Название | Menschen im Krieg – Gone to Soldiers |
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Автор произведения | Marge Piercy |
Жанр | Книги о войне |
Серия | |
Издательство | Книги о войне |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783867548724 |
»Eben. Ich begreife nicht, wieso deine Familie das duldet.«
Abra betrachtete ihn und überlegte, welchen Grad an Frechheit sie sich gestatten würde. Sie hatte sich das selber eingebrockt, indem sie sich mit jemandem aus ihren eigenen Kreisen eingelassen hatte. Das hatte sie bisher noch nie getan, und sie beschloss, es in Zukunft zu vermeiden. Der einzige Vorteil, den sie entdecken konnte, war, dass sie den weiteren Verlauf des Gesprächs kannte, bevor dessen öde Vorhersehbarkeit von ihnen durchgespielt worden war. Sie stand auf, ging zur Wohnungstür, öffnete sie und stellte sich daneben.
Hank schaute sie verdutzt an. »Jemand draußen?«
»Du gleich, hoffe ich. Dein Mantel hängt am Haken. Hilf dir bitte selbst hinein.«
»Was soll das, Scotty? Das ist doch albern. Du kannst mir keinen Korb geben. Und nicht so.«
»Irrtum. Ich bin an Heirat nicht besonders interessiert. Und du wärst der Letzte, der in Betracht kommt.«
»Scotty, du weißt doch, dass wir uns lieben.«
In ihr blitzte Zorn über sich selber auf, sich in diese Bredouille gebracht zu haben. Sie musste das Tennisspielen aufgeben. Sie traf auf den Plätzen die falsche Sorte Männer. Die Männer, die sie auf Kundgebungen kennenlernte, waren eher ihr Fall. »Ich glaube, wir haben beide einen kleinen Fehler gemacht, der leicht zu beheben ist. Vergiss nicht deinen Hut.«
Langsam ging er rückwärts hinaus, Hut und Mantel immer noch in der Hand, und starrte sie fassungslos an. Dann rannte er die Treppen hinunter, und wenn die Haustür zuknallbar gewesen wäre, hätte er sie zugeknallt. Sie schloss sich jedoch in ihrem eigenen gemächlichen Tempo, mit einem pneumatischen Seufzer.
Abra dachte über die Ruine ihres Sonntags nach. Sie prüfte die Wasser ihrer Seele und fand sie nur lauwarm. Ein guter Tag, um zu Hause zu bleiben und etwas mehr an ihrer Doktorarbeit zu tun, als sie nur in der Öffentlichkeit zu erwähnen. Ihre Seminare würden bald abgeschlossen sein, aber sie hatte sich noch nicht ernsthaft ans Schreiben begeben. Sie sah sich um in ihrer kleinen, leicht künstlerisch angehauchten Bude mit der Hopi-Vase und der Mola aus Guatemala und der geschnitzten afrikanischen Gazelle, dunkler als die Nacht, inmitten leuchtend bunter Chintzkissen und zweihundert Jahre alter Möbelstücke aus der Familienrumpelkammer. Hank gehörte hier nicht her. Sie ja.
Die Ehe war für Abra etwas, das ihr in einem bestimmten Alter mit Sicherheit zufallen würde, so wie sie mit einundzwanzig ihr kleines Legat von ihrem Großvater Scott geerbt hatte und wie sie eines Tages von ihrer Großmutter Woolrich die Stühle mit den Leitersprossenlehnen erben würde, die sie dann irgendwo hinstellen musste, nebst einem weiteren Legat von dieser Familienseite mit sechsundzwanzig. Sie war der Überzeugung, dass die meisten ihrer Freundinnen aus dem College geheiratet hatten, um sich einen Platz zu erobern, eine Identität, doch dass sie sich ihren eigenen Platz schaffen konnte.
Sie verspürte kein Verlangen danach, reich zu sein; ihr Zweig der Familie hatte – zumindest seit dem Untergang ihrer Reederei – keinen Wert auf Geld um des Geldes willen gelegt, anders als ihr Onkel Frederick Woolrich, den sie immer gemocht hatte mit seiner Energie und seinem donnernden Gehabe, als gelte es, einen Sturm zu übertönen. Sie hatte Onkel Frederick im Verdacht, im Bett eine große Nummer zu sein, aber Inzest gehörte nicht zu ihren Lastern. Ganz im Gegenteil. Sie hätte Hank höflich sagen sollen, sie habe eine exogame Persönlichkeitsstruktur. Sie flog selten auf andere Blonde, und mit Hank war das Feuer einfach nicht angegangen. Ein Monat mit ihm war länger als ein Jahr mit Slim, dem schwarzen Saxophonspieler, obwohl sie sich in Wahrheit nur acht Monate lang hin und wieder mit ihm getroffen hatte. Slim lebte mit einer Frau zusammen, die das mit Abra irgendwann spitzbekommen hatte. Schade. Vor New York waren die einzigen Nichtweißen, die sie je zu Gesicht bekommen hatte, zwei ortsansässige indianische Fischer gewesen, doch Abra fand, dass sie dem liberalen Erbe der skandalösen Urgroßtante Abigail gerecht werden musste.
