Der mondhelle Pfad. Petra Wagner

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Название Der mondhelle Pfad
Автор произведения Petra Wagner
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783867779579



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den Hals recken und fand das Spektakel, dass sich ihm bot, wirklich sehenswert.

      Alle Cerrag-Fahrer hatten freie Oberkörper, und es war imposant anzusehen, wie ihre Muskeln arbeiteten, um gegen die Strömung zu paddeln, die trotz des Niedrigwassers beachtlich war. Armmuskeln, Bauchmuskeln, Beinmuskeln und sogar die Rückenmuskeln bewegten sich höchst geschmeidig und nebenbei unterhielten sie sich sogar noch mit den Leuten am Ufer, ohne in Atemnot zu geraten. Die Leute in der Wagenkolonne gaben lautstark ihre Prognosen ab, wer wohl als Erster im Lager ankommen würde, und es wurden Wetten abgeschlossen. Sogar Lavinia und Robin beteiligten sich mit einem Wetteinsatz, Loranthus wollte aber nicht mithalten.

      Ihre jeweiligen Favoriten machten beide einen vielversprechenden Eindruck, nur die Cerrags stimmten ihn äußerst skeptisch. Es hätten genauso gut Walnussschalen sein können, die da auf dem Wasser schaukelten, nur dass sie wesentlich größer waren und aus einem Weidenrutengeflecht, bespannt mit Rindsleder, bestanden. Diese simple Konstruktion machte sie aber derart leicht und wendig, dass sie viel schneller vorwärts kamen, als der Tross auf der Straße. Bald waren sie aus ihrem Blickfeld verschwunden und Lavinia hielt wieder nach vorbei rasenden Schnecken Ausschau.

      Loranthus widmete seine Aufmerksamkeit den baumlosen Bergkuppen mit ihren Burgen. Beim Pendeln zwischen rechts und links schweifte sein Blick jedes Mal über die grüne Flussebene mit ihren abgeernteten Getreidefeldern. Mit einigem Stolz in der Stimme zählte er auf, was er auf den restlichen Feldern für Gemüse sah und erkannte anhand der fast kahlen Stängel sogar ein Feld mit Färberwaid. Er bildete sich sogar ein, die bläulichen Schoten in den hochragenden Dolden auszumachen. Wenn er Blumen und Kräuter am Wegrand nicht kannte, half Lavinia ihm aus und er wiederholte ihre Namen mehrmals, um sie sich besser zu merken. Lavinia lauschte seinem Vortrag und nickte, als wäre sie mit ihrem Schüler zufrieden, während Robin erneut in seiner andächtigen Starre ausharrte.

      Nach einer kurzen Rast am Mittag ging es weiter. Nicht lange, da waren die Kinder eingeschlafen und nahmen mit ihren Köpfen Loranthus’ Schoß in Beschlag. Sorgsam schlang er sich die Zügel um seine Handgelenke, damit die losen Enden die beiden nicht an den Nasen kitzelten und bedeutete den anderen mit der entsprechenden Geste, dass die Kinder schliefen.

      Um ihren Schlummer nicht zu stören, betrachtete er die Gegend nun still und sah nebenbei zu Viviane, Hanibu, Arminius und seinen Gastbrüdern, die vor ihm auf den Pferden ritten, während Flora, Noeira und Taberia gleich dahinter die Ochsenkarren lenkten. Unvermittelt wallte Dankbarkeit in ihm hoch und schwappte über.

      Sie hatten zusammen gearbeitet, gegessen, getrunken, gefeiert und er wusste, besser hätte er es nicht treffen können. Verstohlen wischte er sich die Augen, denn die Leute vom Baier und Pleß reihten sich ein und vor denen wollte er sich keine Blöße geben. Er musste öfters blinzeln, bis er die borstige Wildsau und das Huhn auf ihren Standarten deutlich sah.

      Viviane rutschte sich auf Arion zurecht, als wappnete sie sich für eine Schlacht und hob sogar unbewusst ihren Schildarm. Nach einem Blick zur leeren Faust lachte sie über sich selbst, schnalzte vergnügt mit der Zunge und führte Arion neben die Pferde von König Gort, Amaturix und Wahedon. Könige und Heerführer begrüßten sich, danach ritten die Könige an der Spitze dem langen Tross voraus und Viviane kam zu ihrer Familie zurück. Schon von Weitem sah Silvanus, wie sie die Augen rollte.

      „Und? Wie sieht Naharrix aus?“, fragte er vorsichtig und strich sich durch die offenen Haare.

      Viviane schnaubte, lenkte Arion an seine Seite und knurrte leise: „Als wäre er nie krank gewesen. Seine Augen sind nicht mehr blutunterlaufen und er riecht auch gesund.“

      „Aber?“

      „Nichts ‚aber‘. Ich bin froh, dass es ihm gut geht.“

      „Aber?“

      Silvanus zwinkerte wie Ethmanja, wenn sie spielen wollte. Viviane legte den Kopf ins Genick, starrte gen Himmel, dann kapitulierte sie vor so viel Beharrlichkeit und warf das Stöckchen.

