Dialektik des geisteswissenschaftlichen Universums. Horst-Joachim Rahn

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Название Dialektik des geisteswissenschaftlichen Universums
Автор произведения Horst-Joachim Rahn
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783960085553



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ist der Zorn eine der 7 Todsünden.178 Das Gegenteil von Zorn ist Geduld. Dem Zorn wird ein gewisses Verständnis, aber auch viel Unverständnis entgegengebracht.

      ► Thesen: Zorn ist als Erregung etwas Normales, denn kein Mensch ist normalerweise in der Lage, die Ungerechtigkeiten dieser Welt so einfach hinzunehmen. Auch Martin Luther hat das gespürt: „Der erste Zorn ist immer der beste.“ Definitiv: „Der Zorn ist kurze Raserei.“ (Horaz). Auch unerfüllte Liebe kann mit Zorn verbunden sein: „Liebe kennt keinen Hass, aber Zorn (P. Mommertz). Und es gilt: „Wer nie im Zorn erglühte, kennt auch die Liebe nicht“ (E.M. Arendt). Sogar: „Zorn macht Schwache stark“ (Ovid). Zorn ist häufig mit Lautstärke verbunden: „Der Zorn bläst laut ins Horn.“* Die Reaktion darauf sollte nicht laut sein, denn: „Sanfte Rede stellt den Zorn“ (Sprichwort). Ein wahres Wort: „Die Empörung ist der Zorn der Gerechtigkeit“ (S. Prudhomme). Wenn die Gerechtigkeit verletzt wird, sollten wir uns mehr darüber aufregen! Wir lassen uns viel zu viel bieten, ohne uns zu wehren, sagt St. Hessel, und damit hat er Recht: „Empört Euch“: en francais: „Indignez vous!“179

      ► Antithesen: Der Zorn hat als Untugend auch eine bösartige Seite: „Ach, der Zorn verderbt die Besten“ (F. von Schiller). „Der Zorn verrät ein böses Gewissen“ (F. von Schiller). „Ein kurzes Wort mit Unbedacht bringt Jahre voller Zorn und Krach“ (A. Bechstein). Mitunter kann es schlimm ausgehen, denn: „Der Zorn schafft eine Waffe“ (Vergil). Vielfach gilt: „Im Zorn trifft man nur selten gute Entscheidungen“ (E. Limpach). „Keine Leidenschaft trübt die Unvoreingenommenheit des Urteils mehr als der Zorn“ (M. de Montaigne). Auch der Glaube der Juden stellt richtig: „Sobald der Mensch in Zorn gerät, gerät er in Irrtum“ (Talmud). Und: „Nimmer hat die Wut sich gut verteidigt“ (Shakespeare). Manchmal geht es hitzig zu: „Wo es funkt, kann es heiß werden“ (P.F. Keller). Aber: „Jähzornige Frauenzimmer – gleich wie Männer auch – sind weniger schlimm als stille Wasser, welche tief“ (Euripides). Man glaubt es kaum: „Auch im Lamm ist Zorn“ (Sprichwort). Nicht selten: „Ohnmacht züchtet Wut“ (E. Pannek). Zuweilen gilt auch: „Nicht durch Zorn, sondern durch Lachen tötet man“ (F.W. Nietzsche). Manchmal geht es sehr laut zur Sache: „Zorn ist eine große Kraft, die mehr Leid als Freude schafft“ (L. Hirn). Und: „Ärger ist wie Säure. Er zerfrisst vor allem das Gefäß, in dem er sich befindet“ (P. Hohl). Zum Schluss: „Der Zorn lässt die Menschen nicht alt werden“ (Sprichwort). Deshalb kommen wir zu dem klaren Ergebnis: „Wut muss man bekämpfen“ (Shakespeare).

      ► Synthese: „Kann sich der Mensch einerseits in seiner Erregung wehren, aber anderseits sein eigene Wut bekämpfen? Ja, denn alles zu seiner Zeit. Manchmal muss man sich u. U. auch lautstark empören, z. B. wenn ein hilfsbereiter älterer Mensch von einem Rüpel niedergeschlagen und obwohl er hilflos am Boden liegt immer noch getreten wird.“* In anderen Fällen ist es wichtig, dass man sich zusammenreißt, nämlich wenn man sich aus persönlichen Gründen verständlicherweise geärgert, der Partner es aber ganz anders gemeint hat. Merke: „Missverständnisse lösen nicht selten Zorn aus.“* „Auch zu viel Alkohol kann Zorn mit sich bringen.“*

      Deshalb: „Der Edle bändigt seinen Zorn und mäßigt seine Triebe“ (aus China). Wie kann man auf Zorn reagieren? Vor allem: „Dem Zornigen soll man das Schwert nehmen.“ Außerdem: „Tue nie etwas aus momentanem Zorn heraus.“ Der folgende gute Rat ist schon sehr alt: „Das größte Gegenmittel gegen den Zorn ist der Aufschub“ (Seneca). „Manchmal ist es gut, dass man ausweicht (z. B. nach draußen gehen), wenn man den Zorn spürt.“* Denn: „Zorn ist ein Windsturm, der die Lampe des Verstandes ausbläst“ (R.G. Ingersoll). Folgendes ist auch richtig:

       „Es ist besser, im Zorn zu kommen und im Frieden zu gehen, als in Frieden zu kommen und im Zorn zu gehen“

       (W.J. Reus)

      Übrigens: „Gemütsmenschen kommen aufgrund ihres Wesens mit der Bekämpfung von Wut besser zurecht als Choleriker, da diese meistens zum Aufbrausen neigen.“* Zum Schluss versöhnlich: „Wenn der Zorn verebbt, flutet die Reue“ (G. Uhlenbruck).

