Erbe geschuldet sein dürfte. Denn bei den alten Griechen, beispielsweise, ging es offenbar nicht darum, sich die Natur in systematischer Weise untertan zu machen, sondern sich ihr anzupassen.

      „Genau“, meinte Heather zustimmend, „Ähnliches dachte ich mir auch schon. Aber was heißt das konkret? Konkret bedeutet dies, dass Menschen die Ziele ihres Tuns so wählen sollten, dass diese ohne große negative Auswirkungen auf die Natur erreichbar, also natürlich sind. Aber was machen wir stattdessen? Durch Werbung propagieren wir immer neue Ziele! Das ist ein absurdes Verhalten und kann nur ins Unglück führen. Als Alternative zu diesem Wahnsinn müssen wir wieder lernen, zufriedener zu sein mit dem, was wir schon erreicht haben, und stärker jene Dinge zu genießen, die es ohnedies umsonst gibt. Leider wird das, was wirk­lichen Wert hat, viel zu wenig geachtet, die Schönheit der Natur beispielsweise; und das, was wirklich geachtet wird und worum die meisten kämpfen, hat keinen echten Wert: ungenießbares Geld.“

      Heather machte eine kurze Pause, dann meinte sie noch, dass

      „einige kleine Änderungen dazu führen könnten, die Erde – wie unsere Nachbarplaneten – zu einem lebensfeindlichen Ort zu machen. Auch dieser Zerbrechlichkeit wegen ist mir die Erde so nah und wertvoll. Stets ein Vorbild ist die Natur für mich aber nicht, weil sie eben, etwa bei Hochwasser, keinen Unterschied macht zwischen Tätern und Opfern, zwischen Schuldigen und Unschuldigen, die Natur also blind ist – etwas, das sich mit meinem Gerechtigkeitsempfinden keinesfalls verträgt.“

      Mir fiel dazu noch das viel diskutierte Argument ein, dass wir auch künftigen Generationen, unseren Enkeln, einen ­Planeten überlassen sollten, auf dem sie selbst noch Entscheidungen treffen könnten – gerade demokratisch Gesinnte müssten so denken. Also sollten wir uns schleunigst der Frage stellen, welche Ziele und Mittel überhaupt wünschenswert und mit der Natur verträglich seien. In einem tibetanischen Sprichwort heißt es, dass wir an die siebente Generation nach uns denken sollten, ehe wir handeln. Heather schwieg dazu, zog ihre Augenbrauen hoch, seufzte leise und nickte langsam.

      Während des Seminars waren ähnliche Themen schon mehrmals am Rande zur Sprache gekommen. Aber Heather hatte offenbar schon ihre Position zu diesen Themen gefunden. Beinahe alles, was sie auf der Brücke mit Blick auf den See sagte, wirkte auf mich sonderbar endgültig. Aber ungeachtet aller Sympathien überzeugten mich ihre Ausführungen doch nicht so ganz. Wo jedoch die Schwachstelle in ihrer Gedankenführung lag, wollte mir nicht einfallen, also gönnte ich mir erst einmal eine Phase der Reflexion.

      Nach einer längeren Pause, in der wir schweigend auf die sich im Wasser spiegelnden Wolken und auf die Lichtreflexe unter der sich im Wind hin und her wogenden Trauerweide geschaut hatten, gingen wir gemeinsam zurück zum Schloss, zunächst durch den Englischen Garten, dann durch den Französischen. Dieser letzte Teil der Anlage missfiel mir. Denn im Grunde verkörpert ein französischer Barockgarten doch nur die Arroganz des Menschen, die Natur dominieren, ihr ein unnatürliches Design aufzwingen zu können. Ein Miteinander, eine Kommunikation des Gartens mit der ihn umgebenden Landschaft fehlt im Park von Versailles völlig, dem Urbild aller französischen Barockgärten. Dort ist die Künstlichkeit dieses riesigen, inszenierten Festsaals unter freiem Himmel für mich derart überwältigend, dass ich seekrank werde, wenn ich mich zu lange dort aufhalte. Bei einem Besuch in einem englischen Park tauchen hingegen in meinem Kopf zumeist grundlegende Fragen nach dem Woher? Wohin? Wozu? auf. Die abwechslungsreiche, unregelmäßige Anordnung von Bäumen oder Hügeln oder Weihern schafft Freiräume und vermittelt so das Gefühl von Freiheit. Damals, an jenem speziellen Nachmittag im Park von Castle Howard war ich aber leider zu müde, um Heather zu fragen, ob sie auch so empfinde. Aber da sie im makellosen formalen Blumengarten – unter anderem mit einem Beet voll Tulpen mit flammenden Blüten – ihre Schritte erhöhte und nie stehen blieb, um genauer zu schauen, schloss ich, dass sie so ähnlich dachte wie ich und den faulen Zauber der Form ebenso ablehnte.

