Der mondhelle Pfad. Petra Wagner

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Название Der mondhelle Pfad
Автор произведения Petra Wagner
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783867779579



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Tarians Jammern wurde ein Jaulen. Loranthus verstand das nicht, er fand geschmorte Hähnchen absolut schmackhaft. Also bat er Arminius um eine Erklärung und der tätschelte Tarian noch einmal den Kopf, damit er endlich Ruhe gab.

      „Flora schneidet jedem die Haare, wenn es auf Lugnasad zugeht. Tarian konnte das noch nie leiden. Schon als kleines Kind hat er gebrüllt, als koste es sein Leben, wenn sie mit der Schere auf ihn zukam.“

      Loranthus verzog das Gesicht.

      „Bei Hera! Stell dich nicht so an, Tarian! Deine Haare sind so lang, da kommt es auf ein paar Fingerbreit nicht an!“

      „Ja, genau!“, grölte Conall und deutete hinter sich. „Ich hab’s schließlich auch geschafft und nicht geheult. Und bei mir wäre das immerhin gerechtfertigt gewesen.“

      Arminius klopfte seinem ältesten Sohn tröstend die Schulter.

      „Noeira meinte zu Flora, es sähe ungleichmäßig aus.“

      Conall wedelte erschrocken mit den Händen.

      „Nein! Das bildet sie sich nur ein! Mutter muss sich mit meinen paar Fransen nicht noch extra Arbeit aufbürden! Schließlich soll sie sich schonen. Zu viel stehen …“

      „Nun ist es aber gut!“, mischte sich jetzt Silvanus ein und warf viele kleine Stückchen Stroh in die Höhe. „Ich bin immer als Erster dran und ihr wisst doch ganz genau, dass Mutter für meine Haare den ganzen Abend braucht. Und außerdem war ich es, dem sie schon mal ins Ohr geschnitten hat und nicht einer von euch! Also. Seht ihr mich jammern? Nein.“

      „Ich jammre auch nicht, Silvanus!“, rief Loranthus und machte winkend auf sich aufmerksam.

      „Das solltest du aber, Loranthus! Auch für dich kommt der Abend“, weissagte Medan und nickte wissend.

      „Jeden Tag wird es Aben … Was?!“

      Loranthus sah sich nach einer Fluchtmöglichkeit um, aber Conall lehnte ganz entspannt und ziemlich schräg am Tor. Bei seinem gehetzten Blick fand Tarian seine eigenen Leiden nur noch halb so schlimm, doch so schnell gab sich Loranthus nicht geschlagen. Hastig zerrte er eine Strähne seiner Locken in die Länge und maß sie mit seinen gespreizten Fingern.

      „Drei Handspannen! Bei mir lohnt sich das doch gar nicht!“

      „Nur keine falsche Bescheidenheit!“, feixte Tarian. „Ich würde schon sagen, dass sie ganz ordentlich gewachsen sind, seid du bei uns bist. Wenn du sie so in die Länge ziehst, gehen sie immerhin schon bis zu deinen Schultern!“

      Loranthus ließ sofort los und die Strähne schnappte zurück. Sicherheitshalber stauchte er seine Haare an der Stelle noch extra zusammen.

      „Ich wollte doch mit Flora das Glücksbrot ansetzen! Da bleibt gewiss keine Zeit mehr für solch aufwendige Unterfangen!“

      „Glücksbrot? Ha! Das ich nicht lache!“, grölte Conall. „Das bisschen Mehl, Milch und Honig habt ihr beide im Handumdrehen zusammengerührt und dann muss der Teig erst mal ruhen! Also bleibt genug Zeit.“

      Loranthus zupfte an seinem schwarzen Wuschelkopf.

      „Aber damit muss Flora nicht ihre Zeit verschwenden!“

      Arminius tätschelte ihm beruhigend die Schulter.

      „Keine Panik. Flora verschwendet weder ihre Zeit, noch deine paar Ringellöckchen! Elektra hat ihr ganz genau gesagt, wie viel bei dir weg soll.“

      Alle Bauern im Königreich nutzten das schöne Wetter aus und bald hallten rund um den Uhsineberga die Schergeräusche von Messerbalken und Sensen. Die Männer füllten die Körner in Säcke und warfen sie auf die Wagen, die Frauen drehten sich Stricke und bündelten das Stroh. Das warfen sie wiederum auf Wagen mit besonders hohen Seitenteilen. ‚Leiterwagen‘ sagten sie dazu.