Abra war in Bath aufgewachsen, in einer Familie, die dort beste Beziehungen unterhielt und wohlbekannt war, wenn auch längst nicht mehr so wohlhabend wie noch vor ein paar Generationen. Es gab eine kleine Bucht, die nach der Familie ihres Vaters hieß (wo sich die eingegangene Reederei befunden hatte), und eine Insel, die nach der Familie ihrer Mutter hieß. Sie war mit ihren beiden Brüdern in einem adretten weißen neoklassischen Haus mit Kuppel in der Washington Street aufgewachsen. Die Porträts an den Wänden zeigten nicht die Ahnen, sondern ihre Schiffe: Steife, förmliche Ölgemälde der Ebeneezer Scott, der General Abraham Woolrich unter unglaubwürdig vollen Segeln auf statischen Wellen wechselten sich ab mit naiven Darstellungen berühmter Schiffbrüche, die Mary Frances sinkt mit Mann und Maus vor Woolrich Island. Ahnenporträts schienen entbehrlich, denn ihr war immer gesagt worden, sie habe Großmutter Abra Scotts Nase und Großvater Timothys Augen. Sie hatte sich in die Familienerwartungen weniger hineingestellt als eingebettet empfunden, das Leben vor ihr ein regelmäßiges, vieljähriges Beet, das nur gelegentlich gegossen werden musste, bepflanzt mit Everetts und Timothys und Toms und Mary Franceses und Abras.
Die Sommer waren die freien und herrlichen Zeiten gewesen, immer auf dem Wasser – im Segelboot durch das Labyrinth der Wasserläufe und Nebenarme und Buchten des Kennebec gleiten oder im Motorboot hindurchtuckern oder sich auf den (für Maine) ungewöhnlichen Sandstränden ihrer Halbinsel aalen. Sie hatten für ihre Spiele sogar ein Fort aus dem Bürgerkrieg gehabt, mit Wendeltreppen und Verliesen und Wehrgängen. Sie kletterten über die Felsen, sie suchten Venusmuscheln, sie segelten mit ihren Vettern in Catbooten um die Wette. Die Lücke von zwei Jahren zwischen Everett, genannt Ready, und Abra, die in Bath während des Schuljahres weit klaffte, schloss sich im Sommerhaus.
Jeden Sommer kamen die New Yorker auf die Halbinsel, mit ihrem anderen Tonfall, anderen Werten, anderer Kleidung und anderen Haltungen; mit ihnen kam die Freiheit, die ihr zur Sucht wurde. In Bath stand sie immer unter jemandes erwartungsvoller oder ermahnender Beobachtung, aber draußen in dem einfacheren, schlichten Haus auf dem Hügel in Popham konnte sie der Überwachung jederzeit entfliehen. Einfach, indem sie zu einer anderen Insel oder außer Sichtweite segelte. Die Woolrichs hatten ihren Familiensitz auf einer Insel, die von der breiten Veranda ihrer Familie aus zu sehen war, und sie konnte immer sagen, sie segelte zu ihrem Onkel. Wenn das Wetter das Segeln verbot, dann gab es die Wälder voll Birken, Eichen und Tannen, die Marschen, die feuchtkalten Sümpfe, wo sie sich verlieren konnte. Abgeschiedenheit war nur einen Hügel weit fort. Die gesellschaftlichen Regeln, die die Tiefe und Häufigkeit aller Kontakte in Bath festschrieben, zerfaserten in der Sommerwelt aus Tanne und Fels, aus Nebel, der zauberisch und kühl hereintrieb, der blendenden Sonne, dem Wind, der anschwoll, bis sie sich selbst als eine reale Person empfinden konnte, mit einem Willen und einer Zukunft, möglicherweise ebenso stürmisch und wechselhaft wie die kalte See, die sie belebte. Sie konnte nicht zur See fahren, wie Ready es tun würde, also wählte sie anstelle der See eine Insel, die ihr ebenso frei und reich vorkam: Manhattan.
Sie aß in einem Nedick’s, das auf ihrem Weg zu der Wohltätigkeitsveranstaltung für den tschechischen Widerstand lag. An der Tür des gemieteten Saales traf sie zwei Freundinnen, Djika und Karen Sue. Djika war die einzige andere Doktorandin in ihrem Fachbereich. Karen Sue hatte in Memphis die gelangweilte Südstaatenschöne abgegeben, bevor sie eine unwürdige Ehe einging, die ihr Vater annullieren ließ; eine Erbschaft hielt sie in New York, wo sie das Leben lebendiger fand. Sie hatte eine große Wohnung auf dem Riverside Drive, wo sie oft Partys mit den Politikern aus ihrer Bekanntschaft veranstaltete.
Es war ein zusammengewürfelter Abend. Die Kommunisten durften zu ihren Veranstaltungen aufrufen, dann kamen Folksänger, Theaterleute, eine Menge tschechische Volkschöre und -sänger, viele zündende Reden über die tapferen Partisanen. Abra betrachtete den behaarten Jack Covington oben auf dem Podium, der sie einmal besprungen und sich in aller Eile befriedigt hatte und danach heruntergerollt war, dann am nächsten Morgen bedient werden wollte und sie nach einer Flasche Orangensaft, einem Paket Wheaties und Kaffeesahne losschickte. Diese eine Nacht hatte sie mit ihm verbracht, nachdem Hitlers Angriff auf die Sowjetunion die Volksfront wiederhergestellt hatte und sie und ihre interventionistischen Freunde wieder mit den Kommunisten redeten. Seitdem war sie bestrebt, eine Wiederholung zu vermeiden, auch wenn er bei ihrem Anblick jedes Mal das weite, zahnige Grinsen des Kühlergrills eines fabrikneuen Lastwagens aufsetzte