Der Bergfrauendoktor. Thomas Schmidt

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Название Der Bergfrauendoktor
Автор произведения Thomas Schmidt
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Серия
Издательство Изобразительное искусство, фотография
Год выпуска 0
isbn 9783862221455



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etwa 2,5 Zentimeter in die Vagina ein. Tastet erst, ob sich noch Samenflüssigkeit im Luststamm befindet. Das könnte durchaus entzündlich sein …“

      „Gut. Also walten Sie …“

      Stürzel nähert sich dem Schwein. Ein kurzsichtiger Mensch könnte hier auch auf eine weibliche, etwas wuchtige Person tippen. Vorsichtig tastet sich sein Finger vor, dringt behutsam ein.

      Das Schwein fiept.

      „Langsam.“, sagt der Professor. „Machen Sie die Sau glücklich.“

      Stürzel bewegt seinen Finger langsam vor und zurück.

      Der Professor unterbricht sofort: „Gefährlich, Stürzel. Sehr gefährlich! Vor und zurück gibt es nicht in der Gynäkologie, nur einmal schnell ­hinein und dann unauffällig wieder hinaus. Niemals langsam vor und zurück. Da sind Sie schneller im Knast als Sie ein O mit den Lippen formen können.“

      „Äha.“, sagt Stürzel.

      „Auf so etwas reagieren Frauen,“, sagt der Professor, „wenn man ernst macht. Wenn man etwas simuliert. Da werden die Röhrchen gleich spitz.“

      Stürzel schüttelt es.

      ‚So redet man nicht.‘, denkt er. ‚So redet nur ein geborenes Arschloch, mit Verlaub.‘

      Und er notiert gedanklich, dass alle geborenen Arschlöcher in Arschlochnationalparks gehalten und mit Scheiße gefüttert werden sollten.

      „Was denkt er denn so angestrengt, dass ihm gleich die Stirnrunzeln platzen?“, fragt der Professor.

      Stürzel antwortet nicht, stattdessen macht er brav die Übung. Finger langsam hinein. Nachspüren. Finger schnell wieder hinaus. Der Professor nickt zufrieden.

      Dann geschieht etwas Unerwartetes. Das Schwein schläft ein. Einfach so.

      „Akute Totalentspannung.“, sagt der Professor. Es klingt bewundernd. „Herr Stürzel. So wie es aussieht, haben Sie das, was wir Fachmänner einen ‚Rosenfinger‘ nennen. Sagt Ihnen der Name Dr. Bernwart von Brühgrübel etwas?“

      Stürzel schüttelt den Kopf.

      „So möchte man doch nicht heißen.“, sagt er.

      „Auch bekannt als ‚Doktor Gold‘.“

      Jetzt rattert es.

      Die Legende. Doktor Gold. Hatte sich vom kleinen Chefarzt einer Allerweltsklinik hochgedient zum großen Chefarzt einer Schweizer Privatklinik. Nächste Station: Der Olymp der Gynäkologen. Obwohl er gar nicht wie eine Gottheit aussieht, eher wie einer, der sich nachts heimlich in Pornokinos schleicht. Trotzdem lassen ihn alle einfliegen, wenn etwas juckt oder nicht mehr richtig funktionieren will.

      „Sie sind gesegnet, Stürzel!“, entzückt sich der Professor. „Mit diesem Finger werden Sie Millionen machen!“

      Stürzel ist das egal.

      Der Professor zwinkert wie ein Verschwörer.

      „Sie sind vollendet, Stürzel.“

      Damit ist die Prüfung beendet.

      Stürzel sieht noch, wie der armen Sau eine Spritze verabreicht wird und wie das Vieh sich verkrampft. Er sieht die Panik in den Augen. Dann schließt sich die Tür.

      Stürzels erste Praxis. Parkett im Flur, Stuck an den Wänden. Im Stadtzentrum gelegen, direkt über einem Juwelier.

      Dank des Professors, der die Gerüchteküche eröffnet und den Damen der höheren Gesellschaft leckere Häppchen ins spitze Maul geschoben hatte, kam die Sache schnell ins Rollen – auch aus Eigennutz: Ein erfolgreicher Gynäkologe ist die beste Urkunde. Feine Damen sind neugierige Wesen. Wie Fische, die um einen Fuß herum schwimmen. Im Wartezimmer roch es bald wie in einem Vogelkäfig.