      4. Kapitel

      Abschied von Arkadien

      Am nächsten, dem vorletzten Tag des Seminars diskutierten wir das Phänomen von Raumerfahrung in englischen Parks. Mit Hilfe natürlicher Gestaltungsmittel hatten englische Landschaftsarchitekten versucht, im Garten Räume zu gestalten, also kleinere Orte oder Plätze harmonisch in die jeweilige Umgebung einzufügen. Ein Beispiel für einen solchen Naturraum ist dieses: Auf einem sanften Hügel werden mehrere Solitärbäume gepflanzt, etwa eine Eiche, eine Ulme und eine Zeder. Dabei werden die Abstände und der Niveauunterschied zwischen ihnen so gewählt, dass der betrachtende Blick unweigerlich von einem Baum zum anderen schweift. Ergebnis dieser Komposition ist die Erfahrung von Raum. Solcher Naturräume wegen wirken große Gärten kleiner – und kleine Gärten größer.

      Diese Idee der Raumgewinnung, so die Kursleiterin, reiche weit in die Geschichte unserer Kultur zurück, und zwar bis zum Übergang vom Fresko zur Ölmalerei. Konsequenterweise seien damals auch die ersten Spitzen hergestellt worden. Denn selbst der Stoff durfte nicht mehr nur Fläche, sondern sollte auch Raum, also durchbrochen sein, um den Unter- oder Hintergrund sichtbar werden zu lassen. Die Tätigkeit des Landschaftsarchitekten, der seine Aufgabe darin sieht, für eine konkrete Landschaft Naturräume zu kreieren, stehe also, so die Kursleiterin, in einer langen Tradition.

      Nachdem wir uns dieses Gestaltungsprinzip der englischen Gartenkunst theoretisch erarbeitet hatten, suchten wir am nächsten Morgen in der Natur nach Beispielen. Also schritten wir mit unseren Notizblöcken durch kleine Wälder, an vielen Waldhyazinthen vorbei, deren Blüten den Boden englischer Wälder eine Zeitlang in eine weiße oder zart blaue Seenlandschaft zu verwandeln vermögen. Als wir nach einiger Zeit wieder aus dem dunklen Wald traten, erfassten wohl die meisten von uns beim Anblick offenen, kultivierten Landes, auf dem Rinder und Pferde friedlich grasten, Freiheitsgefühle. In diese mischte sich allerdings auch Trauer. Denn das Ende des Kurses war nahe, und der baldige Abschied ließ die meisten von uns wortkarg werden.

      Es passte in diese Stimmung, dass Sturm und Hagel in der Nacht zuvor viele Blätter von den Bäumen gerissen hatten, weshalb es im Wald fast so modrig wie bei Nebel im Herbst roch. Vor wenigen Stunden noch hatte es derart heftig gehagelt, dass ich vom Fenster meines Zimmers aus einige Minuten lang nur eine weiße Wand vor mir sah. Die Hagelkörner fielen auf den Asphalt davor wie ein ungestüm tanzendes Ballett. Nun am Morgen wateten wir durch Lachen über dem weichen Moosboden und sahen Bäume, die wohl schon während eines früheren Sturms umgestürzt waren: Einige hatte der Wind gefällt, noch ehe die Bäume ihre Blätter verloren hatten. Inzwischen getrocknet, hingen sie immer noch an den Ästen wie eine Wolke über einem Grab.

      Am Abend wurde für alle, die am Seminar teilgenommen hatten, eine kleine