Der Bergfrauendoktor. Thomas Schmidt

Читать онлайн.
Название Der Bergfrauendoktor
Автор произведения Thomas Schmidt
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Серия
Издательство Изобразительное искусство, фотография
Год выпуска 0
isbn 9783862221455



Скачать книгу

geht schon lang nichts mehr.“, sagt der Huber.

      Früher, da hat er sich manchmal von hinten an sie ran geschlichen, wenn sie gerade im Stall ausgemistet hat. Und dann hat er ihr unter den Kittel gegriffen.

      „Da war aber nichts was man greifen konnte.“, sagt der Huber. „Irgendetwas war da, aber es war nicht von dieser Welt.“

       Ein Prickeln von oben nach unten – die erste Nacht als Lolita. Er zieht sich ein altes Kleid über, schlüpft in die gelben Gummistiefel. Er kichert – ein Kichern wie chronischer Husten. In Hubers Ohren ist es ein glockenhelles Kichern, lasziv und frühweiblich. Er beginnt den Stall auszumisten, wobei ihm immer wieder das Kleid hochrutscht beim Bücken. Und er muss sich oft bücken, weil die imaginären Lockenwickler einfach nicht halten wollen.

       Reib mich am Menschen An seinem Bein Reib mich an Bäumen Im Sonnenschein.

      Träume sind ja so eine Sache. Jeder macht dahingehend seine eigenen Erfahrungen und wenn es daran geht, einen Traum zu beschreiben, fällt einem meist nichts Gescheites ein.

      ‚Wirres Zeug.‘, sagt man oder: ‚Ich bin geflogen und es war recht schön.‘

      Weil man ja nicht fliegen kann im regulären Alltag – nur im Flieger oder von der Schule. Das genießt er dann, der Mensch. So eine Sache, das könnte man öfter haben.

      Was jeder kennt, eine Berühmtheit unter den Träumen, ist der Sturz vom Fahrrad. So im Halbschlaf, wenn es einen hineindrückt in die Traumwelt, wenn man noch nicht ganz im Traum drin ist, aber bereits mit den Füßen. Man schreckt dann regelrecht hoch und macht eine seltsame Verrenkung im Bett. Kann man sich wehtun, wenn der Kopf sich zu nah an der Wand befindet. Die Nase brechen zum Beispiel. Alles schon da gewesen.

      Stürzels Träume tun allein vom Hörensagen weh. Zum Beispiel letzte Nacht. Da ist ihm wieder einer untergekommen. Eine Abart von einem Traum.

      Stürzel hockt auf einem Traktor, obwohl er kein Traktorfahrer ist – muss er ja auch nicht als Gynäkologe. Die Berge ringsum sind unscharf gezeichnet und zittern als zeige ein Alkoholiker die Postkarte einer Bergkette vor. Unter ihm eine Art Feldweg, aber eher von der Sorte Daumenkino. Jedes Bild für sich und man weiß nie, ob es sich ausgeht mit dem Tempo und dem Effekt. Wände werden verschoben, weit hinten steigt etwas und kurz wird alles durcheinander gemischt: Farb­strudel, aber ein kalter.

      Stürzel rattert über Wiesen und Felder.

      Plötzlich: Katharina die Große. Neben ihm auf dem Traktor. Wie eine Marionette, die ihren Auftritt hat. Aus dem Himmel springt ein schwarzer Hengst, streift die Kaiserin seitlich, lässt ihr Kleid flattern.

      „Untersuchens mich, Herr Doktor!“

      Ihre Lippen bewegen sich nicht.

      Stürzel steht über die Königin gebeugt.

      „Greifens mich an!“

      Die Kaiserin hebt das mächtige Gewand.

      Zwischen ihren Beinen liegt das Dorf. Und als Stürzel genauer hinschaut, kann er sich selbst sehen als kleines Männchen, wie er eine Scheune anzündet.

      Und damit ist Stürzel aufgewacht.

      „Stürzel hier. Was gibt’s, wo drückt der Schuh?“

      „Rohrbisler hier!“, flötet es.

      „Ah, der Herr Rohrbisler.“

      „Herr Doktor,“, säuselt die Stimme, „ich brauche Ihre Hilfe. Eine technische Sache. Wo Sie doch so ein technischer Hochgeist sind. Man sieht es an Ihrem Stuhl.“

      Franz Rohrbisler ist in etwa so alt wie Stürzel, aber viel kleiner und gedrungener: ein hochgewachsener Zwerg mit einer kreisrunden Glatze, seitlich von schwarz gefärbten Einzelhaaren umzäunt.