      Der Neid ist das ethisch vorwerfbare, intensive Empfinden des Menschen, nämlich seine Auffassung, die Besserstellung anderer Menschen sei ungerechtfertigt. Bosheit, Feindseligkeit, ohnmächtiges Begehren, verborgener Groll und Gehässigkeit beschreiben dieses Laster.180 Es ist eine Missgunst mit dem Wunsch, diese Besserstellung (z. B. Besitztümer, Gesundheit, Schönheit, Status) selbst zu besitzen bzw. ist das große Verlangen, sie anderen wegnehmen zu wollen. Im Christentum zählt der Neid zu den 7 Todsünden, weil gerade er die dunkle Seite der menschlichen Natur zeigt. Das Gegenteil des Neids ist das Wohlwollen. Neid hat viele, aber kaum freundliche Gesichter.181 Nach Nietzsche begründet sich die soziale Gerechtigkeitsbewegung in dem Neid der zu kurz Gekommenen und sie zeigt sich z. B. im Sozialneid. Der kollektive Neid ist oft verbunden mit der Empörung über die ungerechte Güterverteilung und kann weitgehende politische Wirkungen haben.182 „Gerade heute ist Sozialneid nicht zu unterschätzen.“* Niccolo Paganini meint grundsätzlich: „Die Tüchtigen werden beneidet, den Talentierten wird geschadet und die Genies werden gehasst.“ Demgegenüber gibt es bei den Tieren den Futterneid. Auch der Neid lässt sich unterschiedlich bewerten.

      ► Der Neid ist heute in unserer Gesellschaft als Untugend leider sehr weit verbreitet, denn: „Die gefährlichsten Herzkrankheiten sind immer noch Neid, Hass und Geiz“ (P.S. Buck). „Der Neider gönnt anderen auch das nicht, was er selbst nicht haben möchte“ (M. Pickford). Aus Frankreich stammt die Erkenntnis: „Der Neid ist die Wurzel aller Übel.“ Er lässt den Betroffenen einfach nicht in Ruhe, wie uns ein Spruch aus Großbritannien vermittelt: „Der Neid ist sein eigener Folterknecht.“ Eigenartig ist, dass ein Neider die Gegebenheiten meist überzogen bewertet: „Neid schaut immer durchs Vergrößerungsglas“ (E. Blanck). In der Gruppe hat es sich auch folgendes gezeigt: „Auf Neid ist mehr Verlass als auf Solidarität“, wie H.J. Quadbeck-Seeger richtig bemerkt. Mitunter kommt der Neid schneller auf als uns recht sein kann: „Kaum hat mal einer ein bissel was, gleich gibt es welche, die ärgert das“ (W. Busch). Zuweilen setzt sich der Neid längerfristig fest: „Unser Neid dauert stets länger als das Glück derer, die wir beneiden“ (La Rochefoucauld). Wer anderen etwas neidet, behält es meist nicht für sich: „Die Tochter des Neids ist die Verleumdung“ (G. Casanova). Deshalb sind wir über folgendes nicht erstaunt, was J.W. von Goethe erkannt hat: „Man darf sich nicht wundern, wenn Neid schnell in Hass übergeht.“ Neid hat auch eine Schwester: Die lachende Schwester des Neides ist die Schadenfreude.183 Sie ist eine positiv erlebte Emotion, der in der Regel Neid vorausgegangen ist, obwohl die angemessene Reaktion Mitleid wäre.

      ► Ist der Neid der Menschen wirklich so groß oder ist das alles übertrieben? Die deutsche Sozialwissenschaftlerin N. Pomes beschwichtigt: „Neid zeigt uns unsere Wünsche.“ Spitzbübisch ist die Feststellung von W. Busch: „Der Neid ist die aufrichtigste Form der Anerkennung.“ Ähnlich: „In Deutschland ist die höchste Form der Anerkennung der Neid“ (A. Schopenhauer). Manchen zurückgezogen lebenden Menschen baut der Neid sogar auf: „Nichts hilft so gut, die Einsamkeit zu überbrücken wie der Neid“ (M. Genin). Nach Oscar Wilde ist Neid auch mit Anerkennung verbunden, denn: „Die Anzahl unserer Neider bestätigt unsere Fähigkeiten.“ Vor allem wird einem der Neid nicht geschenkt: „Neid muss man sich sehr hart erarbeiten“ (E. Reuter). Es ist bekannt: „Mitleid bekommt man geschenkt, Neid muss man sich verdienen“ (R. Lembke). Der griechische Arzt und Dichter Epicharmos geht noch weiter: „Wer von niemandem beneidet wird, der ist nichts wert.“ Mancher genießt den Neid: „Erfolg ist nur halb so schön, wenn es niemanden gibt, der einen beneidet“ (N. Mailer).

      ► Was lernen wir daraus? Der Menschenkenner A. Schopenhauer bringt es auf den Punkt: „Wir denken selten an das, was wir haben, aber immer an das, was uns fehlt.“ Müssen wir wirklich gegenüber anderen Menschen neidisch sein? Ich