      „Er hört sich seltsam an.“

      Silvanus riss seinen Mund auf und blaffte: „Seltsam?“

      „Siehst du! Ich hab’s doch gleich gesagt, da ist nichts weiter!“

      „Nein, Viv! Jetzt red schon! Ich bin ganz Ohr!“

      Zur Bestätigung seiner Worte drückte er beide Ohren nach vorne und zog sie ein bisschen zurück, wieder vor. Das brachte Viviane zum Kichern. Funktionierte immer.

      „Also gut. Ich erkläre es dir! Aber du darfst nicht lachen!“

      Silvanus klemmte sich die Zügel zwischen die Zähne, legte sich die rechte Hand aufs Herz und hob die linke.

      „I geb di mei Ehnwod.“

      „Er putzt sich so komisch die Nase.“

      „He?!“

      Vor Verblüffung fielen Silvanus die Zügel aus dem offenen Mund, doch er versuchte, nicht zu lachen. Vergeblich. Pünktlich zum Mienenabgleich kam Ethmanja angezockelt und sah ihm verdächtig ähnlich, außer dass Silvanus nichts im Mund hatte − Ethmanja aber sehr wohl, was daran lag, dass sie zum Betteln im Tross unterwegs gewesen war.

      „Das ist so“, seufzte Viviane. „Früher … also vor fünf Jahren … und davor … seitdem ich denken kann …“

      „Also etwa seit sechs Jahren …“, rechnete Silvanus aus, grinste provozierend und drehte den Zeigefinger in der Luft. Wahrscheinlich hätte er ihn sechs Mal kreisen lassen, wenn Ethmanja das nicht falsch verstanden hätte und sich schon wieder auf den Weg zu schmackhaften Beutezügen machte. Außerdem war ihm noch sein Versprechen eingefallen, natürlich erst nach Vivianes ‚Ich hab’s doch gewusst‘-Blick.

      „Seit ich denken kann …“, knurrte sie und hakte ihre Kieferknochen wieder auseinander. „ … hatte Naharrix immer die schönsten Schnupftücher, feinstes Lein mit aufgestickter Wildsau in einer Ecke. Und in diese Ecke hat er nie hinein geschnäuzt. Nie! Verstehst du, Silvanus?“

      „Ja, ich weiß, was du meinst, Viv“, beteuerte Silvanus und nickte sehr tief mit dem Kopf, als stünde er am Krankenlager eines Todgeweihten.

      Viviane legte den Kopf schräg und trommelte mit den Fingern auf ihrem Schwertgriff herum, das eindeutige Zeichen, es nicht zu übertreiben.

      „Früher haben wir uns gerne darüber lustig gemacht“, beeilte er sich also hinzuzufügen und schniefte übertrieben. „Wir haben immer die Hälse gereckt und spekuliert, wann er denn endlich mal aus Versehen auf sein Wappentier rotzen tut.“

      „Und niemals, Silvanus, niemals hat einer von uns die Wette gewonnen.“

      „Sehr richtig. Aber was hat ein sauber gehaltenes Wildsau-Emblem mit ‚Er hört sich seltsam an‘ zu tun?“

      „Also.“ Viviane holte Luft. „Erstens, Naharrix hat gerade eben … vor meinen Augen … genau auf die gestickte Wildsau gerotzt.“

      „Oh! Meinen herzlichsten Glückwunsch, Viv! Da bekommst du von mir bei nächster Gelegenheit eine besonders schöne Elderflöte geschnitzt!“

      Viviane verdrehte die Augen wieder gen Himmel, doch dann schürzte sie die Lippen.

      „Wetteinsatz angenommen, Silvanus. Gutes Gedächtnis. Aber das habe ich auch und deshalb ist da noch etwas anderes, was mich stutzig macht.“

      Silvanus wedelte wieder mit den Ohren und reckte erwartungsvoll den Hals. Viviane beugte sich ganz nah zu ihm hinüber, während sie Arion auf Abstand hielt, damit die Pferde nicht aneinander gerieten.

      „Wenn sich Naharrix die Nase putzt, hört sich das jetzt anders an als früher.“

      Silvanus reagierte, als wäre der Todgeweihte plötzlich mit viel Elan aus dem Bett gesprungen. Viviane quittierte sein Mienenspiel mit einem sehr ernsten Kopfnicken und machte ihn durch Handzeichen darauf aufmerksam, dass er gleich vom Pferd kippte.

      „Ich weiß schon, was du sagen willst, Silvanus. Aber ich bin der Meinung, wir sollten uns noch kein Urteil erlauben. Da