Menschen im Krieg – Gone to Soldiers. Marge Piercy

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Название Menschen im Krieg – Gone to Soldiers
Автор произведения Marge Piercy
Жанр Книги о войне
Серия
Издательство Книги о войне
Год выпуска 0
isbn 9783867548724



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arbeitete in der Innenstadt bei Sam’s in der Abteilung für bessere Kleider ab 3,98 $, deshalb bekam sie auf Kleidung Rabatt. Ruthie hatte auf der Highschool die Fächer gewählt, die aufs College vorbereiteten, aber dann war doch kein Geld für ein richtiges Studium da, und jetzt belegte sie Abendkurse an der Wayne-Universität und fuhr viermal die Woche abends mit der Woodward-Straßenbahn hin. Ruthie hatte in der Highschool auch Schreibmaschine und Stenografie gelernt, aber keine Stellung in einem Büro gefunden. Nur jüdische Firmen stellten jüdische Mädchen ein, und es gab nicht viele, die junge Sekretärinnen suchten. Naomi hatte Ruthie zu Arty sagen hören, sie überlegte, ob sie protestantisch in die Bewerbungen schreiben sollte, aber dann merkten sie es doch an ihrem Namen und ihrem Aussehen. Außerdem kamen sie ihr drauf, wenn sie sich an den Feiertagen freinahm.

      In der Küche hatte Tante Rose Hafergrütze gekocht und zum Warmhalten auf einen Topf mit heißem Wasser gestellt. Onkel Morris hatte schon früher gegessen und war dann zum Chevrolet-Werk gefahren. Duvey schlief immer noch. Die Großen Seen waren jetzt nicht mehr schiffbar, und er war arbeitslos. Sonst arbeitete er auf den Erzfrachtern. Ihr anderer Vetter Arty frühstückte in der Wohnung oben mit seiner Frau und den beiden kleinen Kindern, aber Abendbrot aßen alle zusammen.

      Das Holzhaus kam Naomi groß vor, so dass sie anfangs dachte, ihre amerikanische Familie müsse reich sein; die Wohnung der Familie Lévy-Monot in Paris hatte außer der salle de bains und dem WC nur drei Zimmer: die winzige Küche, die große salle à manger, in der nachts die Mädchen schliefen und die auch als Wohnzimmer diente, und das Schlafzimmer ihrer Eltern. Jacqueline hatte früher auch in der salle à manger geschlafen, aber Maman hatte eine der ehemaligen chambres de bonne oben unter dem Dach für Jacqueline gemietet, als sie fünfzehn wurde.

      Die Siegals bewohnten ein zweigeschossiges Holzhaus mit einer Veranda nach vorn und zusätzlich einer überdachten Außentreppe mit kleinen Veranden zur Hintergasse. Das Haus stand hinter einem anderen Haus, ebenfalls aus Holz und dreigeschossig, mit einem kleinen Hof dazwischen, auf dem sie mit Sandy Rosenthal aus der Parterrewohnung im großen Haus und mit Sandys kleinem Bruder Roy spielte. Eine große Ulme breitete ihre Zweige darüber wie ein ganzer Wald. Sie hatte noch nie einen eigenen Baum gehabt. Die nächsten Bäume daheim standen in einem kleinen Park beim lycée von Jacqueline.

      Hier war nichts hoch, erst wenn sie in die Innenstadt fuhren, da waren sehr hohe Gebäude, die Wolkenkratzer hießen, so hoch wie der Eiffelturm, aber aus Mauerwerk. Zu Hause war fast jedes Wohnhaus sechs oder sieben Stockwerke hoch. Hier waren die Häuser ganz verschieden groß, als wären sie alle anders gewachsen, wie Menschen, aber die meisten hatten nur zwei oder drei Geschosse. Die Leute schienen zu bauen, wie sie Lust hatten, jedes Haus anders, viele sogar aus Holz, wie ihrs. Anfangs war Detroit für sie eine Spielzeugstadt, Kartenhäuser, die plötzlich umfallen konnten.

      Während sie ihre Hafergrütze mit braunem Zucker aß, musste sie daran denken, wie ihre Eltern einmal davon geredet hatten, dass Madrid gefallen war, und sie sich ein Erdbeben vorgestellt hatte. In einem amerikanischen Film hatte sie nämlich gerade ein Erdbeben gesehen. Papa hatte sie und Rivka mitgenommen in den Film, wo unten in Französisch stand, was alle sagten, aber er hatte ihnen befohlen, das nicht zu lesen, damit sie ihr Englisch schulten. Naomi hatte damals gedacht, die Mauern von Madrid wären umgefallen, aber als dann Paris fiel, war sie zehneinhalb und wusste es besser. Boston Blackie saß neben ihrem Stuhl und hoffte auf ein Häppchen. Der aß auch wirklich alles, sogar Hafergrütze.

      »Mame«, sagte Ruthie gerade, »bei dem Schnee kannst du nicht draußen rumrennen. Du holst dir noch den Tod.«

      Tante Rose war eine rundliche Frau, molliger als Maman und viel älter, eine der vier Schwestern aus Kozienice in Polen. Ihr Haar war immer noch lacklederschwarz, aber ihr Gesicht war verrunzelt wie eine Backpflaume. Onkel Morris war mit zwölf Jahren rübergekommen, und alle sagten, er sprach, als wäre er in Amerika geboren, aber Tante Rose war erst mit achtzehn in die Vereinigten Staaten gekommen und sprach mit einem Beiklang, der sie verriet. Sie hatte eine tiefe, würzige Stimme. Naomi liebte diese Stimme, wenn Tante Rose nicht gerade schimpfte, eine Stimme, bei der sie an würziges Winternaschwerk denken musste. Nelken, Schokolade, Zimt.

