Der mondhelle Pfad. Petra Wagner

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Название Der mondhelle Pfad
Автор произведения Petra Wagner
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783867779579



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      „Das ist gut. Ich hätte mir sonst echte Sorgen gemacht. So ein angriffslustiger Wurm oder eine gefräßige Made sind ja auch wirklich zum Fürchten.“

      Medan prustete los.

      „Wenn sie als Wildsau wiedergeboren werden, können sie einen richtig arg erwischen.“ Loranthus verzog das Gesicht.

      „Daran habe ich gar nicht gedacht. Und wenn ich so recht darüber sinniere, kann auch ein Wurm giftig sein und manch einer ist auch schon an anderen Kleinigkeiten gestorben: verdorbener Fisch, Gräte, Hühnerknochen, Schlangenbiss, Hundebiss … Jetzt liegen alle auf dem Boden.“

      „Sie danken Dis und allen anderen Göttern, dass ihre Bitte erhört wurde, besonders aber Hall und Ogmios. Guck, der Schwellenrauch erlischt langsam. Die Schwelle zur Anderswelt kann nun nicht mehr überschritten werden. Gleich kommen sie aus dem Heiligtum heraus.“

      „Sag mal, Medan, kann ich eigentlich auch mal euer Heiligtum betreten?“

      „Natürlich. Wenn du Afal noch eine Opfergabe für das Nementon mitbringst, führt der dich bestimmt extra lange herum und du kannst jede Opfergabe einzeln betrachten, nebst Erklärung, warum sie dort liegt. Kommst du gegen Abend, schleppt dich Afal vielleicht sogar mit rüber zum Geißkopf. Dort erklärt er dir ganz genau, wie er die Sterne vom Himmel holt und zeigt dir seine Sammlung an Knotenmustern. Wenn du Glück hast, darfst du seine Sternenmuster mit der echten Konstellation vergleichen. Pass also auf, dass du nicht in den See der Weisheit fällst.“ Medan deutete nach vorne. „Sie kommen zurück. Guck mal zum inneren Burgtor, Loranthus! Dort laufen die Opferdruiden mit den jungen Stieren für das Großopfer. Wir können wieder runter. Die Reinigung ist vorbei.“

      Als Loranthus, Medan und die andern jungen Leute wieder bei ihren Familien standen, liefen gerade zwei Stiere nacheinander aus dem äußeren Burgtor und steuerten einen Wall aus Gras und Holz mitten auf der Wiese an. Loranthus konnte seinen Blick gar nicht mehr abwenden. Es war eine erhabene Prozession, die er da zu sehen bekam.

      Die Stiere waren mit Blumenkränzen geschmückt, ihre langen Hörner mit Efeu umwunden. Sie wurden von je einem niederen Opferdruiden geführt, deren weiße Gewänder einen schlichten Gegensatz zu den prachtvollen Stieren bildeten. Dahinter liefen Afal, König Gort, Gardan und die Kämpfer in Zweierreihen. Medan und Loranthus sahen Wahedon, Silvanus, Oen, Harthu, Arminius, Tarian, Conall, Zanadu, Hirlas, Wadi, Rivu, Nion, Susanne, Ria, Beth … über die Wiese schreiten, doch ihr besonderes Augenmerk galt Viviane. Sie hatte nicht mehr diesen schweren Schritt wie vorhin, sondern ging aufrecht und würdevoll neben Amaturix. Und ihr wallendes Mahagonihaar war noch genauso üppig wie vorher.

      Die Stiere machten vor dem Wall halt, der fast mannshoch über die Wiese ragte. Die Kämpfer stellten sich im Halbkreis darum, der restliche Clan postierte sich gegenüber und vollendete den Kreis. Loranthus stand ganz still zwischen Hanibu und Medan, erwartungsvoll beobachtete er Afal.

      Er hatte immer noch diesen exotischen Mantel aus Tierfellen und Rabenfedern an und wenn sein Kopf nicht eindeutig menschlich gewesen wäre, hätte er auch ein skurriles Wesen aus der Anderswelt sein können. Wie zu Beltaine reichte er auch diesmal jedem Tier aus einer goldenen Schale eine Hand voll Kräuter und machte mit seinem Daumen das Zeichen der vier Himmelsrichtungen auf ihrer Stirn. Mit sanfter, aber kraftvoller Stimme bedankte er sich bei ihnen, weil sie ihr Leben gaben. Seine letzten Worte waren kaum verklungen, da legten sich die Stiere auch schon ins Gras. Schnaufend schlossen sie die Augen.

      Vollkommene Stille trat ein. Afal breitete die Arme aus, senkte sie herab zur Erde und schwang sie hinauf zum Himmel. Alle knieten nieder.