      Oben standen die jungen Maiden und pressten alle Ballen sorgfältig ineinander. Das war eine sehr wichtige Prozedur, denn das Stroh war zwar leicht, konnte aber, je höher es lag, einen Wagen zum Kippen bringen. Die Kinder pflückten Kornblumen oder hoben liegengebliebene Halme auf und machten daraus einen Wettstreit.

      Am dritten Tag genossen sie ihr Mittagessen auf dem Feld hinter dem Birkenwäldchen und flochten nebenbei Kränze aus Kornblumen. Das ging recht schnell und danach war Mittagsruhe.

      Alle Männer hatten die Köpfe bei ihren Frauen in den Schoß gebettet und die Augen geschlossen.

      Silvanus zückte seine Hirtenflöte, Conall und Tarian spielten mit. Viviane, Lavinia, Robin und Hanibu teilten sich die Tin Whistles und fügten sich in die Melodie ein.

      Loranthus schielte auch zu seiner selbst gemachten Flöte, überlegte es sich anders und ließ stattdessen lieber seinen Blick über das abgeerntete Feld schweifen. Aus den Augenwinkeln betrachtete er seine Gastfamilie.

      Arminius und Flora hielten sich an den Händen. Noeira stillte die kleine Belisama, die es sich auf der Stirn ihres Vaters bequem machte. Armanu hockte bei Tarian auf dem Bauch und kaute sabbernd auf einer Brotrinde herum. Das ging auch ohne Zähne und Taberia passte auf, dass sie keine Brocken verschluckte.

      Loranthus bekam glasige Augen, lehnte sich an die Eiche und blinzelte durch die vergoldeten Blätter zum Himmel. Hanibu beobachtete ihn, nahm die Tin Whistle von Robin entgegen und lächelte.

      Sie wusste genau, wie er sich jetzt fühlte.

      Hier hatten sie beide ein neues Leben gefunden und mussten wieder zurück in ihr altes. Loranthus würde sie mit nach Kreta nehmen und dort würde sie eine Sklavin von vielen sein. Aber Loranthus war ein guter Herr. Sie hatte keine Angst. Allerdings würde sie Viviane vermissen, ihre Familie und … Lew. Hanibu reichte die Tin Whistle an Robin zurück. Sie brachte keinen Ton mehr heraus.

      Wenigstens würde sie Lew noch ein letztes Mal sehen. Viviane hatte ihr erzählt, dass zu Lugnasad alle Königreiche in einem großen Lager zusammenkamen. Die wandernden Barden zogen bei den Königen mit, denen sie gerade ihre Künste darboten. Bei diesem Fest würden sogar alle Barden in einen Wettstreit treten und Hanibu hoffte, dass Lew gewann. Er spielte auf seiner Harfe so herrlich wie ein Gott − so schön, so klug, so königlich. Man konnte ihn nur lieben.

      „Was?! Großmutter Mara! Du kommst nicht mit?“

      Loranthus fiel das Weißbrot samt Rührei fast aus der Hand und er war mit hektischen Abfangbewegungen beschäftigt, weshalb er nicht bemerkte, wie Mara griente.

      „Du brauchst doch nicht gleich alles fallen lassen, Loranthus! Die Hörner rufen erst morgen früh!“

      Seufzend klatschte Loranthus sein matschiges Rührei ins Brot und rollte alles fest zusammen.

      „Das habe ich mir ja schon gedacht, dass sie uns zum Sammeln rufen, aber ich hatte auch gedacht, dass alle mit zu Lugnasad gehen. Das habe ich gelesen.“

      „Was du alles für ein Zeug liest!“ Mara schüttelte strafend den Kopf und tätschelte begütigend seine Hand. „Loranthus. Denk doch mal logisch. Bis zur Festwiese seid ihr zwei Tage unterwegs. Das Fest dauert mehrere Wochen, danach wieder nach Hause … Wer soll sich denn solange um das Viehzeug kümmern? Alle alten Leute bleiben hier.“

      „Ach ja, daran habe ich gar nicht gedacht“, murmelte Loranthus und sah schuldbewusst zu Arminius. „Ein Bauer denkt immer zuerst an sein Viehzeug?“

      Arminius nickte nachsichtig.

      „Sehr richtig, Loranthus. Deshalb bleiben die Ältesten zu Hause.“

      „Aber dann verpasst Großmutter Mara die Wettspiele, die Händler, ihre Verwandten …!“

      Mara tätschelte ihm noch schwungvoller die Hand und winkte ab.

      „Ich habe in meinem Leben schon so viele Male Lugnasad gefeiert … Glaube mir, Loranthus: Für mich ist es nicht so schlimm, darauf zu