Название | Lepanto |
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Автор произведения | Reinhard Schuch |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783701179640 |
Bald machten sie in der einzigen Taverne im Ort die Bekanntschaft eines jungen Mannes. Er war Maler. Sie saßen mit ihm an einem einfachen Holztisch, tranken den fast schwarzen Wein, der mit dem Schwarz der Oliven wetteiferte, aßen Schafkäse und unterhielten sich über Malerei.
Er stellte sich die Gespräche der Eltern mit dem Maler vor: Picasso’s Blue Period. Modiglianis sad women and the rivalry with Picasso. The portraits of those women are maybe the most impressives in history. Er weiß, dass Englisch ihre Sprache war, der Maler konnte auf Deutsch nur drei Namen sagen: Oskar Kokoschka, Egon Schiele und Paul Klee.
Während sie auf der Terrasse der Taverne saßen, spritzte die Gischt des Meeres in ihre Unterhaltung und machte die Haut salzig. Das Salz malte Krustenbilder auf die umliegenden Steine, kristalline Landschaften mit Vertiefungen und kleinen Gebirgen, in Erdmulden erstarrten glitzernde Seen. Fast schien es, als konkurrierten die Gebilde mit den Bildern des Malers.
Sein Name war Edwin. Er war klein, schlank, mit brünettem Haar und einem träumerisch-heiteren Blick. Er kam aus den Vereinigten Staaten und reiste durch die Alte Welt, um die Menschen, ihre Architektur und Kunst zu studieren. Einige Zeit davor war er über das Atlasgebirge gewandert, entlang seiner Ölbaumwälder, ausgetrockneten Salzseen und Wadis. Man hätte meinen können, er folgte der Spur des Salzes. In ihren Gesprächen schwärmte er vom Raum, einem geographischen und einem geschichtlichen, die mit Gedankenschritten und mit wirklichen Schritten durchmessen und in Bilder gefasst werden konnten. Die Geschichte des alten Griechenlands war sein Spezialgebiet. Er blätterte und las in abgegriffenen Büchern, die er aus den Staaten mitgebracht hatte, und markierte Stellen mit farbigen Stiften. Die meiste Zeit jedoch arbeitete er. Blies der Wind auch noch so stark, der Maler saß im Freien vor einem Bild, das er auf einer Tafel mit Reißnägeln fixiert hatte. Er liebte es, im Freien zu sein, in dieser übergroßen Natur, die sein Atelier, seine Inspiration und seine Lehrerin war. Dies in den Jahren seiner Wanderschaft und auch noch viele Jahre später, als er sich nach Gaeta, an die noch schönere oder anders schöne Küste des Tyrrhenischen Meeres zurückzog.
Im Jahr des Mauerbaus und der großen Explosion war der Maler von Lexington nach Mykonos gekommen. Zwei Jahre sollte er dort bleiben, allein. Nur im Sommer gab es Touristen zur Unterhaltung, im Winter kam niemand. Dann machte er Feuer in seinem Steinhaus und las und zeichnete. Er zog einen Parka über und unternahm ausgedehnte Wanderungen. Spazierte auf den venezianischen Berg mit den verfallenen Mauern römischer Gebäude, besuchte Klöster, Kirchen und Ausgrabungen. Die Einheimischen beäugten den Amerikaner argwöhnisch, was suchte er hier? Seine Bilder fanden sie noch merkwürdiger als ihn.
Der Maler prägte sich die Konturen der Insel ein, die Linien und Formen der Strände und Pflanzen, den ganzen Mikro- und Makrokosmos. Beim Spazieren über den Strand streckte er den Hals und beugte den Kopf leicht nach vor, wie ein Pilze- oder Steinesucher. Oder wie jemand, der in einer Menschenmenge eine Person verloren hat. In Wahrheit war das seine Art, mit Blicken die Umgebung abzutasten, Dinge zu finden, die er für seine Bilder verwenden konnte. Frühmorgens kam er mit einer versteinerten Muschel in der Hand von einer Wanderung zurück und übertrug ihre Linien auf eine Zeichnung. Die Muschel trat in eine Beziehung mit den Wellen des Meeres und mit den Formen der Felsen. Stundenlang saß er mit einem Strohhut auf der Terrasse der Taverne oder auf umliegenden Felsen und zeichnete. Ein konzentrierter Blick, er kniff ein Auge zusammen und kratzte sich am Kopf. Wenn er nicht arbeitete, schlief er sommers im Schatten einer Tamariske auf einer Strohmatte.
Er interessierte sich für die griechische Mythologie, für Halbgötter und Menschen, die sich mit den Göttern einließen und bestraft wurden. Wie Tantalos, Sisyphos, Herakles. Er sagte zu den Eltern, die Landschaft der Götter konnten nur karge Inseln sein. Wie dieses Mykonos, hart und leuchtend, mit diesem unzerstörbaren Licht. Die Landschaft der Götter müsse etwas zwischen Himmel und Meer Schwimmendes sein, das weder zu dem einen noch zu dem anderen gehöre. Ein andermal sagte er: Das Paradies ist steinig wie diese Insel, die mit ihren ewigen Felsen eines Sisyphos würdig ist. Sisyphos sei es gelungen, den Todesgott zu fesseln, sodass eine Weile niemand starb. Damit feierte er das Leben und dafür wurde er bestraft. Aber wann hatte ein Mensch, und sei es auch nur in einer Sage, jemals Größeres vollbracht?