      „Allmächtige Götter! Wir, die Nachkommen des stolzen Cernunnos danken euch. Ihr habt uns in der Not beschützt, unsere Waffen gelenkt und uns den Sieg über die beschert, die den Frieden nicht ehren, den ihr uns gelehrt habt. Nirgends werden die Bitten von uns Sterblichen so nahe vernommen wie hier, wo durch eure Huld das weiße Gold entsteht und deshalb bitten wir euch: Nehmt unsere toten Gefährten in allen Ehren in der Anderswelt auf und gebt ihren unsterblichen Seelen Ruhe und Frieden. Lasst sie wieder eintreten in diese, unsere, Welt, wenn ihr es denn wollt und wacht mit eurer göttlichen Macht über den ewigen Kreis unser aller Sein, hier und immerdar. Ihr Götter! Dieses Großopfer soll euch beweisen, wie sehr wir eure Gunst achten und begehren. Wir bitten euch: Nehmt unser Opfer wohlwollend an.“

      Afal hob sein Hirschhornmesser zum Himmel und drehte sich mit ausgestreckten Armen um seine Achse. Würdevoll, ja sogar anmutig, schnitt er damit den Stieren die Halsschlagadern auf; betäubt von den Kräutern, merkten sie es nicht mehr.

      Ihr Blut wurde von den niederen Opferdruiden aufgefangen und in große bronzene Kannen geschüttet, deren Ausgüsse wie Hirschköpfe geformt waren, die Henkel wie Geweihe. König Gort und Afal nahmen die Kannen entgegen, stellten sich Rücken an Rücken und hoben sie feierlich zum Himmel. Dann gingen sie in entgegengesetzte Richtungen und gossen den Inhalt im Kreis um den Wall, bis der letzte Tropfen geopfert war. Als sie zusammentrafen, ließen sie die Kannen erneut füllen und hoben sie wieder zum Himmel. Drei mal umrundeten sie so den Opferplatz und es entstanden drei rote Kreise.

      Den Stieren wurden nun die Köpfe abgetrennt. Auch das machte Afal selbst und Loranthus stellte fest, dass es ihn gar nicht störte, so nahe dabei zu stehen. Es waren ja auch keine Menschenköpfe, die auf den Wall gelegt wurden. Aber es wirkte schon irgendwie grotesk, wie die Stierköpfe von der Erhöhung herabsahen, der eine nach Osten, der andere nach Westen. Blumen und Efeu waren so üppig, dass es nicht nur den gesamten Wall bedecke, sondern auch noch bis ins Gras hinab rankte.

      Loranthus überlegte, wie es wohl von oben aussehen musste, aus der Sicht der Götter. Er kam zu dem Schluss, dass es auf sie wirken müsste wie ein abstraktes Blumengebinde. Seltsam belustigt richtete er seinen Blick wieder auf die irdischen Dinge.

      Die Opferdruiden häuteten die Stiere, schnitten lange Fleischscheiben ab und legten diese in große Holzbottiche. Alles wurde mit einer dünnen Schicht Salz und Kräuter bedeckt, darauf folgte die nächste Lage Fleisch. Herzen und Lebern wurden ebenfalls geschnitten und gewürzt, kamen aber in kleinere Bottiche. Die Mägen der Tiere wurden mit Speck und Blut gefüllt und verknotet, die restlichen Eingeweide waren für die Hunde. Jetzt blieben nur noch die Gerippe übrig. Sie wurden in mehrere Kessel verteilt und zu Holzstößen getragen, die etwas abseits aufgeschichtet waren. Nun war von den Stieren alles da, wo es hingehörte.

      Loranthus kam nicht umhin zu bemerken, wie sauber der Platz am Ende aussah.

      Afal schabte einen Feuerstein über sein Feuereisen und ließ gekonnt die Funken in das trockene Gras spritzen. Schon qualmte es und die Boten begaben sich von Mutter Erde zu Vater Himmel. Bald entschwand der Rauch, dafür brannte nun der ganze Wall lichterloh und lockte die Götter herbei zum Opferschmaus.

      Afal hielt eine Fackel ins Feuer und reichte sie König Gort. Der lief damit von einem Holzhaufen zum nächsten und zündete sie an.

      Als wäre dies eine Aufforderung, gingen alle Clanmitglieder an den Bottichen vorbei und nahmen sich Fleischscheiben, die Stücken von Herz und Leber waren allerdings den Kriegern des Königs vorbehalten.

      Nach Dörfern geordnet setzten sie sich um die Feuer, steckten das dünne Fleisch wellenförmig auf bereitliegende Spieße und hielten es in die Flammen.

      Loranthus wartete darauf, dass seine Scheibe gar wurde und lugte nebenbei in den Kessel, der an einem Dreibein über dem Feuer hing. Morgen würde es also Fleischbrühe geben. Lavinia schien seine Gedanken zu erraten, sagte aber nichts, sondern lächelte nur. Bis auf schwaches Babygeschrei war auf der gesamten Wiese kein Laut zu hören. Abrupt verstummte auch dieses Geräusch, alle warteten.

      Arminius drückte sein Fleisch prüfend zwischen den Fingern und nickte zufrieden. Bedächtig schnitt er die Hälfte ab und warf sie ins Feuer. Es zischte kurz auf, teilte sich, und schon schlugen die Flammen wieder zusammen, züngelten gierig empor. Arminius schob seinen Spieß in die Erde, ging auf die Knie und legte die Hände flach auf die Wiese. Alle taten es ihm nach, auch Loranthus und Hanibu.

      „Heilige Mutter Erde, du gibst uns das Leben, du gibst uns Nahrung, du gibst