      Stürzel überlegt kurz, ihm fällt auf die Schnelle keine Ausrede ein.

      „Um was geht es denn?“

      „Sehen Sie selbst, schauen Sie nach. Keine Angst, ich werde Sie nicht verschleppen. Sie sind doch der Doktor, der große, kräftige Doktor … Was kann ich schon gegen Sie …“

      Der Rohrbisler klingt wie Graf Dracula, wenn er zu wenig Blut getrunken hat.

      „Ich komme rüber, Herr Rohrbisler.“

      Die Tür steht offen. Drinnen ist es dunkel. Muffig. Die Vorhänge zugezogen, aber alle Stühle auf Bereitschaft.

      Stürzel zuckt zusammen – ein Schatten rechts. Jemand sitzt an einem der Tische, über ein Bier gebeugt.

      „Das ist Hugo.“, sagt Rohrbisler, der hinter dem Tresen steht und Stürzel von oben nach unten genauestens inspiziert. „Sag ‚Guten Tag‘ zum Herrn Doktor ...“

      Die Schaufensterpuppe schweigt.

      „Warum kommt denn keiner? Das muss doch deprimierend sein …“

      „Das ist wegen der Steuer.“, sagt Rohrbisler und schenkt Stürzel ein Bier ein. „Die Wirtschaft ist reine Tarnung.“

      „Interessant.“

      „Ich tarne meinen Schatz.“, sagt Rohrbisler und er zeigt auf die schwarze Tür in seinem Rücken. „Wollen Sie mal einen Blick werfen? Ich brauche Ihre Hilfe.“

      Stürzel nippt an seinem Bier. Er überlegt. In der Geisterbahn war er lange nicht.

      „Nach Ihnen, Herr Rohrbisler.“

      Sie betreten einen Raum, an dessen Decke sich eine Discokugel dreht und psychedelische Lichtbälle an die Wände wirft.

      „Die ist immer in Betrieb.“, sagt Rohrbisler.

      Es riecht nach Apotheke, nach Schlachthausapotheke. Etliche Ketten, im Raum verteilt wie Spielzeug, achtlos liegen gelassen. Eine Matratze ohne Bettbezug. An den Wänden Poster ausgepeitschter Hintern – ausschließlich haariger Natur. Ein kleiner Fernseher. Die vier männlichen Schaufensterpuppen, die dastehen, als warteten sie auf den FKK-Bus, weisen Brandspuren auf.

      Ein bizarrer Wunschkasten, eine eingefrorene Fantasie.

      Der Boden ist mit Folie abgedeckt.

      Stürzel schüttelt es. Das Dorf hat ein Hinterzimmer.

      „Ich träume von Männern, die ihre schweren Gummistiefel auf dem Bett ablegen – und sich selbst.“, sinniert Rohrbisler.

      „So Träume hat man halt.“, sagt Stürzel. „Und wo ist jetzt das Problem, das Technische?“

      Stürzel hat es plötzlich eilig. In einer Ecke steht etwas, unter einer Decke.

      „Hier, sehen Sie …“, sagt Rohrbisler und zieht theatralisch die Decke weg. „Mein elektrischer Erotikstuhl!“

      Jetzt gibt es einen kleinen Rundgang mit Erläuterung. Der Rohrbisler lässt kein Detail aus: „Hinten sind Rüssel und Rückenlehne, inklusive Brustwarzenzwickarmen mit optionalem Elektroschock. Dazu zwei rostige Klemmzangen, in Hodennähe angebracht, die nach Bedarf erhitzbar oder unter Strom zu stellen sind. Unterhalb dreht sich eine Anuspresse, Größe L, unterstützt von einem Prostatapürierstab mit Rückwärtsgang. Ein Mono-Darmwickler rundet diesen Teilbereich ab. An der rechten Seite, auf Kopfhöhe, ist ein ausfahrbarer Puppenarm installiert, der einen Leckstein aus getrocknetem Pferdehoden hält. Linkerhand sehen Sie eine bewegliche Gelenkstange, aggressiv programmiert, die fortwährend und mit Hilfe einer schwarz lackierten Aubergine, an deren Ende Schamhaare geklebt sind, den Mund zu penetrieren versucht. Dabei kommen sich Pferdehoden und Aubergine ständig in die Quere. Konstruktionsfehler, sehr bedauerlich. Unter dem Bodensatz ist eine Einschlauch-Melkmaschine installiert, die batteriebetrieben ist, einen starken Unterdruck erzeugt und sich erst abschaltet, wenn eine bestimmte ‚Füllmenge‘ erreicht ist. Nebenbei dient die Maschine