      Stürzel stieg schnell wie ein Heißluftballon ohne Ballast. Im Fachmagazin ‚GynäkoLogik‘ wurde er lobend erwähnt – sogar ein Foto seines Fingers wurde abgedruckt. Stürzel genoss die Zuwendung, das geliehene Ansehen. Er genoss die Arbeit, die Möglichkeiten. Jeden Tag konnte er retten, pflegen, graben. Er konnte den Damen Hinweise geben, sie sensibilisieren, ihnen klarmachen wie wertvoll ihr Schoß war und welch Wunderdinge sich in ihnen abspielten. Wie kleine Schulmädchen saßen sie vor ihm und staunten, wenn er sie anhand hübscher Skizzen mit ihrem Innenleben vertraut machte. Und sie schnurrten, wenn Stürzels Rosenfinger zum Einsatz kam.

      Der goldene Käfig.

      Seine Höhle.

      Außerhalb der Fachwelt, außerhalb der Bücher – an der Ampel zum Beispiel, wenn eine Frau ihn nach dem Weg fragte, oder im Supermarkt, wenn die Kassiererin eine schmackhafte Bemerkung zu irgendwelchen Sonderpreisen machte –, sobald die andere Wesenheit ins Spiel kam, sich einmischte mit Worten, mutierte Stürzel zu einem Automaten, der nicht funktionieren wollte. Er warf Blendraketen und duckte sich weg, breitete die Flügel und hob sich mit kräftigen Schlägen in die Höhe, verschwand in einem satten Blau.

      Einmal, das war noch während des Studiums, hatte er sich einem Kommilitonen anvertraut. Und der hatte ihm allerlei Unfug erzählt und Stürzels Angst nur noch verstärkt.

      „Hab dich nicht so, Adi, stell dir einfach vor, die Frauen seien Melonen.“

      Das ist Stürzel schwer gefallen und er hat sich verabschiedet aus dem Gespräch.

      „Ein gynophober Gynäkologe!“, hat der Depp ihm hinterher gerufen.

      Aber Depp hin oder her, er hatte nicht Unrecht. Frauen waren Träger und Bedrohung. Sie waren ihm suspekt.

      Als Gynäkologe war er Gärtner, Hausmeister, Installateur, Türsteher, Staatsanwalt, Beschützer, Behüter. Er hegte und pflegte die weibliche Anatomie. Er verstand sie.

      Das Rundgebäck aber, die Frau an sich, war ihm fremd, beunruhigte ihn, schwamm in einem anderen Teich.

      Stürzel kaufte sich einen Ratgeber: ‚Annäherung und Natürlichkeit. 1000 wegweisende Ratschläge für Männer ohne Partner. Von Clemens S. Kleister.‘

      Lebenssprüche für Verzweifelte, aber durchaus interessant.

       ‚Du musst nur die Angel auswerfen, etwas beißt immer an. Milchreste im Bart können erheiternder Gesprächsstoff sein. Berauscht verführt es sich leichter.‘

      Stürzel leerte zwei Pullen Jägermeister. Halsbrand und leichter Schwindel. Die Wohnung begann, sich auszudehnen, auf dem Parkett taten sich Verwerfungen auf.

      Stürzel richtete sich die Krawatte, machte ein paar Knoten hinein und verließ wie an der Schnur gezogen die Wohnung.

      Stürzel und die Treppenstufen – ein kurzer Kampf. Die Treppenstufen wollten nicht stillhalten, verschachtelten sich oder legten sich flach. Katapult oder Aufzug? Stürzel entschied sich für den Aufzug. Aufzug kann jeder. Er drückte T für ‚Tittengarage‘. In Stürzels Kopf kippte ein Buchstabenlaster um.

      ‚Was Clementine Scheidenwischer wohl jetzt machen würde? Wer in Gottes Namen ist Clementine Scheidenwischer?!‘

      Im Auto empfing Stürzel eine weitere Nachricht von außerhalb, konnte sie aber nicht entschlüsseln.

      ‚Eigentlich kein Wetter zum Auto fahren.‘

      Obwohl das Wetter hervorragend war.

      Er startete den Wagen, ließ ihn springen wie ein Zirkuspferd.

       ‚Der moderne Mann ist von kultivierter Natur. Er kann Gedichte rezitieren.‘

      Mit Beethoven durch die Nacht. Klavierkonzert No 5. E-Dur, Opus 73.

      Draußen sausten die Lichter der Großstadt wie endlose Ketten, wie startende Raketen.

      Klavier, Pling Pling.

      Orchester jetzt! Tamtaram!

      Das Auto löste sich von der Straße und hob ab, das Panorama der Schnellstraße