      »Ich will nur zur Markthalle und sehen, was heute günstig ist. Zwei kleine Fahrten mit der Straßenbahn. Heute ist Mittwoch, die harte Mitte der Arbeitswoche. Ich dachte an ein Stück Rind für gedempte flaisch oder wenigstens ein Schmorgericht.«

      »Mame, tu mir einen Gefallen. Kauf das Fleisch an der Ecke.«

      »An der Ecke ist es pro Pfund zwei Cent teurer.«

      »Bei dem Schnee heute kauf es an der Ecke. Bitte, Mame. Mir zuliebe.«

      »Gut«, sagte Tante Rose und strich ihrer einzigen Tochter über den Kopf. Naomi wusste, Tante Rose wartete, bis Ruthie die Woodward-Avenue-Straßenbahn zur Arbeit genommen hatte, und ging dann mit ihren Einkaufstaschen los, um für ihr weniges Geld so viel wie möglich zu kaufen. »Vergiss nicht das schöne Mittagessen, das ich dir eingepackt habe.«

      Naomi stellte das letzte bisschen Hafergrütze für den Kater hinunter, der alles rasch und leise verschlang. Sie verstanden sich gut.

      Jeden Tag aß Ruthie hastig ihre Brote aus der braunen Tüte im Frauenaufenthaltsraum. Dann eilte sie in die Stadtbücherei, um zu lernen. Ruthie hatte immer ein Buch in der Handtasche, das sie las, wenn sie Straßenbahn fuhr, wenn sie Suppe umrührte, wenn alle anderen Radio hörten.

      Naomi war neugierig, ob Tante Rose daran gedacht hatte, ihr Pausenbrote zu machen, aber zu schüchtern, danach zu fragen. Ruthie sah sie an und schien ihre Gedanken zu lesen. »Mame, hast du Naomis Pausenbrote gemacht?«

      »Warum soll ich sie nicht gemacht haben? Nur, weil ich’s einmal vergessen habe. In meinem Alter, kann mir da ein kleiner Fehler nicht vergessen und verziehen werden?«

      »Was kriege ich?«, fragte Naomi. Maman würde jetzt sagen, sie sei frech, aber sie war neugierig. Hier rügte sie niemand für ihre Fragen, obwohl Onkel Morris sie ein bisschen aufzog, wenn er sie fragen hörte. Jeden Morgen machte Tante Rose drei verschiedene Mittagspakete, in drei verschiedenen Brotbüchsen und Thermoskannen.

      »Heute wegen des Schnees schöne heiße Kohlsuppe. Dazu Brot und ein stickl Käse.«

      Das war bestimmt der Borschtsch nur aus Roten Beten und Kohl, nicht der mit Rindfleisch. Naomi aß ihn gern, aber sie bekam davon Heimweh, weil Maman auch solch eine Suppe machte: eine Familiensuppe, von den Eltern gelernt. Sie konnte sie wahrscheinlich auch kochen, wenn sie wollte. Aber sie wollte nicht. Sie wollte sie gekocht bekommen, von Maman.

      Sie zog ihre Gamaschen und Galoschen an, knöpfte ihren Mantel zu, nahm ihre Schreibhefte und den Ranzen für Bücher, die Thermoskanne, rot und mit einem Bild von Superman, und machte sich auf den Weg zur sechs Straßen entfernten Schule. Draußen war es noch dunkel, und die Laternen brannten, aber der Himmel wurde schon langsam hell.

      Der Schnee fiel in großen, trägen Flocken, als hätte er alle Zeit der Welt, um die Stadt zuzudecken. Die geparkten Autos waren schon beschichtet. Erwachsene fuhren hier nicht Fahrrad oder Motorrad, sogar Fabrikarbeiter hatten Autos. Onkel Morris hatte eins, aus seiner eigenen Fabrik. Jeden Monat zahlte er dafür Geld, wie Miete, obwohl es nicht neu war und die Stoßstange schon eine Delle hatte und rostete. Papa hätte gerne ein Auto gehabt. Er konnte fahren. Früher, bevor die Nazis alles so schwer machten, waren sie manchmal mit Georges, dem Autoschlosser, in seinem alten Renault mit seiner Frau und seinem dicken, gutmütigen Sohn Razi aufs Land gefahren. Dann hatten ihre Eltern sich benommen wie Kinder, hatten gekichert und sich gekabbelt. Alle aßen Hühnchen und tranken Rotwein. Papa spielte Mundharmonika, und sie sangen in Französisch und Jiddisch.

      Sie trabte vorbei an der koscheren Fleischerei von Brillen-Rosovskys Vater, wo Tante Rose nicht gern kaufte, weil sie ihn zu teuer fand, vorbei an dem Fischgeschäft, in dem Sandys Vater arbeitete, vorbei an dem Eisenwarenladen, an dem guten Brotgeruch von Fenniman’s Bäckerei und dem dunklen Biertunnel der Bar. Hier war der Bürgersteig schon matschig. Sie stapfte in die Schmelzpfützen. Sie errichtete beim Laufen Mauern um sich, rüstete sich für die Schule, wo Englisch schreiben und sprechen und lesen nur ein kleiner Teil ihrer Aufgaben war.

      Der schwerste Teil war, wie die