Im nächsten Atemzug sprach der Maler von Muränen, von bis zu vier Meter langen, die einen Doppelkiefer hatten und einem Mann mit einem Biss die Hand abtrennen konnten. Der zweite Kiefer dieser Ungeheuer war beweglich und stopfte die Hand in die Speiseröhre. Man dürfe keinesfalls im Wasser hinter Felsen oder Steine greifen, wenn einem die Hand lieb war.
Am nächsten Tag saß er wieder in der gnadenlosen Sonne, die noch im Schatten für 40 Grad sorgte, um ihre Brechungen und Wege zu beobachten. Auf seinen Bildern war ihr Licht ein Gewitter aus gelben, roten und violetten Strichen. Im Griechischen, sagte er, gibt es ein Wort für Licht und Lächeln. So wollte er malen: Bilder, die lächeln.
In jenen Augusttagen drückte die Hitze auf das Land wie die Faust eines Riesen. Niemand verließ mittags über Stunden den Schatten; Lorbeer und Salbei, Lavendel und Disteln verdorrten. Zu Mittag brachte der Wirt eine Pfanne Eier in die Sonne auf einen Felsen. In wenigen Minuten waren sie gebraten, schmeckten salzig und fischig wie das Meer. Lachend deutete der stoppelbärtige Wirt zum Himmel und bedankte sich beim Sonnengott.
Einmal lud der Maler die Eltern zum Essen ein. Er gab Fische, die er selbst gefangen hatte, in einen Topf mit Meerwasser, Rosmarin und Lorbeer und kochte sie. Sie träufelten Olivenöl über den fertigen Fisch und tranken Wein dazu. So guten Fisch hatten seine Eltern in ihrem ganzen Leben nicht mehr gegessen.
Es gab ein Schwarz-Weiß-Foto, welches das Treffen von Wien mit Lexington dokumentierte: sein Vater mit einem Bild des Malers in den Händen, neben ihm der Maler und die Mutter. Sie sitzen sonnengebräunt an einem Tisch, das Meer im Hintergrund. Das Meer, das seine Eltern ein Leben lang verfolgte. Als Sehnsucht nach etwas, das als Sehnsucht stärker war denn als wirkliches Erlebnis. Die Bewohner von Binnenländern träumen oft vom Meer. Sie träumen von seiner sommerlichen Kühle, seinen starken Armen und dem Muschelgeruch. Aber wenn sie zwei Wochen dort gewesen sind, kommen sie gern wieder nach Hause zurück. Man schwitzt zu viel im Süden, das Essen ist ungewohnt, im Wasser sind fremde Tiere, die Küstenbewohner sprechen eine unverständliche Sprache und die Zimmer sind zu klein.
Der Maler war da aus anderem Holz geschnitzt. Er stand bis zu den Knien im Schaum auf den Felsen und schaute lange, wie das Meer atmete, sich hob und senkte, wie es gegen die Felsen schlug und in kleinen Kaskaden und Rinnsalen wieder zurückfloss. Der Maler hörte auf sein Stampfen und Schmatzen, auf das Rauschen und Glucksen. Er zeichnete die Noten dazu, die Symphonie, die das Meer ihm diktierte, auf lange Linien.
Auf dem Foto ist der Vater in ein weites, kurzärmeliges Hemd gekleidet, die Mutter in eine Bluse mit Blumenmuster, die ihre Taille betont. Edwin trägt ein gestreiftes T-Shirt und kurze Hosen wie die anderen. Die Augen sind Schlitze zum Schutz vor der Sonne. Edwins zurückhaltender Gesichtsausdruck lässt nicht erahnen, dass er ein paar Jahre später die Kunstwelt aus den Angeln heben würde. Oder, wie ein Museum schrieb, dass er in seiner Malerei eine sensible und lyrische Verbindung von Bild und Text wie noch in keiner Kunst erreichte und eine neue Ära nicht nur der amerikanischen Malerei einleitete, und dass er eine eigene, höchst einflussreiche Bildsprache entwickelte. Ein Kritiker schrieb: Man wird seiner Malerei nicht gerecht, betrachtet man sie ausschließlich im Zusammenhang mit den Kunstrichtungen des 20. Jahrhunderts. Zu komplex sind die gestisch ausschweifenden Kompositionen mit ihren kleinen figurativen Skizzen, Ziffern und Zitaten. Und ein paar Sätze weiter: Das Werk verweist auf eine Position, die wir jetzt noch nicht in ihrem ganzen Umfang, ja in ihrer transzendierenden Vision erkennen können.
Mit solch kunstsinnigen Ausführungen haben sich die Eltern damals auf Mykonos wohl nicht beschäftigt. Was wirklich passierte, liegt großteils im Reich der Vermutung. Lange liegen die Bemerkungen und Erzählungen seiner Eltern zurück, aus denen er seine Rückschlüsse auf das Damals